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REVUE IM AUSLAND

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Das Maiheft der „Schweizer Rundschau” erschien als doppelt starkes Sonderheft „Kommumisinu s”, in dem auch „Vertreter nichtkatholischer, ja gegnerischer Weltanschauungen das Wort erhalten”, von Nikolaus B e r d i a e f f, dessen Beitrag „Wandlung des Marxismus in Rußland”, die letzte Arbeit des jüngstverstorbenen russisch- orthodoxen Denkers darstellt, über die Sozialisten V o y e n n e und S i 1 o n e bis zu dem selbst dem Kommunismus nahestehenden Fritz Lieb. Der erste Teil dieses Heftes „Kommunismus in der Geschichte” beginnt mit einem Aufsatz von Hugo Rahner „Kommunismus der Kirche n- v ä t e r”, in dem gleich zu Beginn eindeutig festgestellt wird, „daß die Lehrer der alten Kirche überall dort, wo eigentlich kommunistische Lehren und Bewegungen aufstanden, ihren klaren Protest anmeldeten.” Im zweiten Teil „Die Wirklichkeit”, der das Wirken des Kommunismus in den verschiedenen Ländern van Italien bis China und von Litauen bis USA behandelt, ist von besonderem Interesse der Aufsatz von Eugen K o g o n über „D ie Aussichten des Kommunismus in Deutschlan d”. Der Verfasser stellt dabei zunächst an Hand der bisherigen Wahlergebnisse fest, daß die Deutschen in ihrer überwiegenden Mehrheit den Kommunismus ablehnten, und zwar zum Teil bestimmt, „weil er dem Nationalsozialismus in so vielem ähnlich oder gar gleich ist. Immer wieder begegnet man in allen Volksschichten dem Hinweis auf die Parallelität, vor allem der Methoden.” Trotzdem habe der Kommunismus auch in Deutschland Aussichten, denn wenn der Westen die Möglichkeit „Freiheit und Brot durch die Demokratie” nicht erfülle, würde Deutschland und mit ihm bald das übrige Europa der Devise „Brot ohne Freiheit, durch den Kommuni s- m u s” zufallen, weil die dritte Möglichkeit, „Freiheit ohne Brot” auf die Dauer kein Mensch aushalte.

Von den Beiträgen im dritten Teil des Heftes („Auseinandersetzung”), seien der des französischen Katholiken Stanislas F u m e t „Christentum — Kommunismus” und der des italienischen Sozialisten Ignazio Silone „Der Marxismus anders gesehen” herausgegriffen.

Fumet geht von der Feststellung Berdiaeffs aus, daß der Kommunismus eine Religion sei, betont aber hier gleich, daß Christentum und Kommunismus auf grundsätzlich verschiedener Ebene stehen, weil das Christentum nicht auf ein irdisches Gottesreich hinziele. Der Christ aber dürfe sich nicht wundern, wenn ihm der Kommunist seine Rüstung entlehne.

„Der Kommunismus kann mit dem Christentum nicht verglichen werden, ohne daß dabei ein grober Betrug mitspielt. Der Kommunismus, der totalitär ist, kann jedoch, da er eine Institution sein muß, in die Nähe des Katholizismus gerückt werden. Und wenn wir- seinen Stil und eine Handlungsweise ins Auge fassen, so ist es ganz offensichtlich, daß er fast in allem eine Art von kommunistischem Klerikalismus aufweist.”

Daher habe der bekannte französische Arabist Louis Massignon, nach einer Rußlandreise zur Zeit Lenins und Trotzkys, schon gesagt: „Ich habe Rußland gesehen: ein Trappistenkloste.r ohne Gott.”

Ignazio Silone beschäftigt sich in seinem Artikel mit der Lösung., der sozialistischen Bewegung von der marxistischen Ideologie, was sich unter anderem auch in einer positiveren oder zumindest toleranteren Einstellung zum Christentum offenbare.

„Die marxistische Ideologie, wie sie sich in der Zeit der Zweiten Internationale gebildet hatte, ist heute also in starkem Rückgang. Eine Polemik über die Deutung des Marxismus, wie ehemals zwischen Lafargue, Jaures, Sorel, Bernstein, Kautsky, Max Adler, Otto Bauer, wäre heute undenkbar. Der Sozialismus hat heute gar kein Bedürfnis danach. Er hat andere Hühnlein zu rupfen. Nicht bloß die marxistische, sondern auch die antimarxistische Polemik ist in den Stillstand versetzt worden. Die ernstzunehmenden Gegner des Sozialismus, seine grundsätzlichen unversöhnlichem Gegner haben eingesehen, daß es nachgerade wenig hilft, sich bei einer Widerlegung der Dogmen der marxistischen Ideologie aufzuhalten. Die Widerlegung des Marxismus ist keine Widerlegung des Sozialismus … Utopie und Wissenschaft werden sich immer die Seele des Sozialismus streitig machen. Aber die Wissenschaft kann, wie gesagt, alle dreißig bis fünfzig Jahre wechseln; die Utopie jedoch kann Jahrtausende überleben, kann solange dauern, als Unruhe das menschliche Herz bewegt … In der Geschichte des Sozialismus wird der Marxismus seinen Platz behaupten als eine der Ideologien des Sozialismus in einer bestimmten Epoche und vermutlich als seine arteigenste Ideologie. Denn in seiner weitesten und dauerndsten Bedeutung ist der Sozialismus das Streben der Armen nach sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit durch die Vernichtung der ökonomischen und politischen Privilegien. Hierin besteht er und in nichts anderem.”

Die in Nürnberg erscheinende Zweimonatsschrift „D i e Besinnung”, brachte im Mai dieses Jahres, mit der durch die deutschen Produktionsverhältnisse bedingten Verspätung, ihr Heft 5/61947 als „Frankreich- He f t” heraus. Von den Originalbeiträgen französischer Autoren beschäftigen sich zwei mit grundsätzlichen Fragen der modernen Literatur. Emanuel M o u n i e r untersucht die Geschichte des Schlagworts „Verpflichtung” („enga- gement”), das, weil es im Leitartikel Nr. 1 von Sartres Zeitschrift „Temps Modernes” erschien, wo der seiner „Situation”, insbesondere seiner gesellschaftlichen Einfügung bewußte Schriftsteller dem zweckfreien Schriftsteller des beginnenden Jahrhunderts entgegengesetzt war, vielfach für eine Schöpfung der Sartre-Schule gehalten wurde. Mounier weist demgegenüber darauf hin, daß der Gedanke der Verpflichtung jedes Menschen im Gegensatz zur betrachtenden oder rein „objektiven” Haltung bereits vor dem Krieg ein Hauptthema der Zeitschrift „Esprit” gebildet habe.

„Ia all dem handelt es sieh übrigens nur darum, auf konkrete Umstände eipe Überlegung zu pfropfen, die nicht neu ist — die Pascals in seinem Vous etes embarques (Ihr seid eingeschifft, ihr seid verwickelt), die von Marx in seinem Humanismus der Praxis, die von Jaspers bei den einen, die Heideggers bei den anderen —, auf das ,In-Situation-Setzen’ des Menschen und seiner Probleme, Nietzsches Kritik der Objektivität und sehr viele andere noch verstreute Gedanken.

Worte sind Ereignisse, sie rollen wie Dramen in mehreren Akten ab. Unter diese von den Existenzialisten, den Personalisten und einem offenen Marxismus gegen die idealistischen Ausweichversuche wie die formellen Positionen verteidigte Verpflichtung hat man zuweilen eine Art Mobilmachung einschließen wollen, ohne die Bedingung des Schriftstellers und des Bewußtseins zu berücksichtigen. Nun, die Verpflichtung erlaubt von Grund aus die freie Wahl, selbst wenn diese Freiheit nicht gemäß dem überholten Schema der liberalen Freiheit begriffen wird. Daher sieht man, wie eine Gegenströmung sich abzeichnet und wie dieselben Kreise eine mehr komplexe Dialektik von Verpflichtung (en- gagement) und Entbindung (degagement) als Systole und Diastole der bewußten Existenz auslösen.”

Von anderer Seite kommt zu demselben Fragenkreis Jean Dubois Dumee unter dem Titel „Der Schriftsteller inmitten der Menschen”.

„Gestern noch beschränkte sich sein Publikum auf einige tausend Menschen — Leute aus seinem Milieu, deren Geschmacksrichtungen und Vorurteile er kannte. Heute setzen sich infolge des technischen Fortschrittes die Bücher, die Zeitschriften in Beziehung zu Hunderttausenden und manchmal Millionen, von denen er beinahe ganz und gar nichts weiß. Daher findet er sich von seinem Publikum überflügelt. Die Erweiterung hat sich zu rasch vollzogen; er weiß nicht mehr, für wen er schreibt. Kein Gesicht mit umrissenen Zügen steigt mehr vor ihm auf, wenn er seinen Leser sich einzubilden versucht …. Arme Schriftstellerl Sie geben sich wohl Rechenschaft, daß das Volk beginnt, auch ohne sie fertig zu werden. Das Volk verwirft sie nicht nur, sondern mehr und mehr nehmen die Techniker und Politiker ihren Platz,ein. Daher diese Art von Minderwertigkeitskomplex, dem man so oft bei ihnen begegnet und der sie den Kopf verlieren läßt. Sie sprechen nur mehr davon’, daß man ,sich verpflichten’ müsse, und sicherlich macht diese Besorgnis ihnen Ehre. Aber von der Idee bestürmt, daß auch sie ihrerseits ,wirksam’ sein wollen, stellen sie sich in den Dienst der Parteien. Glauben sie denn, daß die modernen Parteien mit ihren Forderungen nach Disziplin und Taktik ihnen diese unmittelbare Berührung mit dem Volk zusichem, das aufzusuchen . sie so sehr Grund haben? Die Intellektuellen haben stets die Sendung gehabt — und heute mehr denn je — Zeugen der Freiheit zu sein. Nichts wäre gefährlicher, als im Namen einer vermeintlichen Ernsthaftigkeit diese wesentliche Mission zu vergessen.”

„M e r k u r”, deutsch Zeitschrift für europäisches Denken” (Erscheinungsort Baden-Baden), bringt in Heft 6 1947/48 eine Rede von Rudolf Alexander Schröder „Vom Beruf des Dichters in der Zeit”, in der der siebzigjährige Dichter seine Anschauung vom Wesen der Kunst zu den Gedanken zusammenfaßt:

„Das innerste Wesen aller Kunst ist Trost über die Vergänglichkeit des Daseins. Sein und Ziel — und das wären also Auftrag und Amt — aller Kunst ist Erhebung aus dem Vergänglichen, ist Rettung des Vergänglichen ins Unvergängliche, ins Bleibende. Dies Bleibende wiederum nach der höchsten in ihm ermöglichten Deutung, verstanden als Spiegelung, als Abbild dessen, das wir freilich als die Hinfälligen und Sterbenden, die wir unserer irdischen Mitgift nach selber sind, nur im Spiegel eines dunklen — weil unzureichenden — Wortes auffangen und weitergeben können: des Ewigen.”

Dieselbe Zeitschrift enthält einen Artikel von Jürgen von Kempski’: „Föderalis- mus und Unitarismus”, der sich mit dem in deutschen Zeitschriften Immer wieder behandelten Problem der zukünftigen Verfassung Deutschlands befaßt. Alle politischen Gründe, nicht zuletzt die des Offenhaltens für die Ostzone, sprächen für eine föderalistische, bundesstaatliche Verfassung. Alle wirtschaftlichen Fragen aber verlangten nach zentraler Regelung. Daraus ergebe sich mit zwingender Notwendigkeit, daß die von sozialistischer Seite geforderte Planwirtschaft „die föderale Struktur eines deutschen Bundesstaates auf kaltem Wege aufheb t’V „Kehren wir hingegen zu Formen der freien Marktwirtschaft zurück (was ja nicht bedeutet, daß wir die Märkte ihrem Schicksal überlassen, sondern daß wir ihre gewünschte Struktur durch starke Marktverfassungen sichern), so bleiben zwar die deutschen Länder notgedrungen finanziell vom Bund abhängig, aber es wird der Einbruch des Zentralismus in die Verwaltung der Länder vermieden. Freilich, auch hier bleiben sie so eng aufeinander angewiesen, daß ihre Politik nach außenhin der einheitlichen Formel bedarf. Es liege in dieser Situation begründet, daß für eine umfassendere Konföderation in Europa wohl nur der Bund, nicht die einzelnen Länder als Partner in Betracht kommen. Wer es politisch für wünschenswert hält, daß dieser Partner ein Bundesstaat sei, wird wünschen müssen, daß Deutschland zu freien Wirtschaftsformen zurückkehrt und sich nicht endgültig der Planwirtschaft ergibt.”

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