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Katholische Sozialethik zwischen gestern und morgen

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Das katholische soziale Gedankengut kann durch nichts nachhaltiger verfälscht werden, als durch den Versuch einer Identifizierung mit dem politischen Katholizismus. So anerkennenswert das Bemühen von Professor Do-bretsberger istdie gewißlich nicht einfach gelagerte Problematik der Nachkriegssituation des sozialen Christentums irgendwie aufzuzeigen und durch bewußt scharfe Formulierungen eine notwendige Diskussion zu provozieren, so bedenklich muß es uns scheinen, daß der Verfasser für diesen Versuch .auch Formulierungen gewählt hat, die reichlichen Anlaß zu abwegigen Feststellungen bilden und ihren Höhepunkt in der Behauptung erreichen könnten, daß die Kirche eine Institution lediglich dieser Welt sei.

Der „politische •Katholizismus“, der die Kirche begleitet, seit sie aus dem Dunkel der Katakomben und ihrer geradezu antipolitischen Askese in die Helle des Tages und eines vollen Lebens gestiegen, ist keine notwendige Miterscheinungsform des Katholischen, sondern verdankt seine jeweilige Existenz zuerst der innerweltlichen Ordnungsfunktion, welche der mittelalterlichen Kirche aufgegeben war und nach der Säkularisierung der abendländischen Gesellschaft dem Anruf und der Provokation der

1 Dobretsberger: „Katholische Sozialpolitik am Scheidewege“. Vergleiche die Besprechungen von Dr. Kottulinsky in Nr. 13 der „Furche“ und von Prof. Dr. Westphalen in Heft 4/1947 von „Wort und Wahrheit“.

Welt, welche die Kirche an der Ausführung ihres Lehrauftrages zu hindern sucht. Nur an jenen Stellen der PeripHerle, an denen kirchlicher und staatlicher Aufgabenbereich sich überschneiden und Spannungen entstehen, die im wesentlichen nur befruchten und berichtigen können, nur da spricht die Kirche unmitelbar zur Welt.

Ist der politische Katholizismus a*ls eine Erscheinungsform des Katholischen oft dem Tag und dem weltlichen Kompromiß verhaftet, so steht die Kirche jenseits der Endlichkeit aller Zeiten auf einem außerweltlichen Standort und vermag mit den Maßstäben des Zeitlichen nicht gemessen zu werden. Sie ist weder faschistisch, noch antifaschistisch, weder für noch gegen eine bestimmte politische Front, scheinbar unverläßlich, in der Tat aber in sich gleich, nur der einen Wahrheit und dem Dienst am Menschen verpflichtet.

Im Politischen ist der Christ grundsätzlich frei. Pius XII. weist in seiner Weihnachtsansprache 1940 2 ausdrücklich auf die Weite des dem Christen im Politischen vorgegebenen Spielraumes hin, der nur abgegrenzt ist durch ein allgemein verpflichtendes göttliches Gesetz; denn, „die jeweilige Bejahung des einen oder anderen politischen Systems hängt in weitem und sogar entscheidendem Maß von Umständen und Gründen ab, die, in sich selbst betrachtet, mit dem Ziel und der Tätigkeit der Kirche nichts zu tun haben“

Dieser Distanzierung von einer oft versuchten und bedenklichen Verabsolutierung des Politischen, insbesondere im Bereich des katholisch-sozialen Lehrgebäudes, entspricht keine Forderung nach einem politischen Absentismus; im Gegenteil, ein solches politisches Anachoretentum wäre wider die Zeit und vom Katholischen her „menschenunwürdig“, wie Jostock sagt'.

Auf die Gegenständlichkeit einer in unbegrenzter Vielfalt sich äußernden Welt angewendet, werden die ewigen Wahrheiten der Offenbarung von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit in verschiedenster Form dokumentiert 'werden müssen. Man kann Dobrets-berger nur beipflichten, wenn er die bedingte Gültigkeit des Thomismus vor allem im Bereiche der Soziailethik betont und damis an eine Frage rührt4, deren Problematik im neueren deutschen Katholizismus vow Günther über Froschhammer bis zu E/ K. Winter Gegenstand ernster und leider nicht immer glücklicher Erwägungen war.

Die eine und absolute Wahrheit muß in jeder Zeit immer in neuen Wortgefügen dargestellt werden. Es wäre absurd, wollten wir die Themen und die Begriffe des Thomismus, die im Sozialen aus dem kleinstädtisch-feudalen Bereiche des großen Lehrers entstanden und für eine geschichtliche Phase abendländischer Entwicklung sicherlich ihre Gültigkeit gehabt haben, enge und wörtlich auf diese Zeit, die in ihrer Struktur eine völlig andere ist, anwenden. Das wäre ein Abfall in die Erstarrung der Orthodoxie und in einen widersinnigen Traditionalismus, der unweigerlich in der Lächerlichkeit eines feudalen Romantizismus enden müßte.

Aus ihrer Herübernahme ewiger Wahrheiten in die Geschichtlichkeit der Welt wird, etwa im sozialen Bereiche, jede christliche Haltung zu einer scheinbar kompromißlerischen. Im echten christlichen Kompromiß ist aber nicht Selbstentäußerung und Angst vor der Entscheidung offenbar, sondern der Wille zur Synthese von Diesseitigem und Jenseitigem und zum Abweichen von jedem Abfall an den Rand einer Entwicklung, zu den Extremen und zum Exzeß!

Dobretsberger hält eine Neuorientierung der katholischen Sozialpolitik gerade jetzt für notwendig, da die Welt sich „e n t-bürgerlich t“. Solange die Gesellschaft hinter dem Schleier kriegswirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen nur ein dürftiges Eigenleben der Menschen duldet, ist es kaum möglich, die Liquidation des Bürgertums, als soziologischer Gruppe, vorauszusagen. Ja, man muß im Gegenteil annehmen, daß in den hohen Kulturen jede Phase notwendig ihre zugehörige Klasscngestaltung in des Wortes weitestem Sinn, und ihre Schichtung von Interessentengruppen hatte. War doch auch die ständische Wirtschaft weitab der Ausdruck eines Gruppenegoismus, der nur durch die unerhörte Vitalität einer alles übergreifenden Idee gebändigt werden konnte. Wir haben Anlaß zu vermuten, daß sich jenseits des Drahtverhaues einer umfassenden staatlichen Reglementierung neuerlich ein ungeheurer Wille zur Freiheit regt, ein ursprünglicher Wille, der im ökonomischen bei einem seiner Aufbrüche seine abwegige Darstellung im Kapitalismus gefunden hat. Der Wille zur Freiheit ist ein christlich-männlicher. Wider den Kapitalismus steht aber die Kirche, nicht weil er sich als eine Summe von bestimmt gearteten Produktionskräften zeigt, sondern, weil er jede Ordnung zerstört, weil er kein Maß kennt und sich in legalisierter Zuchtlosigkeit äußert; nicht etwa, weil er die Freiheit in den Dingen diesseitiger Lebensgestaltung etwa garantiert, sondern, weil er die Freiheit des Stärkeren und damit notwendig die Unfreiheit des wirtschaftlich Schwachen proklamiert.

Wesentlich für die christliche Klassifikation des Kapitalismus und seines Ausgreifens ist nicht das Kapital als eine Güteranhäufung, sondern der kapitalistische Geist, der sich am brutalsten bei den großen Kapitalseignern äußert, aber sich auch etwa beim Bauern und beim Handwerker zeigt und daher notwendigerweise einen Sozialismus gebiert, als Protest und als konstruktive Idee, als Sklavenaufstand und als neuen Form willen.

Jede Zeit hat die notwendige Polarität von Individualismus und Kollektivismus, von Kapitalismus und Sozialismus. Wenn etwas wechselt, ist es die Intensität der Spannung. Insoweit dürfen wir also ohne Bedenken von einer „Berufung dieser Zeit zum Sozialismus“ sprechen, weil dieser seine Existenz seinem Widerpart, dem Individualismus und Kapitalismus, einer bleibenden Gegensätzlichkeit in der Weltordnung, verdankt. Etwas anderes ist es, Wenn wir mit dem Bürgertum etwa die „Bourgeoisie“ gleichsetzen wollen, die als eine geschichtliche Erscheinung im Spätkapitalismus unserer hohen Kultur sich mit diesem aufheben muß.

In der Klassengesellschaft, deren Existenz Dobretsberger anerkennt, geht er über das Vorhandensein eines Mittelstandes schweigend hinweg. Gerade die heute sichtbare Nivelüerung der Klassenunterschiede und die allgemeine Entgüterung auf der einen Seite und die Tendenz zur Ver-beamtung und Technisierung der Handarbeit auf der anderen Seite lassen die Be-S deutung des Mittelstandes wachsen. Für die soziale Neuordnung der Gesellschaft stellt der Mittelstand wegen seiner kompromißlerischen Struktur eine Brücke und die letzte Chance eines Versuches dar, das Gespräch zwischen den Grenzklassen aufzunehmen und dem Geistigen einen letzten, von aller Interessentenstimmung freien, Standort zu sichern.

Das Bekenntnis zu einem katholischen Sozialideal ist in einer weiten Vielfalt möglich. Warum dann die dem Nur-Poli-tischen entnommene und in ihrer Gültigkeit gerade jetzt sehr fragwürdige Einteilung der Meinungen in solche von „links“ und „rechts“? Wenn wir Katholiken uns nach „links“ orientieren sollen, muß man annehmen, daß wir jetzt „rechts“ stehen. Dobretsberger meint hier, wenn er von der „Festlegung des Katholizismus“ nach „rechts“ spricht, wohl einzelne Katholiken, wie es andererseits Katholiken gibt, die sich zu dfc Parteien der Linken bekennen, eben weil der Christ weitab in politischen Fragen mündig ist. Hier wäre eine weniger widerspruchsvolle Formulierung am Platz gewesen, um nicht die Meinung aufkommen zu lassen, die katholische Sozialethik sei Bestandteil eines Parteiprogramme und könne nur auf dem Umwege über ein solches ausgesprochen werden. Die Sozialethik des Katholizismus ist nur ein Rahmen, ein sehr weiter sogar, in dem Gruppierungen von links bis rechts, wenn man diese Begriffe anwenden will, ihren Platz haben können; sie ist eine Summe von Andeutungen und Grenzlinien. Man mag dies Soziologismus nennen, Bestimmung der Ideen aus den jeweiligen Milieu, Tatsache ist, daß am katholischen sozialen, Ideengefüge sich immer nur die Oberflächengestalt ändert, während das Ziel unverrückbar bleibt: Die Erhebung des Menschen zur Vollperson.

Auch da, wo Dobretsberger sich mit Vehemenz zur anonymen Diktatur des Etatismus bekennt, vermögen wir ihm nicht zu folgen. Es wird nach dem Zusammenbruch des entarteten Hochkapitalismus, der von Marx in einem unvergleichlichen Zeitgemälde gezeichnet wurde, kaum jemanden geben, der dieser Epoche des Abfalls der Menschen zu einem kollektiven Egoismus der Starken noch das Wort zu reden wagen würde. Gerade weil wir die Proklamation der Menschenrechte als eine christliche Entscheidung, wenn auch mit abwegigen Mitteln, ansehen, können wir nicht einen Weg einschlagen, an dessen Ende die Tyrannei der Herrenmenschen 'durch die Tyrannei eines Kollektivums, wie immer sich dieses nennen mag, ersetzt ist. Uns ist bange vor dieser Entwicklung zum totalen Kollektivismus, well sie die menschliche Person gefährdet und eine Unfreiheit durch eine andere ersetzt, während doch der Ursprung des Staates in der freien Entfaltung der Familie liegt und damit ein sittlicher ist.

Die Planwirtschaft, nicht die geplante Wirtschaft, ist nur eine verwaltungstechnische Etappe auf dem Wege zum totalen Staat, die einzelmenschliche und heute auch schon kollektive Angst vor diesem Staat ist nun zu einer christlichen geworden, weil in ihm die Chance einer wirksamen Berufung auf ein höheres allgemeines und verpflichtendes Gesetz fehlt, weil er letzte Instanz und in seinem Machtwillen ohne Grenzen ist.

Unser Wille aber soll nicht darauf gerichtet sein, die Macht des Staates zu erweitern, bis zu jener Phase der Entwicklung, wo niemand mehr von den Verantwortlichen das Ubergreifen des Etatismus in die letzte Sphäre des Persönlichen zu verhindern vermag. Im Gegenteil! Wir sollen versuchen, den Staat zum Dienst an der Gesellschaft zurückzuführen „zur vollen Achtung der Persönlichkeit und ihrem Streben nach Erreichung ihrer ewigen Ziele“ .

Viele Stellen im Werke Dobretsbergers wären besser ungeschrieben geblieben; es gibt

5 Pius XII: in der Weihnachtsbotschaft 1942, wiedergegeben bei Carlo Colombo „Zum Neubau der Gesellschaft“. Luzern 1945, S. 139.

Formulierungen, die man bedauern und als offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechend bezeichnen muß, wie überhaupt in weitem Umfange dem Buch gegenüber Reserve geboten ist. Man möchte fast behaupten, daß das Buch einen nicht wünschenswerten Beifall erhalten wird.

Trotzdem sind wir der Ansicht, daß das Werk, vielleicht auch wegen seiner Wider-Sprüche, einen Wert für die Weiterentwicklung des katholisch-sozialen Gedankens haben wird, und zwar: a) für die Wiederaufnahme der innerkatholischen Diskussion zur sozialen

Frage, deren Kommentierung in eine dogmatische Einseitigkeit abzugleiten drohte und b) für die Anerkenntnis der Tatsache, daß gerade im Sozialethischen vom Christlichen her eine Vielfahl von Aussagen möglich ist und der Rahmen, innerhalb dessen das Zwiegespräch “stattfinden muß, gar nicht weit genug gespannt werden kann, um auch in diesem Bereiche des Lebens das Universale der christlichen Wahrheit aller Enge einer zeitgebundenen Programmatik entgegenzustellen.

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