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Der Schritt in eine zerrissene Welt

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In den letzten zehn Jahren ist in der Kirche manches geschehen, was vielen Menschen, die sich im Glauben verwurzelt meinten, Schmerz zugefügt hat. In der Diskussion um die Verwirklichung der Ziele des Konzils ist oft die christliche Liebe und die brüderliche Zuwendung zu kurz gekommen. Aber die Schwierigkeiten der postkonziliaren Entwicklung dürfen nicht automatisch dem Konzil an sich in die Schuhe geschoben werden. Wir wollen nicht übersehen, daß viele der sogenannten postkonziliaren Schwierigkeiten nicht zuletzt durch die Massenmedien aufgebauscht worden sind. Randerscheinungen wurden aufgewertet, Einzelgängern, die nur für sich selbst oder eine Handvoll Anhänger sprechen, wurde bereitwilligst Publizität gewährt. Es ist nun einmal ein Lebensgesetz der Massenmedien in ihrer derzeitigen Struktur, daß für sie in erster Linie der Konflikt interessant ist.

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In den letzten zehn Jahren ist in der Kirche manches geschehen, was vielen Menschen, die sich im Glauben verwurzelt meinten, Schmerz zugefügt hat. In der Diskussion um die Verwirklichung der Ziele des Konzils ist oft die christliche Liebe und die brüderliche Zuwendung zu kurz gekommen. Aber die Schwierigkeiten der postkonziliaren Entwicklung dürfen nicht automatisch dem Konzil an sich in die Schuhe geschoben werden. Wir wollen nicht übersehen, daß viele der sogenannten postkonziliaren Schwierigkeiten nicht zuletzt durch die Massenmedien aufgebauscht worden sind. Randerscheinungen wurden aufgewertet, Einzelgängern, die nur für sich selbst oder eine Handvoll Anhänger sprechen, wurde bereitwilligst Publizität gewährt. Es ist nun einmal ein Lebensgesetz der Massenmedien in ihrer derzeitigen Struktur, daß für sie in erster Linie der Konflikt interessant ist.

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Dem Konzil selbst hatten ja die Massenmedien viel Aufmerksamkeit gezollt, obwohl es auch hier manche Entgleisungen und Überbewertungen von Nebensächlichkeiten gegeben hat. Das Konzil hat im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit getagt. Es hat Publizität gehabt wie kaum ein anderes großes Weltereignis.

Das mag auch mit der spezifischen geistigen Situation am Anfang der sechziger Jahre zusammenhängen. Es ist nicht unwichtig, sich diese Situation vor Augen zu halten, um das Konzil zu verstehen. In diesen letzten zehn, fünfzehn Jahren ist viel geschehen. Damals — 1959 —, als Papst Johannes das Konzil ankündigte, diskutierte man überall das Ende des ideologischen Zeitalters, die Stunde der Technokraten schien angebrochen. Man hielt Ausschau naoh allgemein verbindlichen Werten, auf denen diese Technokraten aufbauen könnten. Heute sind alle die Ideologen des 19. Jahrhunderts, von denen wir damals meinten, sie seien verstaubte Relikte der Vergangenheit, kräftiger denn je zurückgekehrt. Wir stehen mitten in einer „Reideologisierung“. Damals, als das Konzil ausgerufen wurde, profitierte die Kirche gerade noch vom Abglanz der „goldenen zwanziger Jahre“ nach 1945, in denen die Kirche nach den bitteren Erfahrungen von Krieg und Faschismus allgemein Respekt genoß. Heute bläst der Kirche wieder der Wind ins Gesicht. Gesellschaftspolitischer Pluralismus, das hieß damals doch noch, daß Konsens über ein Mindestmaß an gemeinsamen Werten bestand. Christen und Anhänger einer innerweltliohen Ethik waren sich. über viele Dinge einig. Nicht zuletzt — naoh den gemeinsamen Erfahrungen — über die Unantastbarkeit des Lebens. Heute steht nichts mehr außer Streit. Und noch eines sollte man bei der unterschiedlichen Bewertung des Konzils und nachkonziliaren Phase bedenken : Als die große Kirohenversamim-lung in Rom tagte, bestimmte ein noch ungebrochener Fortschrittsoptimismus die geistige Atmosphäre. Man war sich darüber einig, daß die Erfahrungen der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts eine Lehrzeit gewesen seien, daß aber der ungeheure Fortschritt des technischen Wissens und der wirtschaftlichen Entwicklung den Schlüssel zur Lösung der menschlichen Probleme Hefern würde. Der Versuchung lag nahe, diese Stimmung auch religiös zu interpretieren. Konnte man nicht in den wunderbaren neuen Mitteln zur Ausnützung der vorhandenen Resourcen auch ein Geschenk Gottes an die Menschheit sehen, um den biblischen Auftrag des „Macht euch die Erde Untertan“ zu erfüllen? Von „Grenzen des Wachstums“ wurde damals jedenfalls nooh nicht gesprochen. Heute wird die geistige Situation vom Krisendenken beherrscht und es ist nur zu verständlich, daß dies bei der engen Verzahnung von Kirche und Welt auch seine Auswirkungen im kirchlichen Bereich haben muß.

Die Verzahnung von Kirche und Welt wieder ganz bewußt gemacht zu haben, ist ein bleibendes Verdienst des Konzils. Diese Verzahnung hat es immer gegeben, aber in der neuzeitlichen Entwicklung, besonders im 19. Jahrhundert war die Versuchung groß, einfach im Innern der Kirche eine heile Gegenwelt aufzubauen, nachdem man den Gang der wahren Welt nicht mehr beeinflussen konnte.

Mit der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute hat das Konzil falsche Frontstellungen zu überwinden versucht und den Christen wieder jenes Bild ins Gedächtnis gerufen, das die Situation der Gemeinde Jesu Christi vom ersten Augenblick an geprägt hat: Die Kirche in der Welt, mitten in der

Welt. Sie ist ja zu den Menschen dieser Welt gesandt, um ihnen das Heil Gottes durch Christus zu bringen. Aber die Kirche ist deshalb nicht von der Welt, sie ist auch schon zeichenhafter Anfang des Reiches Gottes, das der Vollendung vorbehalten ist Auch hier wird man sagen müssen, daß in der öffentlichen Diskussion in den ersten Jahren nach dem Konzil allzu sehr nur der erste Aspekt gesehen worden ist: das Mit-ten-in-der-Welt-Sein, die Anteilnahme an den Leiden und Freuden dieser Welt.

Ergebnisse für Friedensinitiativen Aber es ist ohne Zweifel ein bleibendes Ergebnis des KonzUs, daß es das Tor zum Gespräch zwischen Kirche und Welt weit aufgestoßen hat. Die Kirche hat sich die Hoffnungen und Ängste der Menschheit zu eigen gemacht. In der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute heißt es: Noch niemals verfügte die Menschheit über so viel Reichtum, Möglichkeiten und wirtschaftliche Macht und doch leidet noch ein ungeheurer Teil der Bewohner unserer Erde Hunger und Not, gibt es unzählige Analphabeten, niemals hatten die Menschen einen so wachen Sinn für Freiheit wie heute, und gleichzeitig entstehen neue Formen von gesellschaftlicher und psychischer Knechtung. Die Welt spürt lebhaft ihre Einheit und die wechselseitige Abhängigkeit aller von allen in einer notwendigen Solidarität und wird zugleich heftig von einander widerstreitenden Kräften auseinandergerissen. Denn harte politische, soziale, wirtschaftliche, rassische und ideologische Spannungen dauern an.

Selbst die Gefahr eines Krieges besteht weiter, der alles bis zum Letzten zerstören würde. Zwar nimmt der Meinungsaustausch zu und doch enthalten die gleichen Worte, in denen sich gewichtige Auffassungen ausdrücken, in den verschiedenen Ideologien einen sehr unterschiedlichen Sinn.

Die Konzilväter haben sich also keinen Illusionen hingegeben. Sie haben die Lage kühl analysiert und dann den einzigen Schritt getan, der vom christlichen Verständnis her möglich ist: den Schritt hinaus in diese zerrissene Welt, um zu hören und zu verstehen, um ins Gespräch zu kommen und Hilfe anzubieten. Diese Haltung ist im übrigen von „der Welt“ ganz gut verstanden und teilweise auch honoriert worden. Die internationale Stellung der Kirche hat sich in den Jahren seit dem Konzil ständig gefestigt. Die Friedensinitiativen der Kirche mögen nach außen nicht spektakulär sein, aber Aufgabe der Christen ist es, nun einmal nicht im Scheinwerferlicht zu stehen, sondern als Sauerteig zu wirken: unscheinbar, von außen gar nicht sichtbar. Und schließlich ist äußerer Erfolg keine Kategorie des

Evangeliums. Trotzdem können die Friedensinitiativen der Kirche auch jetzt bereits konkrete Ergebnisse vorweisen. So zum Beispiel die Verankerung des Rechts auf Religionsausübung in den Dokumenten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenleben in Europa. Gewiß ist Papier geduldig. Aber ein erster Anfang ist immerhin gesetzt. Vor 60, 70 Jahren wäre eine solche internationale Aktivität der Kirche noch undenkbar gewesen. Die Regierenden jener Zeit hätten sie als skandalös empfunden.

Die kühle, aber bestimmte Abweisung des Versuches Benedikts XV, während des Ersten Weltkrieges zu vermitteln, spricht da eine beredte Sprache.

„Drei konzentrische Kreise“

Das Konzil hat aber auch im Bewußtsein der einswerdenden Welt mit den großen Weltreligionen und den geistigen Strömungen der Gegenwart Verbindung aufgenommen. Auch hier ging es dem Konzil und geht es der Kirche nicht zuerst um Bekehrungsabsichten, sondern darum, diese geistigen Erscheinungen in ihren Aussagen ernst zu nehmen, sie zu verstehen und die Hilfe der Kirche anzunehmen. Die Kirche wollte den Teufelskreis der Verleumdungen und der Gewalt durchbrechen und die Grundlage für eine geistige Auseinandersetzung zwischen den religiösen und weltanschaulichen Strömungen der Gegenwart schaffen. Das einzige, was sie dabei verlangt, sind Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit für sie und ihre Mitglieder, weil eine geistige Auseinandersetzung eben nur in Freiheit vor sich gehen kann.

Papst Paul VI. hat in seiner Enzyklika „Ecclesiam suam“ den großen Dialog der Kirche nach außen in ein System gebracht, das man unter dem Bild der drei konzentrischen Kreise sehen kann. Er hat für den Dialog mit den getrennten Christen das Sekretariat für die Einheit der Christen geschaffen. Mit den getrennten Christen hat die Kirche den Glauben an das Heilshandeln Gottes in Christus gemeinsam. Für das Gespräch mit den großen Weltreligionen wurde das Sekretariat für die Nicht-christen geschaffen. Mit einem Teil von ihnen fühlt sich die Kirche eins im Glauben an den einen Gott, mit anderen verbindet sie die Sehnsucht nach dem Göttlichen. Und schließlich wurde für die Auseinandersetzung mit dem modernen Atheismus das Sekretariat für die Nichtglau-benden eingerichtet. Auch im Gespräch mit ihnen findet sich eine gemeinsame Basis: die Conditio hu-mana. Dort, wo der Atheismus Staatsideologie ist, hat man sich bisher nur sehr zögernd und in manchen Ausnahmefällen zur Aufnahme eines Gespräches bereit erklärt. Aber präsumptiver Dialogspartner des Sekretariates ist keineswegs nur der Staatsatheismus, sondern auch jener

Atheismus, der unter anderen Formen in anderen Ländern sioh immer stärker bemerkbar macht.

Dazu gehört nicht zuletzt die religiöse Indifferenz und Gleichgültigkeit

Der Staat in Dienstleistungsfunktion

Ein Problem für die Kirche von heute ergibt sich aus der Tatsache, daß' wir auoh in der Kirche in den letzten Jahren den Menschen zu sehr auf seine Ratio beschränkt haben. Bisweilen schien es, als sollten die Kräfte des Gemüts, die schöpferische Phantasie auch aus dem religiösen Leben verbannt werden. Nun gehören aber Herz und Gemüt genauso zu Menschen, wie der prüfende und wägende Verstand und das Gewissen. Wenn diese Kräfte nicht mit echten religiösen Werten erfüllt werden, besteht die Gefahr, daß sich hier Unwerte einnisten. Das Vordringen der Sekten, des Aberglaubens in manchen Bereichen der jugendlichen Subkultur, ist ein deutliches Alarm-zeiohen.

Nicht zu übersehen sind auch die Tendenzen zur religiösen Minderbewertung des Sittlichen, die Sohärfe des biblischen Anspruches an das Leben des konkreten Menschen, wird allzuoft in ein einseitig politisch-gesellschaftskritisches Ethos verflacht. Das biblische Gesamtethos wird in eine primär bloß politisch aufklärerische Moral umgedeutet, die Ambivalenz menschlicher Bestrebungen in einem naiven Aufbruchsoptimismus unterschätzt. Hier wird die Kirche wieder deutlicher den Mut haben müssen, Sittlichkeit als etwas zu verkünden, das in erster Linie den konkreten Einzelmenschen betrifft Das heißt nicht — gegen-

über einer Strategie des individuellen Seelenheiles „Rette deine Seele“ — die soziale Verpflichtung wieder in den Hintergrund treten zu lasseh. Es bedeutet vielmehr, zu zeigen, wo der Schwerpunkt der Verantwortung liegt: In der Wahrnehmung der individuellen und sozialen Pflichten durch den einzelnen und nicht in einer mit abstrakter Verantwortung oder Schuld zu beladenden „Gesellschaft“.

Gerade im Bereich des Verhältnisses von Kirche und Gesellschaft von Kirche und Staat, ist es bisher gelungen, den Vorstellungen des Konzils im Bewußtsein aller Katholiken zum Durchbruch zu verhelfen und gleichzeitig den Partnern im Dialog mit der Welt die Haltung der Kirche verständlich zu machen. Noch immer wird die Kirche mit Hierarchie und Klerus identifiziert, namentlich im Sprachgebrauch der Massenmedien. Die Zurückhaltung der Bischöfe in tagespolitischen Fragen wird noch immer gern als Rückzug in die Sakristei ausgelegt. Dagegen steht die große Konzeption des Konzils: Katholiken, die als freie und mündige Bürger in allen Bereichen staatlichen und gesellschaftlichen Lebens mitreden und mitdenken und überall spezifisch christliche Werte einbringen unter der Leitung von Bischöfen, deren Aufgabe es ist, zu entscheidenden Fragen des Gemeinwesens — von den Grundsätzen des Evangeliums und der christlichen Ethik ausgehend — Stellung zu beziehen, ohne daß dies von den Partnern des Dialogs sofort als

Kampfansage interpretiert wird. Den Hintergrund des Entwurfes des Konzils bildet auch eine nicht totalitäre Auffassung vom Staat. Nicht ein Staat, der sich als mythisches Überwesen begreift, der sioh in alles und jedes einmengt, seine Bürger gängelt, sondern ein Staat in Dienstleistungsfunktion, der regelt und eingreift und der der Initiative gesellschaftlicher Gruppen Spielraum läßt, das bestimmte die Überlegungen der Konzilsväter.

Das Konzil ist von der Überzeugung ausgegangen, daß die großen Probleme der Welt von heute geistige Wurzeln haben. Es-hat in Kirche und Welt den Versuch gemacht, aus der Defensive zur Offensive überzugehen. Seine Großherzigkeit, sein weiter Blick sind nicht immer richtig verstanden worden. Aber noch stehen wir mitten in dem Prozeß, den das Konzil in der Kirche, wohl auch über ihre Grenzen hinaus, ausgelöst und in Bewegung gesetzt hat. Die Erneuerung der Kirche ist eine Chance, eine providentielle Chance. Jetzt kommt es auf jeden einzelnen von uns an, ob der Impuls des Konzils verwirklicht wird, ob das zeichenhaft schon angebrochene Reich Gottes in dieser Welt deutlicher Kontur annimmt

Alles, was das Konzil an Beschlüssen gefaßt, an Reformen eingeleitet hat, bliebe aber letztlich nutzlos, wenn nicht der neue Geist einer erneuerten Kirche, einer brüderlichen Kirche, die sich den Werken der Lirbe und des Friedens widmet, Einzug halten würde in die Herzen eines jeden einzelnen Christen. Denn wenn das Samenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es viele Frucht.

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