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Weltlage und Weltkirche

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Am 2. Juni 1951 veröffentlichte Papst Pius XII. die Enzyklika über die Förderung der katholischen Missionen „Evan-gelii praecones“. Die dominierende Bedeutung des Missionswerkes im Aktionsfeld der Kirche erhellt wohl die Tatsache, daß innerhalb von drei Jahrzehnten das Papsttum dreimal in immer steigender Gedankenfolge und wachsender Dringlichkeit in der feierlichsten Form seiner Verlautbarungen zum Werke der Glaubensverbreitung Stellung nimmt.

Als Leo XIII. 1898 seine Missionsenzyklika veröffentlichte, trug die Missionsarbeit in den Augen der Katholiken noch den Charakter des Vereinzelten und Gesonderten. Die Kulturen der Völker standen noch untereinander in keinen Beziehungen, sie waren scharf voneinander geschieden und dem Europäer nahezu fremd. Das Rundschreiben unseres Heiligen Vaters geht aus ganz geänderten Voraussetzungen hervor. Die kulturellen Differenzierungen der Völker streben immer stärker in wesentlichen Dingen zur Einheit und gegenseitigen Ergänzung. Familien-, Stammes-, nationale und kontinentale Blickrichtung sind geweitet und in das internationale, planetarische Stadium getreten. Die Völker der Erde gehen der Verwirklichung eines der Kennzeichen der Kirche entgegen, der Einheit und Universalität. Wenn heute die Welt durch politische Spannungen, durch Kriegsangst und Weltangst in Atem gehalten wird, so sind diese nicht verursacht und getragen vom Willen und der seelischen Haltung der Völker, sondern das spannungszeugende Getriebe lebt nur von einem von der ganzen heutigen Menschheit abgelehnten politischen Konzept und wirtschaftlichen Interessen. In der Volkwerdung der amerikanischen Nation aus Gliedern aller europäischen Stämme haben wir die Vorläuferin der modernen Menschheitsentwicklung zur Einheit. Sie wird sich nach menschlichem Ermessen in absehbarer Zeit zuerst in Ozeanien vollenden, wo heute bereits 50 Prozent der Bevölkerung anderen Kontinenten entstammen.

Dieses Hervortreten des Verbindenden und Einheitlichen im Völkerleben hat eine neue Lage für die Weltkirche geschaffen, denn diese nach äußerer leiblich-fleischlicher Einheit strebende Welt soll doch der Leib der Stadt Gottes werden.

Mit dieser mehr äußerlichen Entwicklung geht eine geistige parallel: ein gegenseitiges Durchdringen des Geistesguts der Völker. Mehr, als wir es wahrhaben möchten, sind buddhistische und hinduistische, pan-theistisdie und theopanistische Gedankenreihen in unser Geistesleben und unsere Literatur eingedrungen. Diese gedankliche Beeinflussung geht heute weiter und tiefer als im Aufklärungszeit-älter, da' die Philosophen dieser Richtung im Konfuzianismus das , Musterbeispiel einer voraussetzungslosen Moral gefunden zu haben glaubten und ihn als die neue Ethik für ein gottgelöstes Europa anpriesen.

Andererseits ist auch das christliche Gedankengut bereits tief in die Ideenwelt der nichtchristlichen Kontinente eingedrungen. Die Presse der farbigen Rassen ist reich mit Artikeln über christliche Ideen erfüllt. Das christliche Lehrgut steht zu entscheidungsschwerer Diskussion. Nach ihrem Versagen, besonders in der Frage nach dem Sinn des Daseins und des Leids, in den Erschütterungen der jüngsten Zeit, bauen die heidnischen Religionen christliche Lehren, besonders der Nächstenliebe und sozialen Gerechtigkeit, in ihr System ein, um dadurch neue Kraft für ihre Wiederbelebung zu gewinnen.

Durch die Technisierung und Industrialisierung der Erde ist die Menschheit in eine W e 11 p r o b 1 e m a t i k gespannt. Es gibt heute kaum Fragen von einiger Bedeutung, die geographisch und örtlich begrenzt sind. Die Fragen des sozialen Ausgleichs, der Wirtschaftsentwicklung, des Lebensraums und des Friedens bedrücken alle Völker und bannen sie in eine Srhicksalsgemeinschaft. Hinter all diesem ist die Weltanschauungsfrage die entscheidende geworden. Aus der Vielheit des Gegen- und Nebeneinander in der Lösung der Probleme haben sich zwei klar geschiedene weltanschauliche Fronten entwickelt: die religiöse Strömung, die alles umfaßt, was an Gott oder ein höchstes Wesen und das Jenseits glaubt, und die materialistische, gottgelöste, die im Kommunismus ihre konsequenteste Ausprägung gefunden hat.

Als eine unerwartete Folge der drängenden Entscheidung ist das Streben der nichtchristlichen Religionen nach Zusammengehen mit der Kirche im Kampf mit dem gemeinsamen Gegner zu buchen. Allen voran spricht der Islam dieser Einheitsfront das Wort. Einer seiner maßgebenden Führer trug dieses Anliegen Pius XII. vor. Waffenstillstand zwischen den Religionen im Kampf gegen die Gottlosigkeit? Eine bestechende Ideel — Indessen kann und darf die Kirche als einzige Trägerin der ganzen von Gott geoffenbarten Wahrheit nie und nirgends — auch nicht in den jetzigen Verhältnissen — auf die ihr gegebene göttliche Mission verzichten. Sie würde sich selbst aufgeben. Aber sie weiß um den Logos spermatikos, der oft aus den Lehren der anderen Religionen hervortritt, und daß jede Wahrheit, wo immer sie sich findet, vom Heiligen Geiste kommt. Fernab von jedem Synkretismus fordert die Kirche von ihren Kindern Ehrfurcht und Achtung vor der Majestät des subjektiven Gewissens, vor der Uberzeugung des nach Gott suchenden Menschen. Diese ehrfürchtige Liebe und Achtung bilden das Bindeglied, das die Wahrheit nicht verdunkelt, aber stark genug ist zu gemeinsamem Kampf.

Hingegen ist auch der Kommunismus eine Art Weltanschauung mit religiösen Elementen, ein Stück Messianismus. Der Heros seiner Parusie ist aber nicht der Gottmensch, sondern der irdische Mensch. Er fordert blinden Glauben und das Ganzopfer des Menschen für ein künftiges Ideal, die neue Erde. Wer dafür nicht ohne Einschränkung eintreten will, verfällt bedenkenlos der „Säuberung“.

Als Pius XL vor 25 Jahren seine Enzyklika „Rerum ecclesiae“ schrieb, hatten sich die beiden Fronten noch nicht klar abgehoben. Damals zielte das Bemühen der Missionen darauf, die Seelen vom Heidentum zum Christentum zu führen. Der Mensch wurde vor eine Alternative gestellt. Eine dritte Hypothese gab es nicht. Mit dem Kommunismus trat dies« dritte geistige Kraft in das Spannungsfeld. Indien hat zu wählen zwischen Hinduismus oder Christentum oder Kommunismus. Nordafrika zwischen Islam oder Christentum oder Kommunismus. China erlebt heute die ganze Gewalt der dritten Kraft. Korea, Japan, Birma, Indonesien sind in ähnlicher Situation. Deshalb schreibt die Enzyklika Pius' XII. vor, die Grundsätze, die er gegen den gottlosen Kommunismus aufgestellt hat, auch in den Missionen in gleicher Weise und gleicher Strenge wie in den westlichen Ländern anzuwenden.

In dem entbrannten Entscheidungskampf steht heute die Kirche in China im Trommelfeuer des Gegners. Es geht um die Kirche Asiens, ja, um die Weltkirche. Es kann hier nicht ihr Leidenskatalog angeführt werden. Aber in dieser äußerlich hoffnungslosen Lage zeigt sich hier die Kirche — in krassem Gegensatz zu den landesüblichen Religionen — als eine geistige Macht, die durch brutale Gewalt nicht zu überwinden ist. Beraubt aller bisher üblichen Propagandamittel, ohne Kirchen und Kapellen, ist die Kirche wirksam durch ihr Zeugnisgeben für Christus, und zwar in einer einmaligen Treue, die den Vergleich mit den Verfolgungen der ersten Jahrhunderte nicht zu scheuen braucht. Nicht ein einziger Priester hat sich bisher schriftlich zu der von den Machthabern angestrebten romfreien chinesisch-nationalen Kirche bekannt. Die Zahl der Abfälle vom katholischen Glauben hat im Feuer der Verfolgungen bei weitem nicht den Prozentsatz der seinerzeitigen Los - von - Rom-Bewegung oder ähnlicher Bestrebungen politischer Gruppen in unserem Land erreicht. Die junge Kirche lebt aus eigener innerer Kraft. Wenn Pius XII. in China und großen Teilen Afrikas die einheimische Hierarchie errichtete und bereits 15 Prozent der Missionsgebiete einheimischen Bischöfen anvertraute, so sagt das für die Beurteilung der Lage der Missionskirche mehr als die Tätsache, daß im letzten Jahrhundertviertel die Zahl der Katholiken in den nichtchristlichen Ländern von 15 auf 28 Millionen angestiegen ist. Diese hierarchische Neuordnung auf dem Missionsfeld erfolgte aus der Voraussicht der künftigen Entwicklung und der Erkenntnis der dort lebendigen inneren Dynamik. Diese innere Lebenskraft der M i s s i o n s k i r c h e ist eben das Neue, das auch für Europa und die christliche Welt eine mahnende Erkenntnis werden muß.

Diese Skizze des geistigen Profils der Kirche im Werden zeigt wohl deutlich, daß heute Weltmission ein Stück Weltschicksal geworden ist. Daraus wird erklärlich, daß „Evangelii praecones“ sich auffallend kurz mit den missionarischen Aufgaben der Heimat befaßt. Die Missionspflicht der Heimat setzt der Papst als selbstverständlich voraus. Aus der Gliedschaft jedes Gläubigen am Corpus Christi mysticum folgert der Papst die individuelle, persönliche Verantwortung jedes Katholiken für die Ausbreitung des Gottesreiches auf Erden. Deshalb: .Wir alle müssen heute Missionare sein“, wenn auch die Nöten und Sorgen um den eigenen kleinen kirchlichen Kreis schwer drücken. Denn: »Wir versichern allen treuen Dienern der Kirche: Die Mitarbeit der Gläubigen am Missionswerk wird als reiche Frucht eine Erneuerung des Glaubenslebens der Gemeinden zeitigen. Je größer der Missionseifer, desto blühender das religiöse Leben.“

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