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Missioniert, aber nicht immer überzeugt

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Europa ist seit fast 2000 Jahren ein weitgehend christlicher Kontinent. Das europäische Christentum ist aber keine Einheit, sondern in viele Denominationen aufgespaltet. Die Orthodoxie im Osten kennzeichnet das Gebiet und die Einflußsphäre des ehemaligen oströmischen Reiches. Das übrige Europa ist vom lateinischen Westen geprägt, nicht aber in gleicher Weise vom römischen Papsttum, denn im 16. Jahrhundert hat es aus theologischen und politischen Gründen Neuorientierungen gegeben. Komitees angesichts dieser Lage ein sinnvolles Ziel sein, einzelne Konfessionen zu stärken oder erweist sich nicht vielmehr jeder Versuch einer Intensivierung des Christlichen zugleich als eine ökumenische Aufgabe?

Ein gedrängter Rückblick in die Geschichte der Christianisierung Europas kann keine Antworten auf heutige Fragen bringen, vielleicht aber lassen sich einige weiterführende Aspekte andeuten.

Obwohl der Fachbegriff “Mission“ für die Ausbreitung des Christentums erst aus dem 16. Jahrhundert stammt und die organisierte Glaubensverkündigung durch kirchliche Orden und Institutionen bezeichnet, ist der Sache nach das Christentum von seinem Ursprung an missionarisch gewesen. Der geographische Raum des antiken Christentums ist das Römische Reich rund um das Mittelmeer gewesen, das durch seine kulturelle und sprachliche Einheit der Verbreitung entgegenkam. Nach der Konzeption, die Lukas in seiner Apostelgeschichte entwickelt, war das Christentum über die ganze Welt verbreitet, nachdem es in den wichtigsten Städten des Reiches und schließlich auch in der Stadt Rom selbst Fuß gefaßt hatte.

Die kleinen christlichen Gemeinden wurden Kristallisationspunkte für die Gewinnung immer neuer Menschen. Trotz vieler Benachteiligungen und Verfolgungen bekannte sich schon fast die Hälfte der Bevölkerung des riesigen Reiches zum Christentum, als Kaiser Konstantin ihm die Anerkennung als öffentliche Religion gewährte und die Funktion des offiziellen Staatskultes übertrug. Danach dauerte es nur zwei Generationen, bis es Kaiser Theodosius zur alleinigen Staatsreligion erhob. Für seinen Zeitgenossen, Bischof Ambrosius von Mailand, war Römer sein und Christ sein identisch.

Der große Erfolg des frühen Christentums ist auf keine einheitliche oder gar systematische Missionsmethode zurückzuführen. Plinius der Jüngere schrieb einmal, das Christentum, “dieser Aberglaube“,breite sich aus wie eine Seuche durch Ansteckung. Positiv gewendet: Das Christentum hat sich verbreitet durch seine Anziehungskraft, durch die Berührung, die andere Menschen zu ihm fanden, durch das Hörensagen, durch das Beispiel, durch die Art der Lebensführung, durch den Mut und die Zuversicht der Christen selbst noch im Tode: semen est sanguis christianorum (Tertullian).

Nicht eine “Lehre“ hat die Menschen überzeugt, denn der Glaube war eine Arkandisziplin und die Gottesdienste waren nur den Mitgliedern zugänglich; wohl aber verstand es das Christentum, wesentliche Elemente des damaligen religiösen Bewußtseins zu integrieren und überzeugend vorzuleben. Hierzu gehört das Bekenntnis zu einem Gott, der die Vielheit der griechischen Gottheiten überwand, das Geheimnisvolle der Mysterienreligionen, das sich im christlichen Kult und in seinen Sakramenten wider spiegelte, die ethische Auffassung und das sittliche Leben, das den höchsten Ansprüchen griechischer Philosophie entsprach. Schließlich aber das Bild des barmherzigen und gnädigen Gottes, das dem antiken Menschen half, seine Angst vor willkürlich waltenden Dämonen und Mächten zu überwinden.

Lange bevor das Römische Reich zerfiel, waren neue Volksstämme in seinen Bereich eingedrungen. Von den geistig und kultmell überlegenen Römern übernahmen sie auch deren christliche Religion. Im Osten, wo das Römische Reich ideell bis zur Eroberung Konstantinopels 1453 bestand, erhält sich auch die

Identität von Christentum und Reich. Neu hinzugewonnen werden vor allem die benachbarten slawischen Völker.

Im Westen zerfällt das antike Reich, neue germanische Staaten entstehen. Bestand haben nur diejenigen, die den christlichen Glauben der zahlenmäßig überlegenen römischen Bevölkerung übernehmen, und zwar in der Form, wie er sich im Westen und nach einigen Kämpfen auch im Osten durchgesetzt hatte.

Die neuen Völkerstämme traten meist geschlossen zum neuen Glauben über Ausschlaggebend war die Entscheidung des Stammesführers. Die weitere Verbreitung geschah nicht ohne Zwang oder zumindest starken Druck. Wieweit die einzelnen vom christlichen Glauben ergriffenwurden, läßt sich nur schwer feststellen. In vielen Fällen jedenfalls war noch nach Jahrhunderten die innere Gewinnung der Christen für den Glauben notwendig, wie es sich am Beispiel der Reorganisation der fränkischen Kirche durch die angelsächsischen Missionare darstellen ließe.

Gegenüber dem Partikularismus einzelner Stammesgottheiten stellte sich das Christentum als universale Religion dar und ermöglichte den Germanen die innere Verbindung zu den alten Völkern Europas und zur antik-christlichen Kultur Aus dem politischen Chaos rivalisierender Stämme in der Völkerwanderungszeit wies das Christentum einen Ausweg in ein auf göttlicher Ordnung beruhendes, supranationales christliches Imperium. Diese Verbindung stellt sich nicht in historischer Kontinuität dar wie im Osten, sondern die Kirche, insbesondere der Bischof von Rom, vermittelt den Traditions Zusammenhang sowohl zum christlichen wie zum römischen Altertum.

Die Völker, die einzelnen Gruppen und auch der einzelne Mensch hatte einen festen Platz im gottgewollten “ordo“. Durch seine Kirche bewirkte Gott die Fortexistenz des römischen Imperiums und rettete die Welt damit gnadenhaft vor der antichristlichen Anarchie. Auch zur Ordnung des Wissens, der geistigen und der künstlerischen Kräfte bot sich der christliche Glaube an.

Die autoritativ von der Kirche vorgestellte Ordnung der Welt mit Diesseits und Jenseits, mit Überund Unterordnung, beginnt der Mensch in Frage zu stellen, als er zu Beginn der Neuzeit sich für die Welt um ihn her und für sich selbst interessiert. Die Autorität wird nicht mehr als Hilfe zur Sinndeutung erfahren, sondern als imerträgliche Machtentfaltung und als Hemmnis der evangeliumsgemä Ben Ordnung.

Die Rückbesinnung auf das unmittelbare Wort Gottes führte zu der Forderung, die Kirche auf ihre geistliche Autorität und ihre religiösen Aufgaben zu begrenzen. Sie konnte im Namen Gottes selbst erhoben werden, weil Gott erfahren wird als der Garant menschlicher Freiheit und persönlicher Rechte. Er gibt dem einzelnen Menschen Frieden durch seine barmherzige Zuwendung.

Weniger an den theologischen Inhalten selbst, eher am Kampf um ihre Durchsetzung zerbrach die abendländische Einheit. Gleichzeitig wurden in der frühen Neuzeit neue Länder und Kontinente entdeckt und der christliche Glaube über die ganze Welt ausgebreitet.

Die zunehmende Differenzierung zwischen Staat und Kirche, eine Folge der Reformation, aber vor allem auch der Säkularisation christlicher Werte durch die Aufklärung führte dazu, daß der anfänglich oft mit Zwang verbreitete Glaube der Eroberer dennoch innerlich akzeptiert werden konnte. Die geschichtlichen Bedingungen der Zeit haben dem abendländischen Christentum weit über seine Grenzen hinaus weltweite Bedeutung erbracht, exportiert wurde jedoch auch die Spaltung der christlichen Kirche.

Die Bedeutung der institutioneilen Kirche trat immer mehr zurück. Viele ethische und soziale Aspekte des christlichen Glaubens traten der Kirche in säkularisierter Form entgegen und wurden zeitweilig von ihr bekämpft, so Vorstellungen individueller Freiheit, gesellschaftlicher und sozialer Gleichheit und öffentlicher Solidarität. Christliche Grundauffassungen begegnen uns in den meisten humanistischen Bestrebungen der Neuzeit wieder Den Menschen fällt es schwer, ihre eigenen Anliegen und Vorstellungen in der Botschaft der Kirche als Befreiung und freiheitsfördernd wiederzuerkennen.

Nachdem das 19. Jahrhundert einen großen Aufschwung der Überseemission sowohl in der katholischen Kirche, aber auch in den evangelischen Kirchen gebracht hatte,

erkannte die Theologie klarer das “Missionarische“ als einen Grundzug der Kirche. Der Glaube ist kein Gut, das einfach weitergegeben werden kann, sondern er bedarf der je individuellen Annahme und Verwirklichung in jeder Zeit.

Ohne historischen Abstand ist es schwer, zu entscheiden, welche Aspekte des Christlichen den Menschen in ihren heutigen Nöten am meisten helfen könnten. Gültig bleibt die in der Anfangszeit der Kirche gemachte Erfahrung, daß das überzeugende Leben der Christen die größte Zeugniskraft hat. Jeder Versuch einer Neumissionierung muß bei den Nöten und Sorgen der heutigen Menschen ansetzen.

Falls Einigkeit darüber besteht, daß die Verkündigung des christlichen Glaubens auch ein Beitrag zur Befreiung des Menschen ist - so wie es im Altertum als Befreiung von Dämonen und bösen Mächten, im Mittelalter als Befreiung von Chaos und Unordnung und in der frühen Neuzeit als Befreiung von geistiger und geistlicher Bevormundung empfunden wurde -, dann kann man mit Ekkhard Mühlenberg für die Neuzeit den Glauben an den christlichen Gott vielleicht als Beitrag zur Überwindung menschlicher Selbstversklavung verstehen. Eine Befreiung von politischer und sozialer Unterdrückung, von ideologischer Abhängigkeit, vor allem aber auch von den tiefen inneren Ängsten.

Nicht Furcht vor einem richtenden Gott, sondern die lebensschaffende Liebe könnte heilend wirken. Ein durch den Glauben zur eigenen Freiheit und Verantwortung befreiter Mensch kann nicht an seiner äußerlichen Kirchlichkeit gemessen werden. Insofern wird auch das Verhältnis von christlichem Glauben und kirchlicher Bindung neu zu bedenken sein.

Der Autor ist Professor für Religiofugesduehte an der Universität Mainz.

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