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DIE KIRCHE DER ZUKUNFT

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Papist Johannes XXIII., der von vielen als ,.Übergangspapst“, das heißt als interimistische Lösung angesehen wurde, ist tatsächlich zum Übergang der Kirche in ein neues Zeitalter geworden. Die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils unter dem Vorzeichen des „aggiornamento“ der Kirche an ihre geänderte Situation in einer sich ständig wandelnden Welt war das Symbol seiner Inspiration. Noch können die Ergebnisse seines Pontifikates nicht abgeschätzt werden, aber dessen Tendenzen sind unverkennbar. Der Papst, konservativer Bauer von Abstammung, ist ungehemmt von theologischen Ideologien und ihrer Präjudizierung des geschichtlichen Handelns der Kirche: er ist Realist und ,,Optimist“; Realist in der geschichtlichen Betrachtung der Weltdinge und Weltzustände, die von ihm in ihrer Gewichtigkeit, aber auch in ihrer Relativität und Veränderlichkeit genommen werden, Optimist in einem profunden theologischen Sinn des Vertrauens auf die Gottgeschaffenheit des Menschen und auf den Heilssinn der gesamten menschheitlichen Entwicklung. In einer Periode, in der der Mensch seine perfektionierte, zivilisatorisch und kulturell hochentwickelte Welt zu zerstören droht, in der Philosophien der Verzweiflung den Ekel am Leben verbreiten, hat Johannes sein Werk der Friedensstiftung („Selig die Friedensstifter!“) aufgenommen und dagegen protestiert, in der Moderne nichts als eine Geschichte des Unheils und der Verirrungen zu sehen (ohne freilich damit den wilden „Täufern“ aller Häresien und Antichristen Legitimation zu geben). Noch ist das Konzil nicht historisches Faktum geworden, das nur authentisch interpretiert zu werden brauchte, noch ist kein genaues Ergebnis der interkonziliaren Auseinandersetzungen zwischen einfallslosen Traditionalisten und situationsoffenen Avantgardisten abzusehen (die Fronten wechseln je nach Materien) — trotzdem soll im folgenden eine Prognose versucht werden, die allerdings zugleich ein Wunschbild ist.

Die Kirche der kommenden Zeit (die Zukunft hat schon begonnen!) wird sich ihres Diaspora- und ihres Minderheitscharakters bewußt sein. Sie wird schon deshalb alle theokrati-schen Allüren ablegen und sich auch nicht mehr des „weltlichen Annes“, also irgendeiner politischen und militärischen Macht, bedienen, um ihren Glauben zu propagieren oder Menschen gewaltsam im katholischen Glauben festzuhalten. Katholizismus als Staatsreligion hat immer zur Lähmung kirchlicher Aktivität, zur Einbuße an Unabhängigkeit und zur Unglaubwürdigkeit des Evangeliums vor den Außenstehenden geführt. Die Kirche hat sich im Zeitalter der Diktatur als Hort der Geistesfreiheit, als Zuflucht der Menschlichkeit und Kraftquelle der Resistance erwiesen. Sie wird diesen ihren guten Ruf und Namen nur wahren können, wenn sie auch selbst keine Diktatur zu ihren Gunsten in Anspruch nimmt. Die Kirche der mittelalterlichen Inquisition wird zur Kirche der Toleranz werden. Nicht das Recht des Irrtums, der Häresie, wird durch Toleranz anerkannt, sondern das Gewissen, die nicht eliminierbare Subjektivität des Irrenden. Toleranz ist die Eigenschaft Gottes, der jedem das Spatium poenitentiae, die nötige Zeit izur „Bekehrung“, einräumt und der die Welt regiert, ohne Sünder und Häretiker auszurotten; jene Eigenschaft Gottes, die im Gekreuzigten und seiner Hilflosigkeit sichtbar geworden und den Gott in Donner und Blitz, den Gott vom Sinai, abgelöst hat. Die Kirche der Zukunft wird an Stelle politischer Weltbeherrschung (wovon die Theorie der zwei Schwerter ein drastischer Ausdruck war) die Idee der Comsecratio mundi, der Durchdringung der Welt mit dem Geiste Christi und Gottes, setzen. Der Theologie unserer Zeit ist es längst zum Bewußtsein gekommen, daß die „Welt“ nicht nur der Raum der Abtrünnigkeit von Gott und des Widerstandes gegen die Gnade ist, nicht nur der Bezirk der Satansherrschaft, der Gesetzlosigkeit und des Gesetzesbruches, sondern daß sie auch im Zustand der Gefallenheit immer noch göttliche Schöpfung bleibt und daß auch die böse Welt, von der der Apostel sagt, „wollt euch dieser Welt nicht gleichförmig machen“, gerade im Zustand ihrer Heillosigkeit der besonderen Liebe der Kirche bedarf; immer noch ist ja im Himmel eine größere Freude über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße (angeblich) nicht bedürfen.

Zuerst wird der Kirche eine moralische, spirituelle, theologische und missionarische Leistung abverlangt, wenn sie die Welt „beherrschen“ will; und sie kann das auch nur in der Form des glaubwürdigen Dienstes tun, ist sie doch die Kirche dessen, der seinen Schülern die Füße gewaschen hat und der beteuerte, daß er nicht gekommen sei, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die vielen. Die Kirche darf nicht den Eindruck einer konfessionellen Pressure group und eines Interessentenverbandes erwecken, an denen, ihren Machtkämpfen und Intrigen, die Welt so reich ist. Diakonie ist das Wesen der Kirche, die nicht Selbstzweck, sondern Instrument Gottes zur Heiligung der verlorenen Welt ist; die Kirche, ihre Sakaramente, ihre Funktionäre und Ämter sind Durchgang und Vorbereitung für die kommende Gottesherrschaft, die der Inbegriff der Verkündigung Jesu war und der Inbegriff der Hoffnung der Christen ist.

'TVe Kirche der „Zerstreuung“ ist auch der Mission im U höchsten Ausmaß bedürftig (abgesehen davon, daß sich die Gemeinde Gottes schon ehrenhalber nicht bloß „biologisch“ vermehren kann). Die nun entdeckte, erforschte und zugänglich gewordene Welt, die in immer engerer Infeerdependenz verbun-

den ist und in immer innigerer Kommunikation lebt (trotz den Eisernen Vorhängen und Betonmauern), wird binnen Jahrzehnten weltanschaulich verteilt sein; der Anteil des alten Heidentums wird an die Weltreligionen des Islams, des Buddhismus, des Christentums und der Pseudo- und Gegenreligion des „Marxismus-Leninismus“ (mit allen seinen Sekten) fallen. Auch ein Zeitalter mächtiger Synkretismen scheint bevorzustehen (in Ostasien schon seit langem Tatsache). Kirche ist Verlängerung der Mission des Sohnes durch den Vater an die Welt, wesentlich „apostolica“; Kirche kann also nie selbstgerechtes und selbstgenügsames Ghetto sein, sondern Entsendung von Aposteln „wie Schafe unter die Wölfe“. Bewahrung der Christen durch hierarchische Seelenhirten in abgeschlossenen Sozialbezirken von der Wiege bis zur christlichen Beerdigung ist in dieser Welt der Diaspora und der Verfolgungen („führe uns nicht in Versuchung!“) unmöglich geworden. Kirche und Welt sind korrelative Begriffe und Wirklichkeiten; Kirche ist nicht nur die rettende Arche, der unwankbare Felsen Kephas, sondern ebenso der Sauerteig, der suchende Hirt, der die neunundneunzig braven Schafe in der Steppe zurückläßt, um das eine, verlorene, zu suchen. Das rein konsumative Christentum einer vielfach beseelsorgten Gemeinde derer, „die drinnen sind“, saugt die Priester aus, bleibt steril und führt zu Fäulniserscheinungen am lebendigen Leib Christi.

Gewiß, der Klerikalismus einer vergangenen Epoche — Johannes XXIII. sagt zu allen, Christen und Nichtchristen, „ich bin Joseph, euer Bruder“ — schärfte den Christen ein, daß sie nichts als „hörende“, gehorchende Kirche seien und brachte dadurch die Kirche um jene dringend notwendige Levee en masse, um die Mobiliserung jedes einzelnen für die Mission des Ganzen. Schon die Kirche der Gegenwart bedeutet das Ende einer kirchlichen Zwei-Klassen-Gesellschaft mit ihren Ängsten und Ressentiments von beiden Seiten. Alle „Ämter“ Christi selbst sind durch die Taufe, das Eingetauchtwerden in Christus, auf alle Glieder seines Leibes, der die Kirche ist, übergegangen, wenn auch in verschiedener Weise; Brüderlichkeit aller Glieder untereinander ist ebenso gewichtig wie die funktionellen Unterschiede zwischen den einzelnen und zwischen den „Ständen“ der Kirche. Das Evangelische „Ihr alle aber seid Brüder“ heißt jedes Amt als subsidiär, vikariell, gnadenhaft, „dienstlich“ und gemeinschaftgebunden erkennen. Von einer reinen Instrumentalität der Laien in den Händen der Hierarchie (oder gar des Klerus) in ihrer Weltwirksamkeit als Christen kann keine Rede sein. Der Getaufte wirkt für die Kirche und im Sinn der Kirche auf Grund des missionarischen Charakters der Gesamtkirche (und nicht der Hierarchie); man mag diese Aktivität, juristisch gesehen, „privat“ nennen (weil sie keinen amtlichen Auftrag

hat); spirituell gesehen jedoch repräsentieren apostolisch tätige Christen, Männer der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens, christliche Eltern und Erzieher, die Kirche wie eh und je Bekenner, Blutzeugen und Charismatiker. Die Apostolizität der Kirche wird sich in Zukunft aber nicht bloß in spezialisierten Missionsorden und in „Volksmissionaren“ repräsentieren (wobei das katholische Volk bloß die finanzielle Grundlage zu beschaffen hätte*) wie denn die Missionsgebiete nicht mehr in entlegenen und exotischen Gegenden liegen, sondern mitten in Großstädten der altchristlichen Welt. Der gesamte Episkopat der Ökumene wird sich für das Schicksal der Gesamtkirche verantwortlich fühlen müssen; das bedeutet eine moralische Last (die auch die „Propaganda fide“ den Bischöfen nicht abnehmen kann), das bedeutet aber auch einen innerkirchlichen Anspruch der Bischöfe auf Lenkung der Kirche mit dem Papst. Nur so werden die mondialen Aufgaben, die ebenso eine zentrale Strategie wie eine arbeitsteilige Wirksamkeit erfordern, bewältigt werden können. Die Kirche zeigt Hohlräume und Erdrutschgebiete (Lateinamerika), sie hat die Chance heute noch offener Türen zur Mission; nicht die Beziehungen der Glieder zum Haupt allein, sondern ebenso die horizontalen Kontakte der Glieder untereinander sind in der Kirche der Zukunft von Bedeutung. Kontinentale Bischofskonferenzen und die Querverbindungen solcher Versammlungen untereinander werden schwierige Probleme, des Priestermangels, der Finanzierung, der Ausbildung etwa, lösen und beseitigen können.

So führt Mission von selbst immer mehr zur Catholica, das Welt- und Menschheitsumfassende der Kirche, ihre Fülle in Pluralität und Einheit zugleich, wird sichtbar (alle Eigenschaftsworte für die Kirche sind ja fundamental und potentiell zugleich gemeint). Sie wird immer mehr eine Kirche aus allen Völkern und für alle Völker werden, und die Vorherrschaft der weißen Rasse wird in ihr so zu Ende gehen wie in der gesamten Menschenwelt; sie wird die „Gaben der Heiden“ (wie das Jesuskind aus den Händen der Magier) annehmen und Kirche jenes pfingst-lichen Geistes sein, der zu allen Nationen in ihrem eigenen Idiom sprach. So wird die Kirche auch als „Friede“ und als „Liebe“ unter den Völkern sichtbar werden, weil in ihr die Konflikte der Rassen, der sozialen Klassen, der Alphabeten und Analphabeten aufgehoben sind; sie ist ja die Kirche des Christus, der die trennenden Scheidewände, am Kreuz hängend, niedergerissen hat. Das Bekenntnis „Ich glaube an den Heiligen Geist“ und das Bekenntnis „Ich glaube an die eine, heilige katholische und apostolische Kirche“ können nur in einem Atemzug, eben dieses selben Geistes, ausgesprochen werden. Solange das Pfingstereignis in der Kirche wirksam ist, solange ha. sie Zukunft.

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