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Menschen, Brüder…

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Das erste Rundschreiben eines Papstes an die Christenheit wird als eine Art Regierungsprogramm verstanden. Zu ihm gehören wesensgemäß zwei Elemente: die Betonung der Kontinuität und das Eigene, „Neue", geprägt durch die geschichtliche Situation und die Persönlichkeit des Papstes. Beide Elemente sind wichtig: Jeder neue Papst ist ein Nachfolger, ist berufen, das Erbe Christi und seiner unmittelbaren Vorgänger zu verwalten. Jeder Papst ist aber auch berufen, die Stimme Gottes aus der Not seiner Zeit heraus zu vernehmen.

An der ersten Enzyklika Johannes’ XXIII. Ad Petri cathedram, vom 29. Juni 1959, werden diese beiden Elemente deutlich sichtbar. Die Kontinuität, besonders mit Pius XIL, ist vertreten durch den Appell an die Regierenden und die Völker, sich in Frieden und Völkerversöhnung zu finden, die politischen und sozialen Gegensätze abzubauen, den notleidenden Völkern und einzelnen zu helfen. In der Kirche soll Einheit, Vertrauen, Gehorsam in Liebe wiederhergestellt werden, wobei Johannes XXIII., wie sein großer Vorgänger, ein besonderes Augenmerk auf die Mitarbeit der Laien, die Missionen und die verfolgte Kirche lenkt. Diese Appelle selbst sind in ihrer Form bereits geprägt durch die starke Persönlichkeit Johannes’ XXIII. Dieser Heilige Vater sucht den Menschen direkt anzusprechen, durch einen Ruf der Liebe. Das ist das Leitmotiv aer ganzen Enzyklika, wie es besonders stark im Wort an alle getrennten Brüder und Söhne aufklingt: „Wir wissen um die GeringErden. Sie mahnen mit ihrer ernsten Stimme alle, endlich einmal zur Eintracht, zur Einigkeit und zum gerechten Frieden zurückzukehren.“

fügigkeit Unserer Person. Wir wiederholen die Worte: ,Ich bin Joseph, euer Bruder.' Kommt! Wir wünschen nichts anderes, Wir wollen nichts anderes, Wir bitten Gott um nichts anderes als um euer Heil, um eure ewige Seligkeit. Kommt! Aus dieser ersehnten Eintracht und Einheit, die von Bruderliebe genährt sein muß, wird ein großer Friede entspringen.“ Die dreimalige Verwehrung — „Wir wollen nichts anderes…“ — weist auf eine große Sorge des Heiligen Vaters hin, machtpolitisch mißverstanden zu werden. „Wir, die Wir über allen Spannungen zwischen den Völkern stehen, alle Völker mit gleicher Liebe umfangen und von keinen irdischen Vorteilen, von keinen Ansprüchen politischer Macht und von keinerlei Wünschen dieses Lebens geleitet werden. Wir glauben, in einer Lage zu sein, daß Wir von allen Menschen jeglichen Volkes unvoreingenommen beurteilt und unvoreingenommen gehört werden, wenn Wir über diese überaus wichtige Frage sprechen.“

Gott hat die Menschen nicht als Feinde, sondern als Brüder geschaffen. „Die verschiedenen Nationen aber sind nichts anderes als Gemeinschaften von Menschen, das heißt von Brüdern, Gemeinschaften, die nicht nur ihr eigenes Ziel,: sondern auch in brüderlicher Einheit die gemeinsame Wohlfahrt der ganzen menschlichen Gesellschaft erstreben sollen. Wenn wir Brüder sind, warum können wir uns als Gegner, Feinde und Bekämpfet der übrigen aufspielen? Es ist schon genug gekämpft worden unter den Menschen. Allzu viele Kriegerfriedhöfe gibt es schon auf

Mit starkem Nachdruck mahnt der Papst: Nur wenn man nicht auf den Krieg, sondern auf den Frieden bedacht ist, wird es gelingen, zur brüderlichen Einigung zurückzufinden. Diese Einigung setzt Gerechtigkeit und Liebe voraus. „Jene, die andere unterdrücken und sie der gebührenden Freiheit berauben, können gewiß nicht zu dieser Einigung beitragen." Wenn die Völker nicht zu dieser brüderlichen Einmütigkeit gelangen, bleibt die Lage äußerst gefährlich. „Denn falls — was Gott durchaus verhüten möge — ein neuer Krieg ausbricht, wird infolge der schauerlichen Waffen, die unsere Zeit einführte, auf alle Völker, Besiegte oder Sieger, nur ein grausiges Morden und ein grauenhafter Zusammenbruch warten."

Der Papst wendet sich hier direkt an die Staatslenker: Sie sollen willig und gern alle Mittel benutzen, die zUr Einigung führen können. „Diese einmütige Einigung, durch die gleichzeitig, wie Wir sagen, auch die gemeinsame Wohlfahrt der Völker zweifellos wachsen wird, kann nur dann wiederhergestellt werden, wenn nach Befriedung der Gemüter und Sicherstellung der Rechte aller wieder die Freiheit aufleuchtet, die überall der Kirche, den Nationen und den einzelnen Bürgern geschuldet wird.“

Dieser letzte Absatz ist von sehr großer Bedeutung. In ihm ist der Ansatz zur Ueber- windung einer halbtausendjährigen Tragödie. Die Freiheit der Kirche wird hier ganz eng zusammengesehen, verbunden mit der Freiheit der Nationen und der einzelnen Individuen. Wir alle wissen doch, welche Dramen sich da im christlichen Abendland abgespielt haben, weil die eine unteilbare Freiheit des Menschen, des Kindes Gottes und Bruders Christi, geteilt wurde, so daß man für die „Freiheit des einzelnen" gegen die Kirche, und leider auch, sehr mißverstehend, für die „Freiheit der Kirche“ gegen die Freiheit der Völker und der Individuen kämpfen zu können, kämpfen zu müssen glaubte ..,

Das ganze der Sozialpolitik gewidmete Kapitel dieser Enzyklika steht unter dem Motto: Wir alle sind Brüder. Abgewertet wurde die Brüderlichkeit, allzu lange; von Christen und Nichtchristen; mißverstanden wurde sie von Sektierern und „Brüdern“ aller Art; nicht zuletzt in der Radikalisierung der Arbeiterbewegung. Papst Johannes XXIII. greift mit einem einzigen schwerwiegenden Satz das heiße Eisen der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften an: Er mahnt jene, die auf dem Gebiet der Arbeit „die Initiative oder Leitung haben“, „nicht bloß daran zu denken, welchen Gewinn die Arbeiter durch ihr Mühen einbringen, und nicht bloß deren Rechte zu sichern, sondern sie auch tatsächlich als Menschen, ja als Brüder zu betrachten“. Die große Krise der freiheitlichen Arbeiterbewegung wird hier angesprochen: Wenn es ihr nicht gelingt, brüderliche Menschen zu erziehen, sondern nur satte oder saure Kleinbürger, die immer noch mehr heischen und fordern, verspielt diese Bewegung die Freiheit und die Gleichheit.

In dem dem Konzil gewidmeten Abschnitt der Enzyklika findet sich das erste offizielle römische Echo auf die ökumenische Bewegung der Protestanten, die im Genfer Weltkirchenrat einige hundert evangelische und orthodoxe Kirchen zusammengeschlossen hat. Gewiß: „ökumenisch“ ist im Sinne der katholischen Kirche etwas sehr anderes, als in dem der Protestanten. Gerade deshalb sollte die Kluft nicht verewigt werden. Gewisse katholische Kreise haben dem Genfer Weltkirchenrat unterstellt, er wolle einen antikatholischen Kampfblock bilden, gewisse protestantische Kreise haben ihrerseits Profit aus der Tatsache geschlagen, daß es zu keiner Begegnung kam. In der ersten Enzyklika des Papstes Johannes XXIII. werden nun diese protestantischen Bemühungen erstmals römischerseits positiv zur Kenntnis genommen: „Wir wissen ebenfalls, daß fast alle, die sich, obwohl von uns und unter sich getrennt, Christen nennen, mehrere Male Kongresse gehalten und besondere Organisationen geschaffen haben mit dem Ziel, Verbindungen unter sich anzuknüpfen. Das zeigt, daß sie von dem großen Verlangen beseelt sind, wenigstens zu irgendeiner Form der Einheit zu gelangen.“

Aus den Worten an die Adresse der einzelnen 'Stände und Glieder • der' katholischen-- Kirche- sollen -hier nur zwei Gedanken-:-yor-- gestellt werden. Johannes XXIII. erklärt, daß er auf die Mitarbeit der Laien im Apostolat und in der Katholischen Aktion „später nochmals mit größerer Ausführlichkeit zurückkommen“ werde. Und der Heilige Vater leitet sein Gedenken der verfolgten Kirche bedeutsam ein: „Wir wollen niemanden beleidigen; im Gegenteil. Wir wünschen, allen von Herzen zu verzeihen und die Verzeihung Gottes zu erflehen. Aber das Bewußtsein Unserer heiligen Pflicht erheischt, daß Wir die Rechte dieser Brüder und öhne schützen, soweit wir können. Und daß wir nachdrücklich verlangen, daß ihnen und der Kirche Gottes die geschuldete göttliche Freiheit gewährt wird.“

Das erste Regierungsmanifest Johannes’ XXIII. schließt mit dem apostolischen Segen für die Bischöfe, den Klerus, das gläubige -Volk. Seine Einleitung s,teht unter einem Titel, der dem Christen, der das Drama des europäischen Katholizismus in dieser Nachkriegszeit verfolgt und vielleicht persönlich miterlitten hat, für einen Augenblick den Herzschlag stocken läßt. Dieser Titel lautet: „Die Kirche in ewiger Jugend.“

Die Jugendlichkeit der Kirche: das war das große aufrüttelnde Motiv des Hirtenbriefes des Kardinals Suhard von Paris kurz nach dem Ende des letzten Weltkrieges. Ein ergreifender Appell an die Katholiken, ihre Solidarität mit der gesamten Menschheit in dieser Weltstunde zu begreifen, sich mutig an der Spitze des Fortschritts zu engagieren. Dieser Aufruf wandte sich im besonderen an die geistigen Arbeiter und an die Arbeiterpriester. „Jeunesse de l’Eglise“ (Titel einer später verbotenen katholischen Zeitschrift) war das Banner der „neuen Theologie“ der Jesuiten von Lyon, der Dominikaner in Paris. Die Jugendlichkeit der Kirche, das war das Banner, unter dem so viele verschwiegene und umkämpfte Experimente von Priestern und Laien weit über Europa hinaus in diesen letzten Jahrzehnten gewagt wurden.

„Die Kirche in ewiger Jugend“: Papst Johannes XXIII. hat dieses große Leit- und Leidmotiv der jugendlichsten und kühnsten Geister im Katholizismus der Kirche aufgegriffen, um ihm mitten in der Kirche Heimat und Herberge zu schaffen.

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