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Der Dialog ist eröffnet

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„Wir werden das große Fest der Wiedervereinigung nicht mehr feiern. Aber einer muß ja beginnen, die Hindernisse abzuräumen, die dem glorreichen Werk den Durchbruch versperren. Jedenfalls muß ein Versuch gemacht werden. Wer Hindernisse überwinden will, muß zuvor Ecken und Kanten abhobeln.“ Diese Worte Papst Johannes’ XXIII. an einen skeptischen anglikanischen Besucher mögen manchem Konzilsvater in den letzten Tagen während der heftigen Debatte über das Schema über den Ökumenismus in den Sinn gekommen sein, in der diese „Ecken und Kanten“ recht deutlich hervortraten.

Das Schema, das vom Sekretariat für die Einheit der Christen unter dem deutschen Kurienkardinal Bea und der Kommission für die Ostkirche erarbeitet wurde, behandelt in seinem ersten Kapitel die Heilsbedeutung auch der nichtkatholischen Kirchen und Gemeinschaften, die enge Beziehung zwischen Katho- lizität und Ökumenizität und betont die Notwendigkeit der ökumenischen Gesinnung aller Christen. In der inneren Erneuerung der Kirche um der angestrebten Einheit willen werden im zweiten Kapitel das Gespräch mit den getrennten Brüdern, die Bibelbewegung, die Verkündigung des Gotteswortes, die Katechese und die liturgische Reform als besonders bedeutsam genannt. Dieses Kapitel empfiehlt gemeinsame Gebetszeiten mit den Nichtkatholiken, theologische Konferenzen zum besseren gegenseitigen Verständnis und ein vorurteilsloses Studium der nichtkatholischen Konfessionen, was auch bei der Ausbildung katholischer Theologen besonders beachtet werden sollte. Über die von der katholischen Kirche getrennten Christen spricht das dritte Kapitel, wobei zwischen den Ostkirchen und den protestantischen Gemeinscha.fte . unterschie.den wird. Das Verhältnis zu den; Nichtkatholiken und besonders zu den Juden ist Gegenstand des vierten Kapitels, das die enge Verbundenheit der Kirche mit dem alttestamentlichen Judentum unterstreicht, die Schuld am Tod Jesu auf die ganze sündige Menschheit bezieht und ausdrücklich betont, daß die Mitschuld der damaligen jüdischen Führer nicht auf das ganze jüdische Volk jener und der heutigen Zeit übertragen werden dürfe. Niemand könne deshalb von den Juden als „Gottesmörder“ oder einem „verfluchten Volk“ sprechen. Ein fünftes Kapitel über die Religionsfreiheit beschließt das Schema.

Ist die Gegenreformation tot?

Die Heftigkeit der Reaktion auf die Vorlage des Ökumeneschemas mußte zunächst schockieren. Kardinal Ruffini wollte eine präzisere Definition des „gefährlichen Wortes Ökumenismus“, um von vornherein die protestantische Deutung, die von einer Wiedervereinigung verschiedener christlicher Bekenntnisse auf gleicher Ebene spricht, auszuschließen. Im Gegensatz zu den orthodoxen Kirchen handle es sich bei den Protestanten um bloße Sekten, die viel weniger vom gemeinsamen Erbe bewahrt hätten und überdies untereinander stark zersplittert wären.

Der spanische Kardinal Arriba y Castro wies auf die „wachsende protestantische Proselytenmacherei“ in katholischen Ländern hin und forderte die getrennten Brüder auf, davon Abstand zu nehmen. Er wandte sich energisch gegen die Feststellung des Schemas, daß der Dialog mit den Nichtkatholiken notwendig und empfehlenswert sei. Die Annäherung an getrennte Brüder sei für ungebildete Gläubige ein Skandal. (Ein römischer Arzt stellte dazu fest, diese Angst erinnere ihn an die Ablehnung der medizinischen Auskultation mit Rücksicht auf schwerhörige Ärzte.) Wichtiger sei es, im Katholizismus das Trennende zu betonen, um die Gläubigen vor Irrwegen zu bewahren. Im übrigen sei die Liebe zu Christus wichtiger als die Liebe zum getrennten Bruder, und so möge man die Angelegenheit des Ökumenismus einem eigenen Sekretariat unter der un mittelbaren Leitung des Papstes überlassen.

Der Osten lehnt ab

Die stärksten Widerstände — wenn auch nur einer Minderheit — aber rief das Kapitel über die Juden hervor. Scharfe Kritik übte der syrische Patriarch von Antiochien, Kardinal Tappouni. Nach seiner Meinung ist es völlig unangebracht, in einem Schema über die Förderung der christlichen Einheit von den Juden zu sprechen. Dies könnte in der gegenwärtigen politischen Lage den Christlichen Minderheiten in vielen 'Ländern Schweren Schaden zufügen, da es ganz sicher von der Politik mißdeutet und ausgenützt werden würde. Gerade für die Moslems sei es völlig unverständlich, wie sich ein solches Thema mit den Absichten des Konzils vereinbaren lasse.

Ähnliche Einwände erhoben der koptische Patriarch von Alexandrien, Stefan I. Sidarous, und der melchitische Patriarch von Antiochien, Maximo IV. Saigh. „Wir werden die Musik zu hören bekommen“, rief er temperamentvoll aus und meinte, die Christen in den arabischen Ländern hätten die schwersten Folgen zu befürchten, wenn von dem Kapitel über die Judenfrage nicht Abstand genommen werde. Überdies sei es eine schwere Beleidigung für die Ostkirchen, mit den Juden zusammen in einem Schema behandelt zu werden.

„Das Kapitel über die Juden geht auf einen persönlichen Wunsch Papst Johannes’ XXIII. zurück, es wurde mit großer Sorgfalt vorbereitet und ist keineswegs eine Vorbereitung für die Anerkennung des Staates Israel durch den Vatikan“, eröffnete Kardinal Bea seine Erklärung vor dem Plenum. Es habe nur religiöse Ziele und solle bezeugen, was die Kirche vom Volk Israel empfangen habe: das Wort Gottes im Alten Testament, das Gesetz und die Verheißung Gottes und den Erlöser Jesus Christus der Abstammung nach. Aus seiner Mitte sei die Kirche entstanden, die in gewisser Weise eine Fortsetzung des auserwählten Volkes sei. Nach den furchtbaren Orgien des Antisemitismus, besonders in Deutschland, dem entsetzlichen Haß und der judenfeindlichen Propaganda, von der auch die Katholiken nicht unberührt geblieben seien, müsse klar herausgestellt werden, daß der Antisemitismus nicht aus den Lehren der Kirche hervorgegangen sei. Er habe keine Grundlage im Evangelium, das nur d:j Waffen des Friedens, der Geduld und der Liebe kenne. Im übrigen habe das Einheitssekretariat die arabischen Regierungen unterrichtet, daß das Konzil nur eine religiöse Stellungnahme anstrebe und keine Stellung zum

Zionismus nehmen wolle. Papst Johannes XXIII. sei der Text des Kapitels bereits im September 1962 vorgelegt worden. Er habe ihm voll zugestimmt, dem Konzil aber die Freiheit der Entscheidung überlassen wollen.

Das Schema gefällt uns

„Dieses Schema gefällt uns außerordentlich gut“, erklärte der amerikanische Kardinal Ritter, St. Louis, im Namen einer großen Zahl nordamerikanischer Bischöfe und ge-

o iso pnu äasemjnoBpotj wiß auch im Sinn der großen Mehr,- heit der Konzilsväter. „Es entspricht genau den Forderungen unserer Zeit an die Kirche, es ist ein Versuch, die unfruchtbare Polemik der Gegenreformation zu überwinden, und zwingt die ganze Kirche zu einer großen Gewissenserforschung über ihr Verhältnis zu den getrennten Christen.“ Besonders begrüßte er das Kapitel über die Gewissensfreiheit, das die absolute Freiheit des Glaubensaktes, die Würde der menschlichen Person, die Unverletzlichkeit des Gewissens und die Tatsache, daß der Staat kein Recht hat, über die Kirche und ihre Auslegung des Evangeliums ein Urteil zu fällen, statuiert,

„Keine Furcht vor der Wahrheit“, rief der Weihbischof von Straßburg, Msgr. Eichinger, dem Konzilsplenum zu. In der Vergangenheit habe man immer noch zuviel Hemmungen gezeigt, historische Wahrheiten, wenn sie unangenehm, peinlich und schmerzlich seien, anzuerkennen.

„Das Konzil muß sich dessen bewußt sein, daß alle nur möglichen Versuche zu unternehmen sind, die den Weg zur Einheit der Christen bereiten“, erklärte Kardinal König in einer vielbeachteten Intervention vor dem Konzilsplenum. Das Schema entspräche genau den Intentionen Johannes’ XXIII. und Pauls VI. und sei ein glücklicher Versuch, den Weg zur Einheit zu erleichtern. Der Wiener Kardinal unterstrich allerdings die Notwendigkeit, im Gespräch mit Nichtkatholiken diesen nicht die eigene Be-

: - daia Jiewrfaaad .. riailrfoüIgnLt grifflichkeit aufzwingen zu wollen. So müsse man zwar wohl unterscheiden, ob eine Gemeinschaft die apostolische Nachfolge und die sieben Sakramente bewahrt habe oder nicht, doch dürfe man den Titel Kirche nicht allein den Ostkirchen zuerkennen, wie es im Schema geschieht. Der Ausdruck „Gemeinschaften“, den das Schema für die reformatorischen Konfessionen gebraucht, bringe die kirchlichen Elemente dieser Konfessionen nicht genügend zum Ausdruck. Die Glieder dieser Gemeinschaften fänden ihr Heil nicht nur als Individuen, sondern „durch die Vermittlung und die Hilfe der Gemeinschaften selbst“. Er schlug vor, -für die Reformierten den Begriff „communi- tates ecclesiales“ (kirchliche Gemeinschaften) zu verwenden.

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