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Rückschau auf Neu-Delhi

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Der an der evangelischen theologischen Fakultät der Wiener Universität als Professor wirkende Autor nahm ah Mitglied der unter der Führung von Bischof Dr. May stehenden Delegation der evangelischen Kirche Österreichs an der Konferenz von Neu-Delhi teil. Wenn man dort von Österreich sprach, geschah es im guten Sinn. Das im Vorjahr vom Unterrichtsministerium ausgearbeitete Protestantengesetz ist in zuständigen Kreisen weltbekannt geworden. Viele Kirchenmänner des Auslandes sprachen ihm — wie Bischof Dr. May von der Presse berichtete — Vorbildcharakter für ähnliche moderne Lösungen zwischen Staat und Minderheitskirche zu.

Der ökumenische Rat der Kirchen hat seine dritte Vollversammlung in Neu-Delhi, Indien, am 5. Dezember beendigt. Am Beginn dieser Vollversammlung sind auf ihren eigenen Antrag hin 23 Kirchen neu aufgenommen worden — unter ihnen die orthodoxen Kirchen von Rußland, von Rumänien und Bulgarien, eine Reihe von Kirchen aus dem afrikanischen und asiatischen Raum, aber auch zwei pfingstlerische Missionskirchen Lateinamerikas. Schon mit dieser Liste ist die große Spannweite des ökumenischen Rates der Kirchen bezeichnet, dessen ständiges Zentralkomitee hundert Mitglieder umfaßt — in der neu vollzogenen Zusammensetzung stammen 21 aus den USA, 26 aus Westeuropa, 18 aus der Orthodoxie, 28 aus asiatischen und afrikanischen Kirchen. Derzeit gehören zum ökumenischen Rat 197 Kirchen mit zirka 300 Millionen Mitgliedern. Von einigen kleineren Kirchen und einer großen, nämlich der römisch-kathoJ lischen Kirche, abgesehen, ist hier die ganze Christenheit auf der Erde — in ökumenischer Weite und Fülle — miteinander verbunden.

Will man den ökumenischen Rat der Kirchen verstehen, dann ist zu-nä$ist“'OTg#äve FeststeihirtgiiBpm wendig, daß er keine neue Kirche keine' Überkirchr, kein Machtinstrument ist und darum auch keinerlei kirchenleitende Funktion besitzt, sondern ein Instrument darstellt, durch das die Kirchen miteinander in ein brüderliches Gespräch eintreten, auf verschiedenen Gebieten zusammenarbeiten und gemeinsam vor der Welt Zeugnis von Jesus Christus, dem Licht der Welt, ablegen können. An dieser Stelle muß natürlich nach der ..Basis“ gefragt werden, auf der Leben und Arbeit des ökumenischen Rates beruhen. Sie ist in Neu-Delhi geändert, oder besser gesagt, erweitert worden. Artikel I der Verfassung lautet jetzt: „Der ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die dem Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Die Änderungen bzw. Erweiterungen machen vor allem aufmerksam auf die Autorität der Heiligen Schrift und auf den in der christologischen Formel schon immer enthaltenen trinitarischen Sinn, der aber jetzt auch offen ausgesprochen ist. Diese Klärungen erfolgten auf Grund von Anträgen der Lutheraner Norwegens, der Kongregationa-listen Amerikas und der Orthodoxie.

Sind so die christologischen und trinitarischen Aussagen der Ausgangspunkt und das Fundament der Gespräche und des gemeinsamen Handelns, dann muß notwendigerweise die Frage nach der Einheit der Kirche Christi gestellt werden. Sie war eine der drei Hauptthemen der Vollversammlung und wird es immer wieder sein, denn die ökumenische Bewegung ist ja an der Schwierigkeit entstanden, daß eine Vielfalt von Kirchen in ihrem Zeugnis der Welt gegenüber unglaubwürdig wird, wenn nicht zugleich versucht wird, die in Christus als dem Haupt der Kirche vorgegebene Einheit auch in irgendeiner Weise sichtbar darzustellen. Es ist einsichtig, daß

3ilA .nsii hiermit die christologischen Fragen zu den ekklesiologischen hinführen und hier besonders die Probleme eines gemeinsamen Abendmahltisches, an dem alle vereint sein können, in der verschiedensten Weise aufgeworfen sind. Die Untersuchungen über das Sakrament der Taufe sind zum Beispiel bisher so geführt worden, daß keine Kirche, die in einer anderen Kirche vollzogene Taufe verwirft, wenn auch die kognitive Bedeutung der Taufe durchaus verschieden beschrieben wird. Von der gemeinsamen Anerkennung der Taufe müßte es ja einen Weg zu einer gemeinsamen Kommunion geben. Tatsächlich wird aber gerade an diesem Punkt die Verschiedenheit und Trennung von vielen als besonders quälend empfunden. In Neu-Delhi wurde jeder Enthusiasmus, der auf ökumenischen Tagungen so leicht zu augenblicklichen Hochstimmungen führt, vermieden. Der Abendmahlgottesdienst nach anglikanischem Ritus stand allen Delegierten offen und wurde von erstaunlich vielen Gliedern verschiedener Kirchen besucht, aber ebenso wurden auch Abendmahlgottesdienste nach anderen Riten gehalten. Daß dieses Nebeneinander aber keine endgültige Beruhigung darstellt,- kam zum Beispiel in dem — übrigens nicht angenommenen - Vorschlag zum

Ausdruck, in den nächsten zehn Jahren auf allen ökumenischen Tagungen sich der Eucharistie zu enthalten, um so deutlich zu machen, daß wir eine stärkere Einheit zu suchen haben, als sie gegenwärtig vorhanden ist.

Wenn von Einheit gesprochen wurde, dann ist in Neu-Delhi besonders hervorgehoben worden, daß alle Bemühungen um Darstellung und Verwirklichung der Einheit vor allem auf der „örtlichen Ebene“ vorangetrieben werden müssen. „Örtlich“, das kann ebenso heißen eine Stadt, ein Dorf oder eine Gruppe in einer Fabrik (Paragemeinde) oder ein Land. Hier wirklich zusammenzuarbeiten und die Einheit der Christenheit darzustellen, bereitet ernstliche Schwierigkeiten, vor allem deshalb, weil in den Örtsgemein-den die Ziele und Aufgaben der ökumenischen Bewegung noch kaum bekannt sind, möglicherweise auch so konkret gar nicht bejaht werden. Das zu erproben wird die Aufgabe der Zjit bis zur nächsten, vierten, Vollversammlung in fünf Jahren sein, für die Einladungen nach Afrika oder nach Australien ausgesprochen wurden.

In diesem Zusammenhang ist auch das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche zur Sprache gekommen. Es wurde im allgemeinen festgestellt, daß hier viele neue Kontakte in einer Atmosphäre gegenseitigen guten Willens möglich geworden sind, und es wurde besonders hingewiesen auf die Einrichtung eines Sekretariats durch den Vatikan zur Förderung der christlichen Einheit — wie ja zum erstenmal auch offizielle Beobachter vom Vatikan nach Neu-Delhi entsandt worden sind. Im augenblicklichen Stadium der Dinge sind zweifellos nur gegenseitige Gespräche möglich — aber die Ernsthaftigkeit oder die Unver-bindlichkeit solcher Gespräche könnte sich an bestimmten Testfragen des Zusammenlebens auf örtlicher Ebene, zum Beispiel in der Frage der Mischehen, erweisen. Vielleicht ist hier auch vom kommenden vatikanischen Konzil einiges zu erwarten.

Auf dem Weg zur Einheit

Sicher wird es sich bei den verschiedenen Gesprächen um Einheit, Glaube und Kirchenverfassung auf örtlicher Ebene nicht mehr um eine Wiederholung früher erprobter polemischer Sätze handeln können. Der Säkularisierungsprozeß nimmt in der ganzen Welt einen solchen Umfang an, das Wiedererwachen und das Erstehen neuer Religionen im Zusammenhang mit den modernen Nationalstaaten ist so unübersehbar, daß eine Neuformulierung der Aussagen über Christus und Seine Bezogenheit zur Welt dringlich ist. An diesen Problemen der „Übersetzung“, der „Anpassung“ der Botschaft des Evangeliums an die jeweilige Welt sind nicht nur Asiaten und Afrikaner sehr interessiert, sondern auch die Kirchen Europas und des amerikanischen Kontinents. Vor allem aber sind es die aus der Mission entstandenen jungen Kirchen, die hier ihre Forderungen oft recht stürmisch angemeldet haben. Wie sollte es auch anders sein? In ganz Asien beträgt die gesamte Christenheit, also einschließlich der römisch-katholischen Kirche, 3,1 Prozent der Bevölkerung, eine zumeist sehr arm lebende Minderheit, die doch ihre ganz großen Aufgaben im geistigen Ringen um die sich neu bildenden Staaten hat. In diesem Zusammenhang hat ein amerikanischer Lutheraner den Vorschlag einer „kosmologischen Christologie“ in dem Sinne unterbreitet, daß aus ihr eine positive Ideologie entwickelt werden kann, die für die gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Probleme brauchbar erscheint. Damit sind die sehr schwierigen Fragen der Abteilung für internationale Angelegenheiten berührt, deren Vorlagen zuweilen die heftigsten Widersprüche hervorgerufen haben.

Einheit der Kirche ist auf das engste verbunden mit der Mission und dem Dienst der Kirche. Was hier im einzelnen erarbeitet wurde, kann in diesem Zusammenhang nicht entfernt berührt werden. Nur darauf muß noch hingewiesen werden, daß in Neu-Delhi der internationale Missionsrat dem ökumenischen Rat der Kirchen eingegliedert worden ist. Damit sind die drei ökumenischen Bewegungen: „Glaube und Kirchenverfassung“, „Praktisches Christentum“ und der „Internationale Missionsrat“ im ökumenischen Rat der Kirchen zusammengeschlossen und arbeiten in ihm durch entsprechende Kommissionen weiter. Diese Kommissionen, einige weitere Abteilungen und Sekretariate umfassen den schon beträchtlich angewachsenen Apparat. Die Vollversammlung bestand jetzt noch aus 597 Delegierten (einige Delegierte aus Ostdeutschland konnten nicht erscheinen) und war zusammen mit den 100 Jugenddelegierten, den Gästen, Beobachtern, 275 Reportern eine noch einigermaßen übersehbare Versammlung von 1600 Personen. Die nächste, vierte, Vollversammlung wird wegen des Zuwachses an Kirchen und des internationalen Missionsrates wesentlich größer sein. Damit wird vermutlich die Arbeit nicht leichter. Schon jetzt hat sich gezeigt, daß viele von der alten Generation nicht mehr am Leben sind oder nicht mehr in der Arbeit stehen und dafür viele neue Delegierte eintraten, die die Entwicklung der Probleme nicht genügend kannten und so viel Zeit in den Diskussionen aus Mangel an Sachkenntnis unnötig verbraucht wurde.

Man hat von der ersten Vollversammlung 1948 in Amsterdam gesagt, daß die Kirchen geloben wollen, 'iu-sammenzubleiben. In Evanston, USA, 1954, haben sie Gott gedankt, daß sie zusammengeblieben sind, und sich verpflichtet, weiter zusammenzuwachsen. In Neu-Delhi, 1961, hat man versucht, auf dem Weg zur sichtbaren Einheit voranzuschreiten, und die Arbeitsziele für die nächste Vollversammlung abzustecken. Es ist keine Frage, daß der ökumenische Rat der Kirchen einen schwierigen, aber auch verheißungsvollen Weg zu gehen hat.

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