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Utopie oder Auftrag

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Diese Arbeit eines Amerikaners, die nur in deutscher Übersetzung erschienen ist, bekommt ihren speziellen Wert durch eine doppelte Intention: die Sorgfalt der historischen Durchdringung und Darstellung eines in der Kirchengeschichte in vieler Gestalt neuen Phänomens sowie der systematische Versuch einer gedanklichen Analyse und theologischen Einordnung dieses Phänomens. Die Leistung des Historikers ist profund: In ungewöhnlicher Dichte wird das außerordentlich komplexe, bisher weit verstreute Material der Anfänge der ökumenischen Bewegung zusammengeschaut und entsprechend dargestellt, nachdem es gesammelt, gesichtet und nach seinen grundsätzlichen Problemen hin abgehorcht worden ist. Der Autor bleibt seiner Fährte unablässig auf der Spur, ohne darüber das breite Umfeld anderer Erscheinungen und Probleme zu vergessen oder zu verdrängen. Wichtiger noch ist freilich, daß er sich diesem besonderen Thema, wie es im Titel in Erscheinung tritt, zuwendet, denn es handelt sioh hier um die wohl erste Monographie, die sich systematisch der Relation von Ökumene und Politik zuwendet.

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Diese Arbeit eines Amerikaners, die nur in deutscher Übersetzung erschienen ist, bekommt ihren speziellen Wert durch eine doppelte Intention: die Sorgfalt der historischen Durchdringung und Darstellung eines in der Kirchengeschichte in vieler Gestalt neuen Phänomens sowie der systematische Versuch einer gedanklichen Analyse und theologischen Einordnung dieses Phänomens. Die Leistung des Historikers ist profund: In ungewöhnlicher Dichte wird das außerordentlich komplexe, bisher weit verstreute Material der Anfänge der ökumenischen Bewegung zusammengeschaut und entsprechend dargestellt, nachdem es gesammelt, gesichtet und nach seinen grundsätzlichen Problemen hin abgehorcht worden ist. Der Autor bleibt seiner Fährte unablässig auf der Spur, ohne darüber das breite Umfeld anderer Erscheinungen und Probleme zu vergessen oder zu verdrängen. Wichtiger noch ist freilich, daß er sich diesem besonderen Thema, wie es im Titel in Erscheinung tritt, zuwendet, denn es handelt sioh hier um die wohl erste Monographie, die sich systematisch der Relation von Ökumene und Politik zuwendet.

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Für den Leser mag dies Buch zunächst fremdartig anmuten, zugleich aber viel Überraschendes und Interessantes bieten, erhält er doch gründliche Einblicke in jenen, im wesentlichen sich auf dem Boden des Protestantismus abspielenden Vorgang, der etwas später ansetzend auch für den gegenwärtigen Katholizismus so kennzeichnend erscheint und von fundamentaler Bedeutung für die geistige Gesamtsituation des Christentums von heute sein dürfte. Gemeint ist der Prozeß der Entstehung einer politischen Diakonie von Kirchen, die sich als „Kirche für die Welt“ zu verstehen lernen. Hudson arbeitet deutlich heraus, vielleicht manchmal mit etwas zu einseitigen Urteilen, wie fremdartig und neu diese Beziehung Kirche—Politik für den Protestantismus ist, insbesondere für denjenigen deutscher und lutherischer Prägung. Um so interessanter ist sein Nachweis, daß nicht etwa, wie sich das vielfach im Bewußtsein auch überzeugter „öku-meniker“ als fixe Vorstellung eingegraben hat, eine schon bestehende, rein religiös oder rein kirchlich orientierte ökumenische Bewegung sich unter anderen auch politischen Fragestellungen zugewendet habe, sondern, daß das Werden der Ökumene von Anfang an mit gesellschaftlich-politischem Engagement aufs tiefste verbunden war — und blieb! An den weltlichen Friedensbemühungen, etwa schon um die zweite Haager Friedenskonferenz von 1907 an Flüchtlings- und Minderheitsproblemen, an Elend, Hunger, Drogensklaverei (Opium!) und ähnlichen Fragen hat sich wesentlich das christliche Gewissen vieler Persönlichkeiten aus den verschiedensten Kirchen engagiert — und so, im Dienst an der Welt, erschien die verantwortliche Nötigung zur christlichen und kirchlichen Einheit als Vision und Utopie. Wie oft in solchen historischen Darstellungen wird auch hier mitleidlos die christliche und kirchliche Ohnmacht und Schwäche bloßgestellt, aber dies geschieht aufrichtig und ohne Gehässigkeit, einfach durch Tatsachenberichte. Ebenso leuchtet auch die unablässige Energie und der ungebrochene Glaubensmut der wenigen großen Gründerpersönlich-keiten hervor, die nahezu prophetisch ihrer visionären Utopie nachgegangen sind, und heute die Christenheit soweit „erweckt“ haben, daß der Dienst der Kirche an der Welt um der Menschen willen als echte und entscheidende Aufgabe der Kirche erkannt wird. In diesem Zusammenhang gewinnt diese Untersuchung die Bedeutung einer theologiegeschichtlichen Monographie: das Werden einer evangelischen Sozialethik, ja einer internationalen Ethik der Politik und Gesellschaft wird gezeichnet (vor allem 144 ff und 167 ff) und aufgezeigt, wie für die einzelnen Christen wie für die Kirchen völlig neue Fragestellungen sich abzeichnen, die nunmehr die theologische Ethik in entscheidender Weise bestimmen und sie zugleich ökumenisch gestalten, wenn man auf die anfangs angedeutete Parallele im Katholizismus achtet. Hier liegen freilich auch die kritischen Anfragen an das Buch: es führt nämlich zwar bis zur Konferenz „Kirche und Gesellschaft“, Genf 1966, und zur Vollversammlung des Weltkirchenrates in Upsala, 1968, heran und zitiert beide Kongresse noch kurz, aber substantiell wird darüber nicht mehr berichtet. Die grundlegende Wende in der theologischen Ethik, die durch Genf und Upsala illustriert wird, wird ebensowenig und nicht einmal andeutungsweise aufgenommen, wie leider auch nicht die Vorgänge im katholischen Raum, die im Zweiten Vati-kanum und in der Sozialenzyklika des gegenwärtigen Papstes doch im Gerichtsraum dieses Buches auffallend genug in Erscheinung trat. Doch das Bedauern über diesen Mangel schmälert nicht die Bedeutung dieser Broschüre, der auch hierzulande viele aufmerksame Leser gewünscht werden. .

ÖKUMENE UND POLITIK. Von Darril Hudson. Verlag W. Kohl-hammer, Stuttgart 1970. 224 Seiten. DM 14.—.

Diese Biographie Marc Boegners wird besonders empfohlen: es handelt sich einerseits um eine hierzulande fast unbekannte Persönlichkeit, anderseits kann man sich für einen am Ökumenismus interessierten österreichischen Katholiken kaum einen besseren Weg denken als die Lektüre dieses Buches, um die spezifische Welt der protestantischen, insbesondere der calvinisch bestimmten, ökumenischen Bewegung wirklich von innen her kennenzulernen. Marc Boegner erzählt aus dem Erleben einer 60jäh-rigen leidenschaftlichen und aktiven Teilnahme an der ökumenischen Bewegung. Er gehört zu ihrer Gründergeneration und nahm von Anfang an bis in die Gegenwart an ihr in bedeutenden Funktionen teil. Das Buch schließt mit dem Vorabend zur Generalversammlung des Weltrates der Kirchen in Upsala 1968. Der Autor galt Jahrzehnte hindurch als die führende Persönlichkeit des zahlenmäßig zwar geringen aber im Lande sehr einflußreichen und innerhalb der protestantischen Welt sehr angesehenen französischen Protestantismus; sein geistiger Rang kommt in seiner Berufung in die Academie Franchise äußerlich zum Ausdruck und spiegelt sich im biographischen Rückblick in zahllosen Begegnungen und Verhandlungen mit Staatsmännern und Kirchenführern wider. Seine Persönlichkeit prägt sich jedem unmittelbar ein, der ihm irgendwann, wenn auch nur flüchtig begegnen durfte.

Es ist eine einseitige Biographie, wenn man so will, da der Verfasser nur das Nötigste aus seinem Leben selbst andeutet. Alles ist bezogen auf „Ein Leben für die Ökumene“, wie der Titel der deutschen Übersetzung sinngemäß lautet. Familienverhältnisse und persönliche Erfahrungen werden nur im Zusammenhang der ökumenischen Sache angedeutet, anderseits wird auch keine regelrechte Geschichte der Ökumene geschrieben, obwohl kaum eine wichtige Phase derselben unbeleuchtet bleibt. Eine Fülle von bedeutenden Details fällt für den historisch wißbegierigen Leser ab. Aber diese interessante und stets packend dargestellte Fülle des Materials ist nicht das Ausschlaggebende an diesem Ißuch. Dieses liegt vielmehr in der Eigenart des theologischen Hintergrundes, der hier aufleuchtet, und in der charakteristischen Frömmigkeit, in der dieser Mann lebt; letztere leuchtet unpathetisch aus jedem seiner Sätze.

Man bedenke, daß Boegner schon durch familiäre Abstammung aus der Tradition des Hugenottentums stammt, die aus begreiflichen Gründen streng antirömisch geprägt ist. Er bejaht diese Tradition als ganze unbedingt und ist jahrzehntelang ihr beauftragter Sprecher, aber von Jugend an hat ihn In der Art eines echten Bekehrungserlebnisses die Idee von der Einheit der Kirche Christi ergriffen und damit die innere Uberzeugung von der Notwendigkeit und Möglichkeit des ökumenischen Dialoges. Wie er ihn führt, ihm von Anfang an insbesondere auf die katholische Kirche bezogen sieht, und wie er ihm Raum gibt bis zur persönlichen Teilnahme an der dritten Session des Zweiten Vatikanischen Konzils als Gast Paul VI. hin zu jener historischen Stunde, da er als einer der Präsidenten des Weltkirchenrates Kardinal Bea in Genf empfängt (am 18. Februar 1965), womit der bislang engste Kontakt zwischen der römischen Weltkirche und dem Weltkirchenrat beginnt, das wird hier anschaulich geschildert und lebensvoll bezeugt. Es dürfte gerade für die katholischen Leser von höchstem Reiz sein, einem solchen ökumeniker und Kirchenführer ins Herz zu schauen, um in dieser so andersartigen geistigen Welt den Geist Christi am Werk zu sehen, und dadurch einmal nachempfinden zu können, wie die Kirche Gottes sich In einem anderen als dem bekannten Lichte doch als die eine und selbe darzustellen vermag.

EIN LEBEN FÜR DIE ÖKUMENE. Von Marc Boegner. Erinnerungen und Ausblicke. Verlag Josef Knecht, Frankfurt am Main und Ev. Verlagswerk, Stuttgart 1970 (Originalausgabe „L'Exigence Oecumenique“, Albin Michel, Paris 196S).

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