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Die Stimmen im Vorhof

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Kein Schlagwort ist heute, in evangelischen wie katholischen Kreisen, so aktuell, wie: „Liquidierung von Reformation und Gegenreformation.” War durch die Reformation der katholischen Kirche die unbeirrte Wahrung der Tradition in den Jahrhunderten bis heute als besondere Aufgabe zugefallen, während die Reformation der fruchtbare Schoß der gesamten Neuzeit wurde, so zeigt die heutige Stunde fast eine Vertauschung dieser Rollen. Der Protestantismus strebt, teils bewußt und teils unbewußt, zur katholischen Tradition zurück. Während katholische Kreise bestrebt sind, nicht nur ein „evangelisches Gut” heimzuholen, sondern auch eine Stellung zu beziehen, die es den „getrennten Brüdern” ermöglichen soll, den Weg zur „Mutterkirche” leichter zu beschreiten. Vom Protestantismus her bildet sich die Position einer sozusagen „katholischen Evangelizität”, dėt vom Katholischen her die Position einer „evangelischen Katholizität” entspricht. Im „Radius” (Dezember I960) habe ich das Spiel zwischen diesen beiden Mittlunigspositionen darzulegen versucht. In ihnen wird Friedrich Heilers und des evangelischen Bischofs Söderblom gemeinsame Formel einer „evangelischen Katholizität” (die im Geist des Modernismus das Evangelische als akthafte Haltung, das Katholische aber als deren „Objek- tivation” nahm) zu ihrer vollen Gestalt geführt; indem in ihr das Hinüber und Herüber zwischen innerevangelischen und innerkatholischen Bewegungen einbezogen wird. — Die folgenden Werke stehen in der Ebene dieser inneren Bewegung zwischen den beiden Bewegungen, nämlich einer „katholischen Evangelizität” im innerevangelischen Raum und einer „evangelischen Katholizität” im innerkatholischen Raum. Es ist eine „Bewegung zwischen den Bewegungen” nicht nur im inoffiziellen Bereich (bei. Laien oder einzelnen Seelsorgern), sondern sie reicht bereits ins Kirchlich-Offizielle: da auf- evangelischer Seite die Bekenntniskirche, als Schöpfung Karl Barths, die katholische Zentralität von Dogma und Kirche gegen die altprotestantische Zentralität des erlebenden Ich stellt, während auf katholischer Seite zunehmend offizielle Theologen alte evangelische Positionen beziehen, so daß sogar der neue katholische Einheitskatechismus, vor allem in seiner Lehre der Messe, deutlich evangelischen Einfluß zeigt (wie noch aufzuzeigen sein wird).

Gleichsam im Vorhof dieser „neuen Kirche” (einer Begegnung zwischen katholischer Evangelizität und evangelischer Katholizität) stehen die zwei ausgesprochen kritischen Vortragsreihen des Süddeutschen Rundfunks, „Kritik an der Kirche”, herausgegeben von Hans-Jürgen Schultz (Kreuz-Verlag, Stuttgart, und Walter-Verlag, Olten), sowie „Frömmigkeit in einer westlichen Welt” (gleicher Herausgeber, gleiche Verleger). Mitarbeiter sind Katholiken und Protestanten. Sie finden sich aber nicht eigentlich in einem Ausgleich zwischen Reformation und katholischer Kirche (der freilich die stillschweigende Voraussetzung zwischen ihnen ist), sondern vielmehr in der Kritik an der Kirche überhaupt, weil sie es an wach sendet „Aufgeschlossenheit zur Welt” vielfach fehlen lassen. (Nüchterne Protestanten wie Katholiken freilich machen der heutigen Kirche eher den Vorwurf einer fast fiebrigen Anpassungsfreudigkeit an alles aktuell Moderne in Propaganda, Kunst, Kirchenbau, Kult und Wort.) — Die Autoren der zweiten Sammlung lassen die überwiegende Kritik der ersten Sammlung fast hinter sich, um einer enthusiastischen „Weltfrömmigkeit” (goethescher und sozialistischer Färbung) das „aktuelle Wort” zu geben. Gewiß ist Kirche objektiv-dogmatisch „Werkzeug zur Erlösung der Welt”, und darum fremd- zwecklich hin zur Welt, und gewiß ist der Weg vom östlichen Monasterium zu den heutigen Säkularinstituten ein Weg wachsender Einweltlichung (wenngleich vielfach die Säkularinstitute das äußere Zivil durch einen mystisch outrierten Gehorsam ersetzen, also doch wieder durch ein inneres östliches Monasterium). Aber die begeisterten Mitarbeiter beider Sammlungen gelangen nicht wenig an die Grenze, an der eine wirklich sakrale Kirche, zu einer allgemein vagen „Gemeinschaft des (aktualen) Glaubens” wird. Im — sicher berechtigten — Streben, die Kirche tief in die Welt einzusenken, als fruchtbares Samenkorn, vergessen sie, daß gerade die beklagten Mißstände jene Ecclesia deformis ausmachen, jene „entstellte Kirche”, die, nach Augustinus, die erlösende Präsenz des „Christus deformis” ist, des „entstellten” Gekreuzigten.

Diese „Stimmen im Vorhof” leiten über zu den neueren Werken über eine eigentlich „neue Kirche”. Sie stehen im Zeichen des Reformprogramms Hemeggers (vergleiche „Die Furche”, 9. April I960), das inzwischen zurückgezogen wurde. Ferner im Zeichen der Festschrift für Otto Karrer, „Begegnung der Christen” (herausgegeben von Roesle-Cillmann, Evangelische Verlagsanstalt und Josef-Knecht- Verlag, Frankfurt), in dem evangelische und katholische Theologen in den klassischen Konversfragen eine weitgehende Annäherung zueinander versuchen. Diesem Werk, als bisher ausgeprägtester Form der „Una Sancta”, entspricht dann schließlich das grundsätzliche und entscheidende Buch „Credo ecclesiam catholicam” von Max Lackmann (Styria-Verlag, Graz), von jenem Mann, der als ehemaliger evangelischer Pfarrer und jetziges Haupt eines „Bundes von Evangelisten und Katholiken” um eine Dogmatik dieser „neuen Kirche” eifrig bemüht ist.

In der „Begegnung der Christen” geht Hans Küng in seinem Beitrag am weitesten ins eigentlich Evangelische hinein, indem er die äußere (passive) forensische Rechtfertigung des militanten Luther (gegen eine aktive Mitwirkung mit der Rechtfertigung) darzulegen sucht als katholische Position, in Konsequenz zu seiner Tendenz in seinem Karl-Barth-Buch, Barth zu „katholisieren”. Küng, der seitdem in ge- . wissen katholischen Kreisen einen Ruf hat, übersieht dabei, daß die „justificatio mystik -sich vollendet (vergleiche - meine Luther-Darstellung in „Humanitas”, Nürnberg 1952). — Auf der anderen Seite geht Johannes Ringger, im Anschluß an Joachim Jeremias, weit ins Katholische, indem er „Petrus als Fels” auf dem Hintergrund des „Tempelfelsens” von Jerusalem erscheinen läßt, also als die Erfüllung des Alten Bundes als des „Typos” zum Neuen hin. — Zwischen diesen beiden äußersten Grenzen eines Evangelischen im Katholischen und eines Katholischen im Evangelischen bewegen sich die übrigen Beiträge des Werkes, hin zu einer Dogmatik der Una Sancta.

So begegnet diese sich mit dem kühnen Versuch Max Lackmanns, seine frühere katholische Deutung der Confessio Augustana in eine Dogmatik münden zu lassen, die im zweiten Teil ausdrücklich einen „Katechismus katholischen Glaubens Augsburger Konfession” entwirft, in dem die evangelischen Quellen (Großer Katechismus Luthers und Augustana) und die katholischen Quellen (Tridentinum und neuer Einheitskatechismus) einander gegenübergestellt werden, aber nicht, um einer klaren Scheidung willen, sondern, um sie weitestgehend zueinander hin zu interpretieren. So läßt er einerseits nicht nur das betont Protestantische, als kämpferisch Protestierendes, fallen, sondern auch die reformatorische „Alleinwirksamkeit Gottes” (in Christo), die doch die Grundlehre der Reformation ist. Dafür aber will er das Evangelische (im Gegensatz zum Protestantischen, das er bekämpft) als „existentielles Christentum” (eines aktualen, erlebenden Glaubens) zum Komplementär des Katholischen machen, als eines „objektiven Christentums”, zu dem noch, wenn man die Linien Lackmanns folgerichtig weiterzeichnet, das orthodoxe Christentum als liturgisch - ikonisches „Verklänmgschristentum” vollendend hinzukäme. Lackmann spricht darum offen von einer möglichen offiziellen Dreiheit oder Vielfalt von „Kirchen”, die in Ergänzung zueinander stünden. Man wird sagen müssen, daß damit Lackmann das alte Gnoseumenon von Joachim de Fiore, Schelling und den Neurussen zur Grundlage seiner „Neuen Kirche” nimmt, die praktisch als „Bund von Evangelischen und Katholiken” bereits anhebt unter ihm als Haupt, das Gnoseumenon eines römischen Christentums Petri, eines reforma- torischen Christentums Pauli und eines orthodoxen Christentums Johannis. Dann stünde einem römisch-katholischen „Ökumenischen Konzil” nicht nur eine „lutherische Ökumene” gegenüber, sondern eine Ökumene, die, als unter dem Patrozinium der drei Hauptapostel Christi, sozusagen deren „Ergänzungsharmonie” zu ihrem eigentlichen Haupt hätte. — Dann wäre es auch klar, warum Lackmann ebenso wie der Sammelband „Begegnung der Christen” für alles eine Ergänzung wissen, nur nicht für den juridischen Primat des Papstes. Indem diese Frage ebenso in der „Begegnung der Christen” wie in Lackmanns „Katechismus des katholischen Glaubens Augsburger Konfession übergangen erscheint, tritt gegen das Römisch-Katholische des juridisch-päpstlichen Primats eine gleichberechtigte Dreiheit des „petri- nisch - paulinisch - johanneischen Christentums” als Dreiheit gleichberechtigten katholischen, evangelischen und orthodoxen Christentums. — Das dürfte wohl der geheime Traum der Una Sancta sein.

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