Ein Grund zum Feiern, Nicht zur Klage

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Das Evangelium ist eine Botschaft der Freiheit. Das jüngste katholisch-lutherische Dokument nimmt diesen Aspekt, den die Reformation so betonte, gar nicht in den Blick.

"Die Reformation war ein kirchlich-gesellschaftlicher und geistiger Aufbruch mit weltweiter Ausstrahlung und Wirkungen bis heute.“ So sieht es jedenfalls die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), die auf ihrer Vollversammlung 2012 in Florenz über Konfessionsgrenzen hinweg zur gemeinsamen Feier des Reformationsjubiläums 2017 aufgerufen hat. Die Bewegung, die sich mit Luthers Kritik am Ablasswesen und seinen 95 Thesen von 1517 verband, entfaltete eine enorme Überzeugungskraft, welche die seit langem ersehnte Erneuerung der Kirche forcierte, vertiefte und umfassend ausweitete. Wie die Leuenberger Konkordie von 1973 feststellt, entstanden die evangelischen Kirchen durch die neue befreiende und gewissmachende Erfahrung des Evangeliums der Rechtfertigung allein aus Glauben. "Das Evangelium“, so die GEKE in ihrem Aufruf zum Reformationsjubiläum, "lässt aufatmen, vertreibt die Angst, schenkt neues Leben, macht frei, öffnet die Augen für die Not anderer und vertreibt die Trauergeister. Wo auch immer das unter uns erfahren wird, werden die Impulse der Reformation unter uns lebendig.“

Keine Impulse durch Reformation?

Von all dem ist in dem gemeinsamen Dokument zum Reformationsgedenken, das die lutherisch/römisch-katholische Kommission für die Einheit gerade veröffentlicht hat, leider kaum etwas zu spüren. Dass die Reformation ein religiöser Aufbruch war, für den man bis heute nur dankbar sein kann, sucht man in dem Bericht vergebens. Ein wenig ist zwar von gemeinsamer Freude am Evangelium die Rede, doch überwiegt die Klage über die Spaltung der abendländischen Christenheit. Statt dass die Trauergeister vertrieben werden, mündet der Text in katholische und lutherische Bekenntnisse von Sünden gegen die sichtbare Einheit der Kirche. Dabei hätte man schon gern etwas genauer erfahren, was die römische Kirche ihrer Meinung nach alles falsch gemacht hat.

Das Evangelium ist eine Botschaft der Freiheit. Als solches ist es in der Reformation neu zum Klingen und Leuchten gebracht worden. Gott befreit uns Menschen aus allen falschen Bindungen, von Sünde, Tod und Teufel, auch von allen Menschensatzungen, die innerhalb wie außerhalb der Kirche die Menschen der Knechtschaft unterwerfen. Doch von dieser evangelischen Freiheit ist im vorliegenden Dokument nur ganz versteckt die Rede, wenn es auf Luthers Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu sprechen kommt, ohne dass sich die katholischen Partner Luthers Aussagen auch nur irgendwie zu eigen machen würden.

Wirklich gemeinsame Lesart?

Die gemeinsame Lesart der lutherisch-katholischen Einheitskommission orientiert sich an der Frage des frühen Luther nach dem gnädigen Gott. Das Dokument verweist darauf, dass doch auch Papst Benedikt der XVI. Luthers Ringen um den gnädigen Gott 2011 bei seinem Besuch im Augustinerkloster in Erfurt ausdrücklich gewürdigt habe. Ratzinger hat freilich aus seiner schroffen Kritik an Luther nie einen Hehl gemacht und ist auch bei seinem letzten Deutschlandbesuch absichtsvoll am Kern der Theologie Luthers vorbeigegangen, indem er auf die Antwort, die Luther auf seine Frage fand, nicht eingegangen ist.

Wohl unterstreicht das Dokument in ökumenischer Eintracht den Gedanken, dass der Mensch allein aus Gnade (sola gratia) und allein um Christi willen (solus Christus) gerechtfertigt und gerettet wird. Aber dass dies allein durch den Glauben geschieht (sola fide), der kein menschliches Werk, sondern göttliches Geschenk ist und eine unbedingte, wenn auch immer wieder angefochtene Heilsgewissheit begründet, stellt der Text eben nicht klar heraus.

Es ist anzuerkennen, dass sich der Bericht um eine gemeinsame Darstellung der Theologie Luthers und eine gemeinsame Erzählung der Reformation bemüht. Das geschieht aber um den Preis einer weichgespülten Lesart reformatorischer Theologie und der Abschwächung aller historischen Konflikte zu unglücklichen wechselseitigen Missverständnissen und menschlichen Versäumnissen, so dass man sich am Ende fragt, warum die Reformation überhaupt stattfinden musste.

Zudem wird die Reformation ganz auf Luther und das Luthertum reduziert. Das ist genau das Gegenteil von dem, was 2017 auf der Tagesordnung steht. Ohne die herausragende Stellung Luthers für die Reformation in irgendeiner Weise in Abrede stellen zu wollen, ist doch die Rolle der übrigen Reformatoren und ihrer Theologie zu würdigen. Dabei geht es nicht an, Luther zum alleinigen Maßstab dessen zu erklären, was reformatorisch ist und was nicht. Zwingli, Melanchthon, Bucer oder auch Calvin als Reformator der zweiten Generation müssen in ihrer theologischen Eigenständigkeit gesehen werden. Auch ist die Reformation nicht nur ein deutsches, sondern ein gesamteuropäisches Ereignis gewesen, das die Geschichte des Kontinents und schließlich auch die Geschichte anderer Erdteile bis heute nachhaltig geprägt hat. 1517 ist eben nur ein symbolisches Datum, neben dem aber andere Ereignisse und Personen stehen. Das neu bewusst zu machen, ist eine wichtige Aufgabe für das bevorstehende Reformationsjubiläum. Und genau darum bemüht sich z.B. die GEKE mit ihrem Projekt "Europa reformata“.

Nur lutherische Reformation

Nun muss man dem Bericht "Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ zugute halten, dass es sich lediglich um ein bilaterales lutherisch-katholisches Dokument handelt. Doch ist es schon erstaunlich, wie sehr andere reformatorische Traditionen und Kirchen ausgeblendet werden, allen voran die reformierten. So kommen die Reformation und ihre Impulse, die bis heute weiterwirken, nur ganz selektiv in den Blick.

Prominent ignoriert wird die innerprotestantische Ökumene, deren Frucht in Europa die Leuenberger Konkordie von 1973 und die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa sind. Ohne ihre organisatorische Eigenständigkeit und ihre konfessionelle Besonderheit aufzugeben, stehen die 107 Mitgliedskirche untereinander in einer Kirchengemeinschaft, die sich als Einheit in versöhnter Verschiedenheit begreift. Nach diesem Modell gibt es überhaupt keinen Grund, die Existenz eigenständiger evangelischer Kirchen - eine Frucht der Reformation - zu beklagen. Ausdrücklich hat die GEKE in ihrem bedeutsamen Lehrgesprächstext "Die Kirche Jesu Christi“ 1994 erklärt, das Modell der Einheit in versöhnter Verschiedenheit sei auch ihr Modell für die Ökumene mit anderen Kirchen, also z.B. mit der römisch-katholischen und den orthodoxen Kirchen. Gerade haben zwischen der GEKE und dem Vatikan offizielle Gespräche darüber begonnen.

Modell für die Ökumene?

Das Dokument des Lutherischen Weltbundes und der römischen Kirche zum bevorstehenden Reformationsjubiläum erwähnt all dies nicht einmal in einem Nebensatz. Lediglich im Zusammenhang mit den Ausführungen zum gemeinsamen Verständnis von Schrift und Tradition ist einmal von Einheit in versöhnter Verschiedenheit die Rede.

Stattdessen ist das Dokument "Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ auf die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) von 1999 fixiert, der geradezu eine heilsgeschichtliche Bedeutung zugeschrieben wird. Daneben werden die lutherisch-katholischen Dialogdokumente zu Rechtfertigung, Abendmahl, Amt, Schrift und Tradition der vergangenen Jahrzehnte gesichtet, ohne dass man wirklich Neues erführe.

Was sollen wir nun dazu sagen? Zum ersten: Die katholische Seite gibt in diesem Dokument zu erkennen, dass die römische Kirche infolge der Reformation zu einer partikularen Konfessionskirche wider Willen geworden ist. Das widerspricht zwar ihrem dogmatischen Selbstverständnis, wie zuletzt das Schreiben der Glaubenskongregation mit dem etwas trockenen Titel "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“ gezeigt hat, das den Kirchen der Reformation wie schon "Dominus Jesus“ (2000) ihr Kirchesein abgesprochen hat, aber die empirischen Fakten sprechen nun einmal eine andere Sprache. Was die lutherische Seite betrifft, so vermittelt das neue Dokument den Eindruck eines Luthertums, das an sich selbst irre zu werden und die Orientierung hinsichtlich seiner geschichtlichen Sendung zu verlieren droht. Das ist besorgniserregend. Um so mehr möchte man den anderen protestantischen Kirchen zurufen: Das Reformationsjubiläum 2017 ist zu wichtig, als dass man es dem Lutherischen Weltbund überlassen dürfte.

Der Autor ist Prof. für System. Theologie H.B. an der Evang.-Theol. Fakultät der Universität Wien

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