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Ein Vater des Protestantismus

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Die reformatorische Bewegung, die von der Schweiz aus um die Welt gegangen ist, entstand zur selben Zeit, aber völlig unabhängig von den deutschen Reformatoren. Typisch für die „demokratischen" Schweizer war, daß sie von Anfang an jeglichem Personenkult mit ihren Reformatoren kritisch gegenüberstanden. Nicht das heroische Leben eines „Glaubenshelden" war wichtig, sondern sein geistliches Anliegen: die Wiederentdeckung des Evangeliums Jesu Christi und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für Kirche und Gesellschaft. Deshalb ist von der Biographie Zwingiis eher wenig bekannt, ja, sein theologisches Denken und seine umfassende Reformkonzeption werden weitge^ hend nicht mit seinem Namen verbunden.

Zwingiis Forderung nach einer grundlegenden Reform von Kirche und Gesellschaft hat heute die führenden Frauen und Männer in der Ökumene gleichermaßen in ihren Bann gezogen wie die christlich engagierte Jugend in al-Jer Welt. Der bekannte Zwingli-Forscher Gottfried Locher, Bern, übertreibt sicher nicht, wenn er sagt: „Ich kenne keinen Reformator, der in so konsequenter Weise das heutige ökumenisch-missionarische Programm der Kirche vorweggenommen hat, die nur Kirche ist, wenn sie die Mauer zum öffentlichen Leben niederreißt und Kirche für die Welt wird."

Erzherzog Ferdinand von Österreich hat sich schon 1523 in einem eigenen Mandat gegen „die Schriften Luthers, Oekolampads (= Reformator von Basel), Zwing-lis und andere dergleichen neue Verführerische Bücher" gewendet, die zwinglianische Reformation hatte also starke Verbreitung gefunden. Dies beweist auch ein kirchlicher Visitationsbericht aus der Steiermark, der in Hinblick auf die konfessionelle Situation von „einer solchen Vermengung lutherischer, zwinglischer und täuferischer Einflüsse" spricht, „daß eine saubere Trennung kaum vorzunehmen ist".

An dieser Situation scheint sich bis in unsere Zeit nicht allzuviel geändert zu haben — wenn man von äußerlich gesetzten Kirchenabgrenzungen und Konfessionsstatistiken absieht! Dieser „ge-samtref ormatorische Humus" hat in unserem Land den Protestanten einen „österreichischen Weg" freundlichen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens von Lutheranern und Reformisten ermöglicht — und zwar von der Zeit Josefs II. an, wie er in vielen Ländern bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als undenkbar erschien: zwei an sich selbständige Kirchen, die, soweit es möglich ist, zusammenarbeiten: gemischtkonfessionelle Gemeinden (A.B. und H.B.) in beiden Kirchen, ein Reformierter kann lutherischer Bischof werden, ein Lutheraner reformierter Landessuperintendent (= Vorsitzender des Evangelischen Oberkirchenrates H.B.)!

Das „Zwingli-Jahr" ist nicht bloß ein Anliegen einiger reformierter Christen — die Evangelische Kirche H.B. ist zahlenmäßig die viertgrößte —, sondern Anlaß eines nützlichen Besinnungsprozesses für alle evangelischen

Österreicher. Bei den Gedenkveranstaltungen werden die Kirchen A.B. und H.B. gemeinsam als Veranstalter" und Einladende auftreten. Chance dieses gemeinsamen Besinnungsprozesses ist, daß Österreichs Protestanten sich aufs neue ihrer breiten evangelischen Basis bewußt werden. Und zu dieser Basis haben Zwingiis Schüler viel beigetragen:

Die presbyterial-synodale Grundlage der evangelischen Kirchenverfassung — die Reformation in Zürich wurde nach einer öffentlichen Disputation mit etwa 600 Teilnehmern durch einen „demokratischen" Beschluß des Rates der Stadt eingeführt; die Predigt ganzer biblischer Bücher („lectio continua") sowie die besondere Wertschätzung des Alten Testamentes; eine Abendmahlslehre, die die Einmaligkeit des Kreuzesopfers Christi und das „geistliche" Essen am stärksten betont; die ständige wissenschaftliche Arbeit und Neuübersetzung der Bibel — die dreibändige Computerkonkordanz zur Zürcher Bibel ist ein Höhepunkt dieser Arbeit; eine klare und nüchterne Gottesdienstordnung mit der Predigt im Zentrum und vieles andere.

Mit Wien ist Zwingli durch sein Studium verbunden, er hat hier das Wintersemester 1498/99 und das Sommersemester 1500 absolviert.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche H.B. in Wien und Vorsitzender des Weltkirchenrates für Osterreich.

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