6772264-1969_07_10.jpg
Digital In Arbeit

Züricher Reformationsfeier

19451960198020002020

Zürich gedachte vor kurzem des großen Reformators Ulrich Zwingli, der vor 450 Jahren seine Tätigkeit als „Leutepriester“ am Großmünster aufgenommen und damit seine große zündende Idee zu realisieren begonnen hatte.Um diese Leistung richtig würdigen zu können, muß man sich die damaligen Probleme vergegenwärtigen und sie in die herrschenden politischen und sozialen Kraftfelder hineinstellen. Die Schweiz stand zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Mit ihren heldenhaften Siegen über Karl den Kühnen von Burgund hatte sie sich internationales Ansehen erworben. Ludwig XII. hatte ihr das Tessin überlassen, um sich ihr Bündnis zu erkaufen; gleichzeitig zerrte er sie jedoch in die italienischen Kriege hinein. Die imperialistische Politik der Eidgenossenschaft zielte auf das ganze Burgund und auch auf Mailand ab, doch wandte sich das Kriegsglück von ihnen ab. 1513 verlor sie die Schlacht vor Dijon, 1515 jene in Marignano. Es war dies jenes Jahr, in dem die Schweiz aufgehört hatte, eine Macht zu sein. Sie mußte eine gewisse Oberherrschaft Frankreichs anerkennen.

19451960198020002020

Zürich gedachte vor kurzem des großen Reformators Ulrich Zwingli, der vor 450 Jahren seine Tätigkeit als „Leutepriester“ am Großmünster aufgenommen und damit seine große zündende Idee zu realisieren begonnen hatte.Um diese Leistung richtig würdigen zu können, muß man sich die damaligen Probleme vergegenwärtigen und sie in die herrschenden politischen und sozialen Kraftfelder hineinstellen. Die Schweiz stand zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Mit ihren heldenhaften Siegen über Karl den Kühnen von Burgund hatte sie sich internationales Ansehen erworben. Ludwig XII. hatte ihr das Tessin überlassen, um sich ihr Bündnis zu erkaufen; gleichzeitig zerrte er sie jedoch in die italienischen Kriege hinein. Die imperialistische Politik der Eidgenossenschaft zielte auf das ganze Burgund und auch auf Mailand ab, doch wandte sich das Kriegsglück von ihnen ab. 1513 verlor sie die Schlacht vor Dijon, 1515 jene in Marignano. Es war dies jenes Jahr, in dem die Schweiz aufgehört hatte, eine Macht zu sein. Sie mußte eine gewisse Oberherrschaft Frankreichs anerkennen.

Werbung
Werbung
Werbung

Ulrich Zwingli hatte als Feldprediger das Soldatenleben kennengelernt. Er wandte sich entschieden davon ab, hielt antimilitaristische, antiklerikale und demokratische Predigten, die die zürcherische Volkspartei anfeuerten. Sie Verhalf ihm zur Macht: 1519 etablierte er sich am Großmünster und gründete eine Staatskirche, die er zur Religion der Evangelien und zu einer Moral der Barmherzigkeit zurückführen wollte. In ihrem Namen bekämpfte er die Reisläuferei in fremde Kriegsdienste. Zu jener Zeit standen etwa 20.000 Schweizer Söldner in den Diensteh des französischen Königs und etwa 60.000 im Sold anderer Herrscher. Daraus bezog die Schweiz große Einkünfte. Allein Frankreich bezahlte jährlich an die vier Millionen Livres, und ein großer Teil der in ärmlichen Verhältnissen lebenden Landbevölkerung der Schweiz war auf diese „Arbeit“ angewiesen.

Kein Wunder, daß sich kn Kampf gegen Zwingli diese armen Kreise mit der aus der Reisläuferei Profit ziehenden Aristokratie verbündeten. Zwingli, der im Gegensatz zu Martin Luther keineswegs ein Mystiker, vielmehr ein echter Humanist aus der Schule des Erasmus war, wandelte sich vom überzeugten Reformator zum Politiker. Beides, die religiöse Reform und die politisch-soziale Umwandlung, waren schon damals nicht von einander zu trennen. Zwingli, der die Autorität des Papstes bekämpfte, die Verehrung der Bilder und Heiligen verbot, stand Gedankengängen nahe, wie sie auch Thomas Morus in seiner „Utopda“ vertreten hatte. Daß er darob die Schweiz in einen Bruderzwist stürzte, der in offenen Krieg ausartete, hatte er nicht voraussehen können. Zwingli selbst verlor in der Schlacht bei Kappel, in der die katholischen Orte den Sieg errangen, im Jahre 1531 sein Leben.

Der Zufall wollte es, daß ausgerechnet im Jahre 1969, viereinhalb Jahrhunderte nach Zwingiis Amtsübernahme am Großmünster, erstmals ein Katholik die Zürcherische Kantonsregierung präsidiert. Regierungspräsident Dr. Urs Bürgi erklärte denn auch in seiner Ansprache wörtlich:

„Persönlich möchte ich es als eine besondere Fügung bezeichnen, wenn es mir als Nachfahren jener Schweizer, die bei Kappel auf der andern Seite gekämpft haben, in der Eigenschaft als erster katholischer Regierungspräsident des eidgenössischen Standes Zürich an der 450-Jahr-Feier der Zürcher Reformation vergönnt ist, des großen Reformators Ulrich Zwmgli ehrend zu gedenken, und ich möchte mir das Urteil jenes Priesters Hans Schönbrunner gleichsam zu eigen machen: .Zwingli, du bist ein redlicher Eidgenosse gewesen.' H

Deutlicher hätte wohl nicht mehr dokumentiert werden können, wi grundverschieden heute das Wirken Zwingiis von katholischer Seite eingestuft wird, und zwar nicht nur im Vergleich etwa zur Zeit des Mittelalters, sondern auch im Vergleich zur offiziell-katholischen Haltung der vorkonziliären Ära. Es wäre aber ungerecht, wollte man verschweigen, daß auch die evangelische Kirche selbst sich gewandelt hat. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, daß eine der größten Kirchen Zürichs, das altehrwürdigc Fraumünster, sich aus Anlaß einer Zwingli-Feier für ein „Teach-in“ mit freier und unbeeinflußter Aussprache öffnen würde. Bei dieser „neuen Reformation“ wirkte auch der Wiener Publizist Günther Nenning mit, der die „Herausforderung des Marxismus an das Christentum“ zu seinem Hauptthema gewählt hatte.

Die Fraumünster-Diskussion drehte sich ausführlich um die Frage, wo eigentlich die größere Herausforderung liege: in jener des Marxismus an das Christentum oder in der christlichen an die Marxisten. Eine eindeutige Antwort blieb aus.

Immerhin könnte vielleicht gerade Zwingli in dieser Beziehung einiges Licht bringen. Er war davon ausgegangen, daß die Reformation nur durch die große Idee der religiösen Freiheit siegen könne, und er wollte diese Freiheit in alle Täler hineinbringen, bis hinein in die urkatholischen Waldstädte, und dies alles mit allen nötigen Mitteln — unter Umständen sogar mit Hilfe des Krieges. Gerade in dieser Freiheit aber kann die wirkliche Herausforderung liegen, und zwar nicht in der gewaltsam erzwungenen. Wo die Freiheit nun größer ist, in der christlichen oder in der marxistischen Welt, das mag jeder selbst entscheiden. Es hat eine Zeit gegeben, da man auch im Christentum noch von der Notwen-diekeit des Zwanees zum religiösen Glück überzeugt war, währenddem heute die individuelle Freiheit, die persönliche Entscheidung im Vordergrund steht. Im Marxismus machen sich — trotz der Gewaltmethoden von Seiten der Machthaber — ähnliche Tendenzen bemerkbar. Herausforderung als Wechselwirkung! Es wäre aber falsch, aus der Geschichte Zwingiis nur diesen einen Aspekt herauszugreifen. In seinem kriegerischen Kampf um die religiöse Freiheit manifestiert Sich ein Detail, das schließlich vielmehr Symbol der Einigkeit als jenes des Zwiespaltes wurde: Als anfangs Juni 1529 Zwing-lis 4000 Männer in Richtung auf das katholische Schwyz marschierten, erreichten sie die Grenze zum ebenfalls katholischen Kanton Zug. Bei Kappel stießen sie auf die „Feinde“, die in einem riesigen Topf Milch mit sich führten, während die Zwinglianer nur Brot bei sich hatten. Genau dort, wo die Markierungen zwischen den beiden Kantonen durchgingen, stellten die katholischen Waüdstätter ihren Milchtopf hin, die Reformer steuerten ihr Brot bei und gemeinsam nahmen die Feinde das Mahl ein.

Leider wurde dieser erste „nationale Friede“ nur ein Waffenstillstand. Zwei Jahre später kam es zum zweiten Kappeler Krieg, in dem der Reformator selbst sein Leben einbüßte. Viel Positives aber, das von seinen Ideen ausgegangen ist, vermochte sich bis heute zu halten und hat vielleicht sogar als „Herausforderung“ die katholische Kirche befruchtet. In der „Herausforderung“, die der Marxismus seinerseits bedeutet, sind katholische und evangelische Kirche nun wieder im gleichen Lager vereinigt, und die Frage, die ein katholischer Geistlicher am Schluß des „Teach-in“ im privaten Kreise stellte, war zwar provozierend formuliert, im tieferen Gehalt aber wirklich ernstgemeint: „Mich nimmt nur wunder“, sagte er, „welchen von beiden die katholische Kirche zuerst heilig spricht: Zwingli oder Lenin?“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung