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Nur ein kleines Wunder

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Ein Angehöriger der Sozialistischen Partei, der es „ernst meint mit dem Sozialismus“, aber als Katholik auch ernst mit seinem christlichen Bekenntnis, hat die Gastfreundschaft der „Furche“ aufgesucht, um, nach links und rechts gerichtet, sich seine Sorge um den unerfreulichen Lauf der Dinge zwischen hüben und drüben vom Herzen zu reden. Er tat dies mit sympathischer Wärme und Offenheit. Seine Sorge ist begründet. Der sozialistische Verkehrsminister — um nochmals daran zu erinnern — benützte bei seinem Vorgehen gegen die Bahnhofsgottesdienste fürPassagiere der Bundesbahn einen harmlosen, geringfügigen Tatbestand, der politisch für seine Partei völlig ohne Interesse ist, um die christliche Bevölkerung zutiefst durch seinen Gewaltakt zu verletzen; zu gleicher Zeit verschärft sich in der sozialistischen Presse mehr als einmal die Erörterung über Angelegenheiten, die das innerkirchliche katholische Leben betreffen und die Partei nichts angehen, zu verletzenden Akzenten; beunruhigt fragt sich der Staatsbürger, was da vorgehe und ob die obersten verantwortlichen Lenker die Zügel aus der Hand gegeben haben. Der an die „Furche“ gerichtete Brief offenbart, wie tief bis in die sozialistischen Reihen hinein von der beunruhigenden Wirkung denkende, von Parteileidenschaft unbeirrte Menschen ergriffen werden. Eine Reihe grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten sind unerledigt, man wird sich über sie sachlich auseinandersetzen können; viel gefährlicher sind aber die boshaften Querschüsse, die, vermutlich dem Gefallen einzelner an einer privaten Kriegführung entsprungen, sich ohne Hemmung wiederholen.

In dem umwölkten Halbdunkel dieser Situation ist nun diese warme, durch die „Furche“ an die Öffentlichkeit gerichtete Stimme eines Sozialisten laut geworden, die Sehnsucht nach einem Sozialismus der Erkenntnis, daß die Liebe Christi die größte soziale Kraft aller Zeiten ist, nach einer Zeit, in der die beiden großen Parteien des Staates „ohne Haß gegeneinander dem Christentum in Freundschaft verbunden sind“. Nach diesem Pfingstwunder ruft die Stimme dieses redlichen Österreichers. Das Wunderl Es kann alles, auch das nach menschlichem Ermessen nicht Erreichbare. Es ist ein freies Geschenk; freilich hat das Damaskuswunder, gewonnen ohne menschliches Verdienst, sich vor aller Welt und in der Stille und Qual schwerer Sucherstunden tausendfach wiederholt. Aber es kann nicht darauf ankommen, auf das Wunder zu warten, sondern es gilt, mit dem Aufgebot aller menschlichen.Kräfte gegenüber den Kräften der Unterwelt eine gerechte gesellschaftliche Ordnung im Staate herzustellen. Aus den Fieberschauern, welche die ganze Welt ohne Unterschied der Zonen und der Rassen befallen haben, geht ein neues Weltbild hervor. Alles Zwitterhafte, Halb-schlächtige, Zweigesichtige ist dem Untergang verfallen; das Ende der anmaßlichen Doktrinen, welche den Himmel abschaffen, um die Erde und ihre greifbaren Dinge zu vergöttlichen, ist da. Auf der ganzen Linie sieht sich der Sozialismus, soweit er sich nicht zu einer neuen Religion der Diktatur und der menschlichen Omnipotenz verwandelt hat, zu einer gründlichen Neuinventur seiner geistigen Einrichtungen genötigt. Nicht umsonst schrieb nach dem zweiten Weltkrieg der Bayer Dr. Högner seiner Partei vor; „Der letzte große Theoretiker des Marxismus, Dr. Hilferding, hat mir als sein Vermächtnis hinterlassen, daß wir den historischen Marxismus durch die Anerkennung der sittlichen Kräfte in der Welt ergänzen müssen. Das bedeutet von unserer Seite auch eine positive Stellungnahme zur Religion.“ Der Sozialismus ganzer Länder hat diese Revision bereits vollzogen, der holländische mit einer Offenheit, die ihn sogar im Parlament den schlichten Titel „Partei der Arbeit“ annehmen ließ. Fast ist es ein Treppenwitz der Weltgeschichte, daß jetzt das Marx-Engels-Lenin-Institut in Moskau, die Akademie der politischen Wissenschaften bolschewistischer Prägung, aus oberster Machtvollkommenheit eine von „Irrtümern der deutschen Ausgabe“ gesäuberte und neugefaßte Übersetzung des Grundbuches der marxistischen Lehre, des „Kapitals“ von Karl Marx, veranstaltet. Nach bisherigen Begriffen des orthodoxen radikalen Sozialismus ein lästerlich-blasphemisches Unternehmen, ins Werk gesetzt von Schriftgelehrten eines Systems, das den leidenschaftlichen Anspruch erhebt, Bewahrer des unverfälschten marxistischen Erbes zu sein. Auch in dieser Hut scheint der Marxismus den Ansprüchen der Gegenwart nicht mehr gewachsen. Als der alte Literat des österreichischen wissenschaftlichen Sozialismus, Dr. Karl Renner, und Oscar Pollak vor einigen Jahren in der sozialistischen kulturpolitischen Monatsschrift zu einer Untersuchung über die Erneuerung des dogmatischen Ideengehaltes des österreichischen Sozialismus antraten, antwortete ihnen ein gemischter Chor, aus dem sich kein dauerhaftes Leitmotiv löste. Seither ist die Diskussion trotz einzelner tapferer Ansätze, nicht weitergekommen. Und doch geht es hier augenscheinlich um das Schicksal des österreichischen Sozialismus. Er wird sich entscheiden müssen, ob er in überaltertem geistigem Besitz, der einstmals zweifellos seine Stärke ausmachte, versteinern und die nachwachsende Generation verlieren will. Wir Christen sind dabei — es sei zugegeben — nicht unbeteiligte Zuschauer, denn eine sinngemäße, vernunftgerechte Entwicklung hat die Partei der sozialistischen Massen mitverantwortlich gemacht und bestimmt zur Teilnahme an einer aktiven Leistung für den österreichischen Staatsaufbau. Sie war und ist wieder der Versuchung ausgesetzt, diese Berufung zu vergessen, sie wird dies nicht tun können, ohne “sich selbst zu vergessen.

Der verdienstvolle deutsche Sozial-ethiker Dr. Hans Rost, einer noch aus den Reihen des einstigen Zentrums, knüpft in seinem jüngsterschienenen großen Werke, einem Kompendium reichen kulturhistorischen Materials, an die Ansprache an, die der sozialistische Führer Belgiens an seine Parteifreunde der Provinz Namur richtete: „Ich weiß“, sagte Spaak, „daß ich die Gefühle einiger meiner sozialistischen Freunde verletze, wenn ich sage, daß die Zukunft Europas das gemeinsame Resultat sozialistischer und christlicher Kultur sein wird. Geben wir zu, daß sich die Zeiten geändert haben. Die Ideen, welche wir als Sozialisten vor fünfzig Jahren über Religion und Kirche gehabt haben, können heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Wir können nicht mit den Kommunisten zusammengehen, weil . es unmöglich ist, mit ihnen ein gemeinsames wirtschaftliches oder soziales Programm durchzuführen, ohne auf die Würde der menschlichen Person zu verzichten.“ Hierin sah der Belgier Spaak die Direktive nicht nur für seine Partei, sondern für die Sozialisten ganz Europas. Hans Rost ergänzt sein Wort; „Wenn der Sozialismus nicht stärkste Anleihen bei der Weltreligion des Christentums annimmt, dann wird die Weltsozialdemokratie, der Welt-sozialimus von der Diktatur des Weltbolsehewismus zer-

Hans Rost: „Die Katholische Kirche, die Führerin der Menschheit; eine Kultursoziologie.“ Gangolf Rost-Verlag, Westheim bei Augsburg. 544 Seiten, 13.80 DM. malmt werden.. Darüber . sind sich die | klügsten und führenden Köpfe in der Sozialdemokratie aller'Länder einig.“ Der bewährte alte Kämpe der katholischen Publizistik Deutschlands scheut sich nicht, den schwerwiegenden Satz auszusprechen: „Der von kommunistischen und kollektivistischen Utopien und Schaf Ottmethoden sich fernhaltende Sozialismus der Sozialdemokratie und der christliche Sozialismus der katholischen Kirche bieten weitgehende Möglichkeiten der Zusammenarbeit; für beide Teile. Für die katholische Kirche und für die Sozialdemokratie hat damit eine neue Stunde geschlagen.“ — Die Führung des österreichischen Sozialismus wird sich dazu verstehen müssen, die Tatsachen und Erkenntnisse, die ihr zweifellos geläufig sind, auch denjenigen ihrer hochbeamter ten oder nichtbeamteten Partner nahezubringen, denen sie bisher verschlossen geblieben sind. Es geht um mehr als nurum Ärgernis und Bitterkeit, in der christlichen Bewohnerschaft unseres Landes. Es geht um die Sicherheit der Zielstellungen im öffentlichen Leben und letzten Endes um Werte, um deren Rettung nicht selten mit verdienstlicher Einmütigkeit gerungen worden ist.

In dieser Lage bedarf es zunächst nur des kleinen Wunders der Vernunft. Noch werden wir nicht verzichten, darauf zu hoffen. f.

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