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Das „Ärgernis Nenning”

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Vielleicht bin ich am ehesten berufen und befähigt, das Problem, das Dr. Günther Nenning in der Nummer 49/1965 dieser Zeitschrift in seinem Artikel: „Katholik sein in der SPÖ” angeschnitten hat, zu beleuchten, da ich als ehemaliger Theologe und seit 41 Jahren als tätiger Sozialist beide Weltanschauungen kennen lernen und erproben konnte. Das Ergebnis des II. Vatikanischen Konzils und der Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe, geschrieben unter dem erhebenden Eindruck des Konzils in Rom, geben sicherlich meiner Darstellung eine gewisse Aktualität.

Ich halte es mit dem Satz Doktor Nenning’s: „Taktische Formulierungen sind zuwenig, wo es darum geht, Wahrhaftigkeit zu üben. Gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt scheint mir damit der Kirche wie der Partei wahrscheinlich am besten gedient.” In jedem Land ist das Verhältnis von SP und katholischer Kirche etwas anders gelagert. So auch in Österreich! Hier soll nur von der Entwicklung des gegenseitigen Verhältnisses in Österreich die Rede sein.

Schwere Hypotheken

Auf beiden Institutionen lastet eine schwere Hypothek aus vergangenen Zeiten, die bei der betont konservativen Mentalität des österreichischen Volkes nicht so rasch abgelöst werden kann. Wie in Österreich und anderswo das Proletariat im Laufe der ersten Industriellen Revolution entstanden ist, weiß jeder Historiker und Soziologe. Das Vorhandensein tausender Lohnsklaven, die schütz- und wehrlos den Machtbestrebungen der nimmersatten Kapitalisten ausgeliefert waren, wird von niemandem geleugnet und diesem Obel zu begegnen, war auch der Sinn der Ersten Sozialenzyklika „Rerum novarum” des Papstes Leo XIII. Nur hat sich in der Praxis gezeigt, daß die Wirklichkeit andere Wege ging, als es in dem päpstlichen Rundschreiben gewünscht wurde. Die Wirklichkeit aber sah in Österreich so aus: Im Herrenhaus des Habsburgerstaates saßen neben den Vertretern des Hochadels, des Grundbesitzes und der Wirtschaftsbarone als sogenannte Virilisten die Bischöfe Österreichs, die damals noch mit Recht den Titel: Fürstbischöfe führten. Im Abgeordnetenhaus waren unter den Abgeordneten der katholisch-konservativen und der christlich-sozialen Partei etliche katholische Geistliche. Sie alle ‘Ständen parteipolitisch auf dem anderen Ufer und gehörten zu den erklärten Gegnern der Sozialdemokratie. Wenn diese katholischen Priester im Parlament gegen die Sozialdemokraten stimmten, so handelten sie ganz im Sinne der päpstlichen Enzyklika, in der expressis verbi.s der Sozialismus verurteilt war.

Ausflug in die Geschichte

Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie war es nicht anders. Wohl arbeiteten in den Novembertagen des Jahres 1918 Sozialdemokraten und Christliche zusammen — ihre Wortführer waren Karl Seitz und Prälat Hauser —, aber schon 1920 trennten sich ihre Wege und im Parlament der Ersten Republik nahmen auch katholische Geistliche — ich erinnere nur an die Namen: Schöpfer, Prisching, Gimpl, und vor allem an Prälat Seipel —wiederholt scharf gegen die Sozialdemokraten Stellung. Dieser Kampf der katholischen Geistlichkeit gegen die Sozialdemokratie blieb nicht auf das Parlament allein beschränkt, er wurde fortgesetzt in den christlich- sozialen Parteiblättem, in deren Redaktionen viele katholische Priester saßen, er wurde weitergetragen in die öffentlichen Versammlungen, in denen Geistliche als Referenten auftraten und nicht zuletzt wurde er auch auf den katholischen Kirchenkanzeln gepredigt, zumal in Wahlzeiten.

Nun muß man aber die Wirkung dieser Erscheinungen auf den einfachen Arbeiter sehen. Die Arbeiterschaft Österreichs wußte es nur zu genau, daß sie alle ihre politischen und sozialen Rechte und Errungenschaften nur der Sozialdemokratie verdanken konnte. Daß ein Viktor Adler den Arbeitern das allgemeine, direkte und geheime Wahlrecht erkämpft hat, daß ein Ferdinand Hanusch den Acht-Stunden- Tag, die Krankenversicherung, die Arbeitslosenunterstützung, soziale Schutzgesetze den österreichischen Arbeitern verschafft hat, daß die Arbeiter im Wien eines Karl Seitz zum erstenmal zu schönen und billigen Wohnungen gekommen sind, war im Bewußtsein des Arbeiters fest verankert. Wer also gegen seine Interessen und gegen seine Führer auftrat, war kein Freund der Arbeiterschaft. Als nun der österreichische Arbeiter sehen und hören mußte, wie auch katholische Priester gegen seine Führer und gegen die sozialdemokratische Partei Stellung nahmen, war das Vertrauen zur Kirche und ihren Priestern dahin. Diese österreichischen Arbeiter verstanden nun aus ihren eigenen Situation heraus, wie es überhaupt zur Gründung des Sozialismus und sozialistischer Parteien kommen kannte.

Wo blieb der Bannstrahl?

Es war ein katholischer Führer — mir fällt sein Name augenblicklich nicht ein — der das harte, aber wahre Wort gesprochen, daß an der Entstehung des Sozialismus die Kirche selbst Schuld trägt. Hätte sie in der Zeit des Aufblühens der modernen Industrien den Mut eines Bischofs Ambrosius gehabt und den ausbeutenden Wirtschaftskapitänen ein „non licet tibi” zugerufen, hätte sie ihren Bannstrahl, mit dem sie im Mittelalter viele Häretiker und Schismatiker belegt hat, auch jenen entgegenschleudert, die ihren Arbeitern den wohlverdienten Lohn verweigerten, selbst die ausgemergelten Frauen des Nachts und die schulpflichtigen Kinder stundenlang des Tags arbeiten ließen, dann wäre nicht jene Welle grenzenloser Empörung unter der arbeitenden Bevölkerung ausgebrochen, die Karl Marx in das System des Sozialismus ableiten kannte. Unter diesen Auswüchsen vermochte das Wort: „Religion ist Opium für das Volk” Verbreitung und Verständnis bei den Arbeitern finden und August Bebel mit seinem Satz: „Christentum und Sozialismus verhalten sich zueinander wie Wasser und Feuer” lange Zeit hindurch recht behalten.

In den österreichischen Parteiprogrammen von 1889 und 1926 wurde die oben zitierte antireligiöse Kundgebung ohnehin in eine antikirchliche Manifestation abgewandelt, die eigentlich nur das forderte, was in den Vereinigten Staaten seit eh und je Gesetzeskraft besitzt, nämlich die völlige Trennung von Kirche und Staat. — Noch lebt in unserer Generation die Erinnerung an diese Vergangenheit, noch leben Augen- und Ohrenzeugen jener unseligen Zeiten, in denen viele katholische Priester oft im Beichtstuhl die Frauen ermunterten, ihre Männer vom Sozialismus wegzuführen, noch lebt bei vielen Sozialisten die Erinnerung an das ihnen zugeschleuderte Wort von den roten Teufeln. Ich will keine alten Wunden aufreißen, aber auf diese Tatsachen muß hingewiesen werden, um zu verstehen, wenn Appelle — wie die des Idealisten Dr. Nenning — auf wenig Verständnis bei der Parteimitgliederschaft stoßen.

Die SPÖ hat seit 1945 gewiß alles getan, um Vergangenes zu begraben und den Weg in eine anders geartete Zukunft freizugeben. Sie hat mit aufrichtiger Dankbarkeit den neuen Kurs der katholischen Kirche begrüßt, wonach die Priester aus dem parteipolitischen Leben herausgenommen worden sind. Die SPÖ hat in Würdigung des neuen, auf Verständigung hinarbeitenden Kurses die Neufassung des Konkordates mit der Kirche unterstützt. Aber die Partei, die willens ist, als erste Regierungspartei die Verantwortung für die gesamte Bevölkerung auf sich zu nehmen, darf nicht übersehen, daß die Österreicher nicht nur Katholiken sind, sondern daß auch in anderen Konfessionen und Weltanschauungsgemeinschaften gleichwertige Staatsbürger sind und daher genau so Rechte besitzen wie die katholischen Bewohner des Landes. Übrigens entspricht diese Rücksichtnahme auf andere Glaubensgemeinschaften ganz und gar der auf dem Konzil zutage getretenen Gesinnung.

Was Nenning nicht bedenkt

Eines scheint Dr. Nenning nicht zu bedenken, wie es Sozialisten ergehen mag, die als gläubige Katholiken etwa meinen, auch in katholischen Männerrunden aktiv mitarbeiten zu müssen. Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß auch in diesen Runden in der Hitze der Wahlkampagne parteipolitische Parolen zu Sprache kommen werden. Wird sich jemand finden, der jegliches parteipolitisches Gespräch zum Schweigen bringt, weil es nicht in der Tendenz der Kirche läge, in politische Tagesfragen sich einzumengen. Oder wird man vielleicht doch, in jenen Runden versteckt und verklausuliert für die ÖVP Propaganda machen?

Dr. Nenning spricht ja selbst von „den versteinerten Verhältnissen auf beiden Seiten”. Wäre es daher nicht besser, man würde in der Kirche eine Gemeinschaft religiöser Menschen, als eine Runde streitsüchtiger Aktivisten sehen? Wie wäre es, wenn wir Gott geben würden, was Gottes ist und dem Staat, was des Staates ist?

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