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Revolutionäre Konservative

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Vor dem II. Vatikanischen Konzil wurden die Katholiken Frankreichs als der revolutionärste Teil der Weltkirche verurteilt. Sowohl in der theologischen Forschung wie im praktischen Apostolat setzten die Franzosen neue Begriffe und originelle Taten. Mit welchem Aufsehen verfolgte die interessierte Öffentlichkeit das Experiment der Arbeiterpriester und studierten die Theologen aller Länder die Schlußfolgerungen der Kirchenväter Congar, de Lubac und Daniėlou. Mehr als einmal kam es zu heftigen Disputen zwischen dem französischen Klerus und dem Vatikan. Die Gespenster eines Gallikanismus wurden beschworen. Die Tragödie einzelner Forscher, die Gewissensqualen kleiner Redaktionen, die Zweifel der gläubigen Ordensangehörigen, die sich von den römischen Autoritäten unverstanden fühlten, verdichteten sich manchmal zu dramatischen Spannungen. Man wird sich die Frage stellen, wodurch diese Auseinandersetzungen einen solch schmerzlichen Akzent erhielten. Erst eine geschichtliche Untersuchung gestattet es, die Positionen des französischen Katholizismus in der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart abzuklären.

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Vor dem II. Vatikanischen Konzil wurden die Katholiken Frankreichs als der revolutionärste Teil der Weltkirche verurteilt. Sowohl in der theologischen Forschung wie im praktischen Apostolat setzten die Franzosen neue Begriffe und originelle Taten. Mit welchem Aufsehen verfolgte die interessierte Öffentlichkeit das Experiment der Arbeiterpriester und studierten die Theologen aller Länder die Schlußfolgerungen der Kirchenväter Congar, de Lubac und Daniėlou. Mehr als einmal kam es zu heftigen Disputen zwischen dem französischen Klerus und dem Vatikan. Die Gespenster eines Gallikanismus wurden beschworen. Die Tragödie einzelner Forscher, die Gewissensqualen kleiner Redaktionen, die Zweifel der gläubigen Ordensangehörigen, die sich von den römischen Autoritäten unverstanden fühlten, verdichteten sich manchmal zu dramatischen Spannungen. Man wird sich die Frage stellen, wodurch diese Auseinandersetzungen einen solch schmerzlichen Akzent erhielten. Erst eine geschichtliche Untersuchung gestattet es, die Positionen des französischen Katholizismus in der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart abzuklären.

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Nicht nur für den Staat und die da- I mals bestehende Gesellschaftsord- 1 nung bedeutete die Revolution von 1789 eine scharfe Trennung gegen- 1 über einer jahrhundertealten, sorg- t sam gepflegten Tradition. Infolge s des Einflusses liberaler, freimaureri- 1 scher und atheistischer Kräfte sagte s die siegreiche Revolution der Kirche i den Kampf an und trieb jene Katho- liken in das Exil, die für eine Er- I neuerung der Gerechtigkeit, für J Gleichheit und Brüderlichkeit einge- treten waren. Ein weiterer Markstein i in der Geschichte der katholischen 5 Kirche Frankreichs war die restlose s Trennung zwischen Kirche und 1 Staat am Beginn des 20. Jahrhun- c derts. Die Katholiken wurden in ein ] echtes Getto gedrängt, als Staats- bürget zweiter Klasse beurteilt und 1 setzten sich natürlich zur Wehr. Sie s sahen daher ihre Rettung in einer ’ Restaurierung dęs“ "KöpigfuW“und q

In einer Bestätigung dėr alten Stände. Selbst als der aufgeschlossene Papst, Leo XII., die Katholiken 1 der III. Republik aufforderte, Frie- I den mit jenen Einrichtungen zu schließen, welche Dank der Revo- ( lution entstanden waren, stießen 1 diese Ermahnungen auf strikte Ab- c lehnung einer intransigenten katholischen Mehrheit. Nur wenige Kleri- 1 ker und Laien besaßen den Mut, die 1 sozialen und politischen Bedingun- gen des ausgehenden 19. und begin- nenden 20. Jahrhunderts richtig zu 1 Interpretieren, wie Marc Sangnier, 1 Lamennais, Lacordaire, Albert de ’ Mun. Freilich war es nicht leicht, 1 jahrzehntealte Ressentiments so- c fort zu überwinden, nachdem sich a auch der Staat unwillig zeigte, den 1 Aspirationen der Katholiken zu ent- 1 sprechen und sie als vollwertige i Staatsbürger anzuerkennen.

Durch diese Gettostellung ver- ' säumte es die Kirche, mit dem an- wachsenden Industrieproletariat ! Fühlung aufzunehmen und regi- 1 strierte ungenügend, daß weite Teile der aktiven Bevölkerung des Landes sich dem Neuheidentum und dann der Ensatzreligion, dem Marxismus, zuwandten.

bestätigen. Es kam daher nach der Befreiung zu schüchternen, dann ausgebauten K ontakten zwischen katholischen und marxistischen Intellektuellen. Gewisse Arbeiterpriester sahen in dem Gespräch mit ihrer kommunistischen Umwelt eine Mission und vergaßen, daß die Kommunisten von Politik, sie jedoch von einer geistigen Erlösung sprachen. Die Mitglieder der katholischen Jungarbeiterbewegung (JOC), beeindruckt durch die Tragödie des algerischen Krieges, geistig unterstützt von linksgerichteten Zeitschriften, aktivierten die Kontakte mit den Kommunisten, und es kam so weit, daß sich eine progressive christliche Bewegung bildete, die fast alle These der Kommunisten übernahm. Ihr Einfluß sowohl auf die studierende sowie auf die christliche Arbeiterjugend mußte als beachtlich gezeichnet .werden.., ' z {

Der Weg zur Mitte

Die Auseinandersetzungen mit den Marxisten versandeten im letzten Jahr, nachdem bereits einsichtige Jesuiten einem dauernden Gespräch mit den Marxisten wenig Chancen einräumten.

Während sich der Schwerpunkt innerkirchlicher Diskussionen nach Holland, Deutschland, Belgien und den USA verlagerte, bewegten sich die Überlegungen in Frankreich eher um die Lösung praktischer pastoraler Probleme. Die berühmten Theologen des Landes meldeten sich selten zu Wort. Einer ihrer vorzüglichsten Denker, vor kurzem zum Kardinal ernannt, der Jesuit Daniėlou, bestätigt es: „Wir haben unsere theologischen Forschungen, die zur Eröffnung des Vaticanums II führten, in den Jahren 1957/58 abgeschlossen.“ Selbstverständlich stellten sich auch die Katholiken Frankreichs seit Beginn der V. Republik Fragen. Nirgends wurde das Schema XIII des Vatikanischen Konzils mit solcher Erwartung und Freude begrüßt wie gerade in Frankreich. Aber die teilweise revolutionierende, oft frondie- rende Stimmung unter den Theologen und profilierten Klerikern war verschwunden und wich der Abwägung nüchterner Tatsachen sowie dem Willen, das Wort Christi in unseren Tagen richtig zu interpretieren. Die Spannungen in der Weltkir- che erfaßten zwar einige Angehörige des französischen Priesterstandes, der immerhin mehr als 40.000 Mitglieder zählt. Im vergangenen Jahr bildete sich im mittleren und niederen Klerus eine Gruppe, die gegenwärtig mit ungefähr 750 aktiven Mitgliedern rechnet. Sie nennt sich „Austausch und Dialog“ und bringt jene Thesen vor, die im Weltkatholizismus sozusagen als modern gelten. Der Priester müsse demnach verheiratet sein, soll manuellen Arbeiten nachgehen und sozialpolitische, ja sogar politische Verpflichtungen in den Gewerkschaften und Parteien übernehmen. Der Sozialismus wird als letztes Ziel jeder gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet (!).

Die Zusammenkünfte der Gruppe „Austausch und Dialog“ fanden Dank der Presse große Beachtung. Noch zu Ende des Jahres 1968 und in Zusammenhang mit den Mai-Ereignissen wurde angenommen, daß sich die Mehrheit des französischen Klerus dieser kontestierenden Bewegung anschließen würde. „Austausch und Dialog“ konnte überraschenderweise keine weiteren Kreise erfassen, und die Masse der französischen Priester ist durchaus bereit, einer Erneuerung der priesterlichen Existenz zuzustimmen, wünscht aber den evolutionären Weg und eine ver- trauens volle Zusammenarbeit mit .den' Biscji ,’’ “,da ' bemerkenswert scfiielnf die Stellungnahme von 430 Seelsorgern der Katholischen Arbeiterbewegung ACO (Action catholique ouvriėre). Diese oft jungen und dynamischen Priester, erfüllt von einem bewundernswerten Missionseifer, sahen die Bestimmung der Arbeiterschaft bisher in der Fortführung des Klassenkampfes. In der vom 3. bis 7. September in Versailles abgehaltenen Konferenz deuteten diese Seelsorger ihre Aufgabe als eine Pflicht, das Evangelium in ihrem Arbeitermilieu zu leben, was jedoch nicht heißt, daß jeder Priester sich sofort in einen Arbeiter verwandeln müsse. In der Schlußfolgerung dieser Tagung Anden wir folgenden Satz: „Die Arbeit ist nicht die einzige Methode, um mit der Welt der Industrie in Kontakt zu treten.“ Die Gefahren, welche von einem intellektuellen Anarchismus kommen, werden richtig eingeschätzt und die Kontestierung der bestehenden Gesellschaftsordnung keineswegs als Allheilmittel zur Lösung der sozialen Frage angesehen.

Diese Stellungnahme wurde durch maßvolle Erklärungen der Bischöfe vorbereitet, die in ihrer Mehrheit aufgeschlossen, aber nicht gewillt sind, die bisherigen Formen des Priesterberufes abzuändem. Der Erzbischof von Paris, Kardinal Marty, legte sich eindeutig auf das Zölibat der Priester fest: „Durch die totale Liebe zu Christus muß der Priester bereit sein, seine Person der Menschheit zur Verfügung zu stellen. Diese Liebe ist sicherlich mit schweren Forderungen verbunden, aber beinhaltet die tiefe Freude und Größe “des Priesterberufes.“ Um jedoch die Wünsche der Priester besser kennenzulernen, richtete die Bischofskonferenz einen Fragebogen an sämtliche Priester des Landes. Sie erhielt bis Mai 1969 21.979 Antworten, wodurch also 51,6 Prozent der französischen Priester ihre Vorstellungen illustrierten. Aus den Meinungen der Priester geht eindeutig hervor, daß sie sich als Missionare betrachten, welche die Autorität der Hierarchie anerkennen, aber eine gewisse Mitverantwortung zwischen Priester und Bischof erwarten. Die Bischofskonfėrenz reagierte entsprechend: „Wir müssen mit Demut, aber auch mit großem Mut an die gestellten Aufgaben herangehen.“ Kardinal Gouyon bestätigt: „Bischöfe und Priester haben brüderlich und in gegenseitigem Respekt zusammenzuarbeiten.“ Dieser Wille der Bischöfe, ihren Priestern verständnisvoll entgegenzukommen, hindert jedoch nicht den einen oder anderen Oberhirten, seinen Schmerz über die ungerechtfertigten Angriffe einiger turbulenter Kleriker auszudrücken. Der Bischof von Straßburg, Monsignore Eichinger, beurteilte die Handlungsweise der kontestierenden Priester anläßlich der Bischofskonferenz in Chur überaus scharf: „Wenn man den Sozialismus als einziges politisches Regime vorschlägt, welches dem Evangelium entspräche, hieße das nicht, eine einzige Partei als Trägerin der Gerechtigkeit vorzustellen?

Frankreich — Missionsland

Eigentlich war es erst das aufrüttelnde Buch des 37jährigen Priesters Godin, der 1943 von Frankreich als einem Missionsland sprach und damit Bischöfe, Klerus und Laien aufmerksam machte, daß die Industriegesellschaft die Kirche verlassen hatte und laizistische Leitbilder suchte. Die Entdeckung des zu früh verstorbenen Geistlichen wirkte alarmierend, und seit diesem Zeitpunkt fordert die Kirche, mit allen Mitteln die Massen der Arbeiter und kleinen Angestellten zu rechristiani- sieren. Dieser authentische Missionseifer, diese Selbstkritik und das Gefühl, eine Aufgabe vernachlässigt zu haben, machte zahlreiche Abweichungen unter den französischen Katholiken verständlich. Durch das Erlebnis der Widerstandsbewegung bedingt, glaubten die jungen Katholiken, in den kommunistischen Theorien die eigenen sozialen Wünsche zu

Theologen an die Front

Aber nicht die Bischöfe führen den geistigen Kampf gegen die Verimm-

geh- iflfllfrMb der’ felgeheh Reihen. Es sind die maßgebenden Theologen Frankreichs, die sich wieder zu

Worte meldeten, auf die Quellen des Christentums zurückgreifen und Besinnung predigen. Yves Congar in ’ seiner „Ecclėsiologie du haut Moyen Age“ und Henri de Lubac in seinem Werk „La Foi chrėtienne“, die in den letzten Monaten erschienen sind, ’ stipulieren: „Niemals wurde in der ; Kirchengeschichte das Problem der , Autorität und die Beziehungen zwi- ' sehen Papst und dem Konzil ver- , wischt. Die Einheit in der Kirche resultiert aus einer Annahme gemeinsamer Regeln. Es besteht eine Identität zwischen Papst und Aposteln, 1 woraus das Recht der Intervention in der Kirche begründet wird.

Während sich die modernen Kirchenväter auf geistige Überlegungen beschränken, stieg Kardinal ’ Daniėlou über Barrikaden und begann einen Kreuzzug besonderer

Art: „Die kontestierenden Bewegun- , gen versuchen den Klassenkampf in die Kirche zu tragen. Kein Bischof möge annehmen, daß seine Autorität gestärkt wird, wenn sich die des Papstes vermindert.“ Die Bischöfe hätten demnach nicht das Recht, die kontestierenden Mitbrüder zu ermutigen. Die Kollegialität, die Autorität und die Einheit innerhalb der Kirche dürfen keinesfalls angetastet werden. Der Kardinal spricht mehrfach von einer „konfusen Situation“ und beurteilt diese Bewegungen innerhalb der Weltkirche als akute Gefahr. Ist es zulässig, fragt Kardinal Daniėlou, daß durch Einzelfälle, wie in Isolotto oder am Beispiel Defregger, die Autorität des Papstes und der Bischöfe massiv diskreditiert wird? Der Kardinal beschwört eindringlich Zuhörer und Leser: „Die Einheit der Kirche ist ein herrliches Gut inmitten unzähliger Schwierigkeiten. Es wäre gefährlich, sie zu diskutieren.“

Frankreichs Katholiken waren durch 20 Jahre an der vordersten Front, um sich und die Kirche mit der Welt unserer Gegenwart zu versöhnen. Ist ihre Stimme nachhaltig genug, wenn sie diesmal warnt, Irrtümer aufdeckt und den Weg des Maßes und der Mitte beschreiten will?

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