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Nicht rechts und nicht links

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Den Katholizismus, den Katholiken belauern, umwerben und bedrohen heute ständig zwei Versucher, zwei Gefahren. Die eine kommt von rechts: Man heiße sie Integralismus, McCarthysmus, Faschismus oder wie immer. Verteidiger wirtschaftlicher Positionen suchen den Kapitalismus — den als klügeres, ja als gerechteres System hinzustellen sie selbstverständlich ein gutes Recht haben, das ihnen nur unduldsame Linksdiktatur bestreitet — als eine Art göttliche Institution auszugeben, den Sozialismus aber, insbesondere in seiner kommunistischen Ausprägung, als Teufelswerk. Verteidiger des Kolonialsystems möchten die zweifellos tapfer kämpfenden Soldaten, die in Asien für eine verlorene Sache fallen, als Vollbringer der Gesta Dei per Francos feiern und den Segen der Kirche für einen mehr frischen als frommen und fröhlichen dritten Weltkrieg erlisten. Am peinlichsten aber wirkt der sich überkatholisch gebärdende Rechtsradikalismus, wenn er die kirchliche Autorität zur Unterstützung solcher Methoden vorschützt, die auch gegenüber an sich verdammens- werten Sachen nicht angewandt werden dürften. Gesinnungsterror, Diskriminierung unbequemer politischer Gegner, Verdächtigungen, Denunziationen widersprechen der christlichen Moral, auch — und besonders — in einem Feldzug wider eine Weltanschauung und wider Menschen, denen man eben das, nämlich Gesinnungsterror, Diskriminierung politischer Gegner, Verdächtigungen, Denunziationen, vorwirft. Es ist ferner unzulässig, das Kind mit dem Bade ausgießend, die Irr- tümer und die Ungeschicklichkeiten, die aus edlen und achtbaren oder sogar aus falschen und zu verurteilenden Motiven in linkskatholischen Kreisen beim Bemühen um ein großes und wichtiges Ziel vorgekommen sind, dazu auszubeuten, daß man eben dieses Ziel offen oder zumeist unaufrichtig und hinterrücks zu vereiteln trachtet. Wir denken dabei an die Versuche, in Arbeiterkreise mit kühnen Vorstößen einzudringen und durch geistige Auseinandersetzung mit dem Marxismus eine Bresche in das Gebäude des reinen Materialismus zu schlagen.

Hüten wir uns freilich auch vor Ueber- treibung nach dem ändern Extrem. So wenig wir Franco und sein Regime, so wenig wir McCarthy oder die französischen Bien- Pensants alten Stils, den rechten Flügel der Democrazia Cristiana und die italienischen Monarchisten, die polnischen Anders-Leute, ungarische „Reaktionäre“ und slowakische Volksparteiler als die einzigen Gralshüter der katholischen Wahrheit verherrlichen sollen, so wenig ist es uns erlaubt, ihnen den subjektiven guten Glauben an ihre politischen Doktrinen und an die Richtigkeit ihres Handelns oder gar ihr christliches Empfinden zu bestreiten. Man bekämpfe sie im politischen Rahmen, auf wirtschaftlichem, kulturellem Gebiet soviel man wolle: doch die Kirche, die Religion hat damit nichts zu tun. Man tadle ihr Tun, ihre gesamte historische Rolle, ihre Absichten und Ansichten; doch das rührt nicht im leisesten an ihre katholische Gesinnung, die zu leugnen wir keinen stichhaltigen Grund haben. Um so weniger ist es gestattet, wie das heute östlich des Eisernen Vorhangs und bei manchen „fortschrittlichen“ Katholiken Mode ist, Adenauer und Degasperi, die katholischen Parteien der Mitte, einfach als Bundesgenossen Satans, als schwarze Bösewichte zu begeifern, nur weil diese Politiker jenen, denen die vorerwähnten Linkskatholiken mehr oder weniger freiwillig die Hand gereicht haben, lästig und verhaßt sind, beziehungsweise weil CDU und Democrazia Cristiana die sozialistische Wirtschaftsordnung und die Volksdemokratie, das Sowjetsystem, ablehnen.

Wurzelt die Gefahr einer Hingabe an rechtsextreme Gedankengänge im Appell an die Staatsraison, an Klassenegoismus und an Nationalismus, also im Abirren der Vernunft, so wendet man sich von links her, zumal bei den katholischen Intellektuellen der westlichen Länder, in erster Linie ans Gefühl. Die Kommunisten strecken die Hand entgegen und sprechen von gemeinsamer Arbeit für den Frieden und für gerechtere Verteilung der irdischen Güter; sie beteuern ihre Freundschaft für die gläubigen Massen. Sie verweisen auf die Toleranz, die sie — heute — gegenüber dem Kultus üben, auf wiedererbaute Kirchen, auf die politische

Forderungen der Oststaaten verfechtenden Geistlichen und katholischen Laien. Spricht man von Verfolgung, dann erklären sie, die Kardinäle Mindszenty, Wyszynski (und vordem Stepinac), die Erzbischöfe und Bischöfe, Priester und Ordensleute seien nur deshalb ins Gefängnis gekommen, weil sie Verrat geübt oder sonst gegen das neue Regime sich vergangen hätten, nicht um der Religion willen.

Es genügt aber, ein so gültiges Dokument wie den Artikel des geistig bedeutendsten Kommunistenführers unserer Tage, Palmiro Togliatti, in der „Unitä" vom 13. April zu lesen, um folgende lapidare Tatsachen bestätigt zu sehen: erstens, die Kommunisten suchen Verständigung mit den Katholiken, nicht mit dem Katholizismus; zweitens, sie tun das aus rein politischen Ursachen, um ihre eigenen Wählerscharen zu verstärken, die der Gegenparteien zu schwächen; drittens, dem Katholizismus und seinen ihm wesenhaften Häuptern, Papst und Episkopat, sind die Kommunisten unwandelbar todfeind; viertens, Katholiken, die irgendwie mit den Kommunisten politisch Zusammengehen, müssen notgedrungen in einen Widerspruch zum Heiligen Stuhl und zur Hierarchie gelangen, der, mag er auch zunächst politisch bleiben, unweigerlich aufs Disziplinäre und von da aufs Doktrinale übergreift. Dem haben wir hinzuzufügen: fünftens, der Kommunismus kann, wenn er sich und wenn seine Bekenner ihm treu bleiben, nicht anders, als den Katholizismus vernichten wollen, denn er betrachtet ihn als Lüge und als ärgstes Hindernis seines eigenen Triumphs; sechstens, wenn die Kommunisten aufrichtig den Katholiken die Hand hinstrecken, dann vor allem, um aus ihnen Nichtkatholiken, kommunistische Mitläufer und schließlich Kommunisten zu machen. — Die Erfahrung bietet uns dafür zahllose Beispiele, daß derlei gelingt; es sei etwa auf Polen hingewiesen, wo sich unter den vom Linkskatholizismus hergekommenen geistigen Führern Männer wie der gewesene Priester und Minister Matuszewski, die bedeutenden Schriftsteller Andrzejewski, Wiktor, Morci- nek, ¿ukrowski, Historiker wie Gieysztor, Manteuffel, Piwarski befinden. Wie tief ist der Graben, der dort die „fortschrittlichen“ Katholiken des „Dzis i Jutro“ von denen trennt, die zwar Demokraten im besten, doch westlichen Sinne sind, und wie dünn ist die Scheidewand zwischen dem Horodyflski, Kgtrzynski und Krasinski einerseits, den waschechtesten Kommunisten anderseits. Oder auch, wie wenig scheidet, um nach Frankreich hinüberzublicken, einen Dome- nach und seinen „Esprit“ von der intellektuellen Gefolgschaft der Thorez und Duclos, und wieviel sogar von den so sehr links-

gerichteten, antifaschistischen und unabhängigen Katholiken der Art eines François Mauriac! Die Verwirrung der Gefühle hat sich bei der betrüblichen Affäre der Arbeiterpriester gezeigt, als diese, entgegen den beschwörenden Bitten des umsichtigen französischen Episkopats, eine an sich berechtigte, nach Form und Zeitpunkt aber vieldiskutierte Lösung fand und als hernach die vom kommunistischen Virus angesteckten Rouges Chrétiens nicht etwa, oder nur, die Taktik, sondern die Entscheidung der berufensten kirchlichen Autorität aufs heftigste anfochten. Wie weit die äußerste, sich noch katholisch fühlende Linke in Frankreich mit ihrem Einschlagen in die ausgestreckte kommunistische Hand gekommen ist, das ermesse man an einem Artikel Abbé Bouillets im Märzheft der kommunistischen „Europe“: Halb zog sie ihn, diese Hand, halb sank er hin, dann war’s, so fürchten wir, um ihn geschehen. Um ihn und um jeden, der nicht vor dem Verlust der Mitte zurückscheut.

„Que Dieu préfère les imbéciles, est un bruit que, depuis dix-neuf siècles, les imbéciles font courir", bemerkt Mauriac sehr mit Fug über die „Bien-pensants", deren von Bernanos bitter verhöhnte Große Angst — verschreibt sie sich den Versuchern von Rechts — geradewegs zu desselben gewaltigen christlichen Polemikers „Friedhöfen im Mondensehein", zum „Univers concentrationnaire" und zu einer Kirche führt, deren Seelsorger gemeinsam mit dem Gendarmen die einzige Aufgabe hätte, Gehorsam an staatliche Machthaber von des Säbels und des Geldsacks Gnaden zu predigen. „Daß Gott die Schwachköpfe bevorzugt, ist ein Gerücht, das seit neunzehn Jahrhunderten die Schwachköpfe verbreiten", diesen Satz darf man indessen auch auf jene Einfältigen anwenden, die begeistert „Hinaus mit uns" schreien und die mit allem Eifer die Katholiken in eine Front mit den Kommunisten, dann in deren Reihen hineindrängen möchten; worauf dann die Katholiken sich bald in Kommunisten verwandeln würden. In der liebevollen Umarmung würde der Katholizismus der Mitläufer schnell ersticken.

Nicht rechts und nicht links: der Weg der verschrieenen goldenen Mitte sei beschriften, der gerade Weg. Und jene Harmonie sei gewahrt, die nach zweitausendjährigem Walten die Kirche immer wieder zwischen ihrer zeitlosen Sendung und den sich wandelnden Zeitströmungen’ behutsam zu schaffen gewußt hat. Wird dieser Weg aber von einigen Gläubigen, sie seien noch so gutgläubig, verlassen, unter Zwang oder aus Irrtum, dann habe man zwar dafür liebevolles christliches Verständnis, doch es werde nicht aus dem eine christliche Tugend gemacht, was nur durch die Not entschuldigt wird.

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