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.Mehr als bloße Taktik'

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Eurokommunismus - das ist ein schillernder, teilweise irreführender Begriff, der sehr Unterschiedliches meint. Darüber waren sich alle Teilnehmer an zwei Diskussionen, die jüngst in Wien stattfanden, einig. Über das, was man sich nun darunter vorzustellen hat, und wohin das Ganze fuhren wird, waren sie es naturgemäß nicht.

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Eurokommunismus - das ist ein schillernder, teilweise irreführender Begriff, der sehr Unterschiedliches meint. Darüber waren sich alle Teilnehmer an zwei Diskussionen, die jüngst in Wien stattfanden, einig. Über das, was man sich nun darunter vorzustellen hat, und wohin das Ganze fuhren wird, waren sie es naturgemäß nicht.

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Ein „faszinierendes Experiment“, das durch einen „Wunsch“ nach einer Art demokratischem Kommunismus gekennzeichnet sei, teilweise „echte Wandlung“, dann „immer wieder auch Doppelstrategie und Taktik“, weshalb „Skepsis“, aber nicht ein undifferenziertes Nein am Platz sei: so die Empfehlung Hans Benedikters, des geistreichen Abgeordneten der Südtiroler Volkspartei, der in der Politischen Akademie der ÖVP vor Politikern und christdemokratischen Journalisten aus Deutschland und Österreich zusammen mit Wolfgang Leonhard, Andreas Khol und Jaros-lav Bouz diskutierte.

Für Professor Leonhard, einst Hoffnung der DDR-Kommunisten, bis er 1949 als 27jähriger aus Ostberlin nach Jugoslawien floh, läßt sich der Eurokommunismus nicht nur nicht auf den Mittelmeerraum, sondern nicht einmal auf Europa beschränken. Er zählt die kommunistischen Parteien folgender Lander dazu:

Italien, Frankreich („Schon mit großen Bedenken“), Schweden, Spanien, Griechenland, Großbritannien, Dänemark (die „liberalste“), Island, Japan, Australien und Venezuela. Dazu kämen als „Stützpunkte“ die kommunistischen Parteien Jugoslawiens und Rumäniens sowie gewisse osteuropäische Dissidentengruppen. Gegen die Vereinnahmung aller nicht moskauhörigen Parteien als „Eurokommunisten“ sprachen sich andere Diskussionsteilnehmer aus. Benedikter erwähnte andererseits aud die KP Mexikos.

Nach Leonhard kennzeichnen die folgenden Tendenzen den Eurokommunismus: Streben nach Autonomie und Gleichberechtigung aller kommunistischen Parteien, Abwendung von revolutionärer Machtübernahme und Diktatur des Proletariats, Infragestellung von Marxismus und Leninismus als unfehlbarer Heilslehre, kritische Einstellung gegenüber Moskau und den anderen „sozialistischen Ländern“, pluralistisches So-zialismusmodell, beginnende Abkehr selbst von der leninistischen Parteistruktur, eigenständige Außenpolitik (kein Mitmachen der Anti-China-Kampagne Moskaus, Bejahung der Europäischen Gemeinschaft durch die Kommunisten Spaniens, Italiens und Griechenlands -aber nicht jene Frankreichs, teilweise Bejahung auch der NATO wie in Italien).

Dem widersprach am entschiedensten Andreas Khol, Direktor der politischen Akademie der ÖVP, der die Möglichkeit eines „Kommunismus mit menschlichem Gesicht“ als solche bestritt. Seine Auffassung: Es gehe den Eurokommunisten um die Erringung der Macht, und weil die Verhältnisse von Land zu Land verschieden seien, gebe es eben auch unterschiedliche politische Taktiken der Eurokommunisten. Zu glauben sei ihnen lediglich, daß sie, einmal an der Macht, diese auch mit der Sowjetunion nicht teilen möchten - daher etwa das Ja des KPI-Chefs Enrico Berlinguer zur NATO-Mitgliedschaft seines Landes, weil diese ihm eine Dampfwalze russischer Panzer ä la CSSR erspare.

Die „wachsende, wenn auch relative Autonomie gegenüber der KPdSU mit zunehmender Kritik an den Verhältnissen in den sozialistischen Ländern“ hatte zwei Wochen vor dieser Diskussion auch Franz Marek bei einem Vortrag im Wiener Karl-Kummer-Institut als Hauptmerkmal des Eurokommunismus angeführt. Dagegen sei das angestrebte neue Verhältnis zwischen Demokratie und Sozialismus „theoretisch wie praktisch noch nicht endgültig geklärt“. Franz Marek, KPÖ-Flüchtling nach 1968 und heute Chefredakteur der marxistischen Diskussionszeitschrift „Wiener Tagebuch“ („In Spanien wäre ich heute sicher Mitglied der KP, in Italien vielleicht, in Frankreich nicht“), ist davon überzeugt, daß die Eurokommunisten ihr Bekenntnis ehrlich meinen.

Ähnlich äußerten sich Leonhard und auch Benedikter. Leonhard gab zu, daß es in der Geschichte des Kommunismus genug Täuschung gegeben habe, die größte Zweifel rechtfertige: als der UdSSR-Verfassung 1936 die großen Säuberungen und der „Volksfront“ in Frankreich das Stalin/Hitler-Bündnis und den Beteuerungen von 1945 der Eiserne Vorhang und die Mauer folgten bis zur Zertrümmerung des Prager Frühlings Aber:

„Der Kommunismus besteht trotz-

dem nicht nur aus Täuschungsmanövern.“ Der Bruch Titos mit Stalin war echt, der Revolutionsversuch des ungarischen Kommunisten Imre Nagy 1956, der chinesisch-sowjetische Konflikt, der Prager Frühling selbst waren alle echt. Hauptargument Wolfgang Leonhards: „Den Eurokommunismus gibt es nun schon seit 22 Jahren. Eine bloße Taktik dauert nicht 22 Jahre.“

Dagegen erinnert der tschechoslowakische Emigrant Jaroslav Bouz daran, daß das, was die kommunistischen Parteien der Satellitenstaaten nach 1945 unter dem Titel „Volksdemokratie“ praktizierten, letztlich genau das gewesen sei, was der Eurokommunismus heute anstrebt: Regierungskoalitionen mit demokratischen Parteien. Das Ergebnis ist bekannt: Nach einigen Jahren regierten überall nur noch die Kommunisten.

Und Bouz gab zu bedenken, daß eine heutige Berlinguer-Rede von einer Rede, wie sie der kommunistische Ministerpräsident Klement Gottwald 1946 in Prag als Chef einer Koalitionsregierung hielt, nicht zu unterscheiden sei.

In der Diskussion wurde auch der Flirt vieler Eurokommunisten mit den ganz und gar unliberalen Kommunisten Chinas, die offenbar nur als Bundesgenossen gegen Moskaus Vorherrschaftspläne interessant sind, als Beweis für den vorwiegend taktischen Charakter dieser Bewegung erwähnt. Trotzdem warnte SVP-Abgeorneter Benedikter noch einmal davor, es sich bei der Beurteilung des Phänomens Eurokommunismus zu leicht zu machen, und Professor Leonhard gab die Kehrseite der Medaille zu bedenken, an die im Westen vielfach zuwenig gedacht werde:

Die neue Strömung wirkt sich nicht nur im Westen, sondern auch in Osteuropa aus. Dort ist sie unzweifelhaft geeignet, Reformströmungen innerhalb der kommunistischen Machtapparate zu stärken und zu ermutigen. Fazit: „Der Eurokommunismus zwingt uns zu neuen Argumentationen sowohl im Westen wie im Osten.“

übermenschlichen Haltung aus dem Glauben der Kirche und dem Gottvertrauen seiner Eltern und Ahnen. Er besaß das, was Minister Heinrich Drimmel einmal von Bundeskanzler Julius Raab gesagt hat: eine „altfränkische Frömmigkeit“.

Nicht anders sieht es mit der Kraftquelle altungarischer Frömmigkeit bei Mindszenty und altrussischer Frömmigkeit bei Solschenizyn. Altrussische Frömmigkeit spricht aus den letzten Zeilen, mit denen er noch in Sowjetrußland seinen Lebensbericht „Die Eiche und das Kalb“ über seinen zwanzigjährigen Kampf gegen den Machtapparat eines Weltimperiums abschließt. Ähnlich haben wohl die Stoßgebete der beiden Kardinäle in ihren Nöten und Triumphen gelautet.

Solschenizyn: „Das ist es ja, was mich froh macht und was mich bestätigt - daß das alles nicht von mir geplant und gemacht wird, daß ich bloß ein Schwert bin, bestimmt die Scharen des Bösen zu schlagen ... Herr, laß mich nicht im Kampfe zerbrechen und deiner Hand nicht entfallen!“

Gleich dem unerschrockenen Eintreten des Bischofs von Münster für die Rechte Gottes, des Menschen und der zu Unrecht Verfolgten wurde dies dem 1944 zum Bischof geweihten Joseph Mindszenty rasch zur zweiten Natur, im mutig aufgenommenen Kampf gegen die Aussiedlung der über zwei Millionen in der Tschechoslowakei lebenden Magyaren, gegen die Austreibung der schwäbischen Volksgruppe in Ungarn, gegen die Anhaltung der Zehntausenden in Internierungslagern als Kriegsverbrecher ohne Gerichtsurteil Gefan-

„Solschenizyns Kampf geht in der Hauptsache genauso wie der Galens und Mindszentys gegen die atheistische Verleumdungskampagne ...“

genen und gegen die Verschleppung der Juden das Äußerste zu wagen ...

Solschenizyns Kampf geht in der Hauptsache genau so wie der Galens und Mindszentys gegen die atheistische Propaganda und Verleumdungskampagne, für die Wahrheit und für die Menschenrechte.

Auf parallelen Spuren bewegten sich die drei großen Männer im mutigen Eintreten für die Erhaltung des christlichen Charakters und sittlichen Standards ihres eigenen Volkes. Dies kam in dem berühmten Brief Galens an den Reichsmarschall Gö-ring ebenso eindeutig zum Ausdruck wie in dem Hirtenwort Mindszentys vom 18. November 1948, wenige Wochen vor seiner Verhaftung und seinem Martyriums:

„Ich stehe für Gott, die Kirche, das Vaterland, weil der historische Dienst an meinem allerärmsten Volk mir diese Pflicht auferlegt. Neben dem Leiden meiner Nation ist mein eigenes Schicksal unwichtig.“

In dem Interview Solschenizyns mit „New York Times“ und „Washington Post“ bekennt er: „Immer rührt es mich und festigt in mir das lebendige Empfinden, daß ich für Rußland arbeite und Rußland mir hilft.“ Gemeint ist natürlich das „Heilige Mütterchen Rußland“.

Starke Ähnlichkeiten bemerken wir im Gesichtsausdruck, in der Statur, besonders im Blick der drei Großen - etwas Löwenartiges, Machtvol-

les, Prophetengleiches drückt sich da aus. Galen kennen wir hinlänglich von dieser Seite, Mindszenty wird als schwieriger Mann von großer Willensstärke, Beharrlichkeit, ja Sturheit, aber geringer Flexibilität beschrieben.

Solschenizyn sagt von sich selbst: „Meine Schlagkraft ist jedesmal größer, die dadurch hervorgerufene Erschütterung stärker, die Gefahr

„Was also ist der Ruf Kardinal von Galens an uns und an unsere Zeit?“

nimmt zu, und angesichts dieser Gefahr hat man allen Grund, sich auf das Ende des eigenen Daseins einzustellen.“

Am erschütterndsten sind aber die Parallelen zwischen den Dreien in ihren Verfügungen und Willenserklärungen für den Fall ihrer drohenden Verhaftung. Schon 1936 erließ Bischof Galen eindeutige Verordnungen für den Fall, daß auch ihm ein ähnliches Schicksal wie schon anderen Priestern seiner Diözese widerfahre: Vertreibung, Verhaftung, Gefängnis und Schlimmeres.

Mindszenty hatte im Hinblick auf bekannt gewordene Foltermethoden der kommunistischen Geheimpolizei schriftlich festgelegt: „Ich habe nichts zu gestehen und ich werde nichts unterschreiben. Sollte ich es dennoch tun, so nur als Folge der Schwäche des menschlichen Körpers, und ich erkläre es von vornherein für ungültig.“

Und Solschenizyn vor seiner Festnahme Anfang Februar 1974: „Ich erkläre im voraus, daß kein sowjetisches Gericht in Sachen auch nur eines russischen Schriftstellers zuständig ist, und ich werde vor Gericht auf keine einzige Frage antworten.“

Kehren wir am Schluß wieder zum ersten und ältesten dieser drei in vielem so gleichgearteten confessores et defensores fidei, zum Kardinal von Galen, zurück. Was ist seine Mhnung an uns und unsere Zeit? An uns neuerungssüchtige Kinder des flatterhaften Zeitgeistes am Ende des zweiten Jahrtausends der christlichen Zeitrechnung; an uns willensschwache und verantwortungsscheue Verschwender der Gottesgabe der Freiheit; die nimmersatten Teilnehmer an einem nie dagewesenen Wohlstand und Wohlleben; die frustrierten Zeugen und Opfer einer nie dagewesenen Wertzerstörung und Sinnentleerung; einer wachsenden Enttäuschung über das Schwinden einst so großer Hoffnungen und Ziele: ein geeintes Europa, die EINE Welt, der Weltfrieden, der innere Friede, die Menschenrechte...

Was also ist der Ruf Kardinal von Galens an uns und unsere Zeit?

Nicht nur verändern um des Ver-änderns willen, nicht nur bewahren um des Bewahrens willen, sondern verändern, was veränderungswert, und bewahren, was bewahrenswert ist!

Wieder bescheidener, sinn- und werterfüllter leben, sich Grenzen setzen, wo und wann immer wir im privaten und gesellschaftlichen Leben Zucht und Maß überschritten haben!

Dem Zeitgeist unzweideutig widerstehen, wo und wann immer die Unterscheidung der Geister notwendig ist; das heißt, mit Kardinal von Galen gesprochen: Für die Rechte Gottes und der Menschen furchtlos eintreten - nec laudibus nec timore!

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