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Also sprach Gomulka

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Im März haben sich im Kongreßsaal des Warschauer Kulturpalastes die Vertreter der kommunistischen Parteiorganisationen ganz Polens zur dritten Tagung der herrschenden PZPR versammelt. Mehr als 1400 an der Zahl, hatten sie sechs Punkte zu erledigen: Referate über die allgemeine Lage von Wladislaw Gomulka, über die Tätigkeit der Revisionskommission, über die wirtschaftliche Entwicklung und über deren Richtlinien für die Jahre 1959 bis 1965, über die Agrarpolitik und über Aenderungen im Parteistatut (von Zombrowski), endlich die Neuwahl des Zentralkomitees und des zentralen Revisionsausschusses. Die Töne, die man da zu hören bekam, klangen gar rauh Der mit polnischen Verhältnissen weniger Vertraute mußte sie fast als integrale Rückkehr zum Stalinismus- Bierutismus empfinden. Also sprach Gomulka: „Unsere Partei wird niemals dem zustimmen, daß antisozialistische Elemente straflos die dem Volk gebührende Freiheit dazu ausnützen, um dessen Herrschaft und das Werk des sozialistischen Aufbaues zu bekämpfen. Die Befestigung des leitenden Einflusses unserer Partei auf allen Gebieten des Lebens ist erste Bedingung einer sozialistischen Demokratisierung.”

Hierauf eine scharfe Warnung an die Kirche:

„Die Kirche ist vom Staat getrennt; sie kann frei nur auf der Grundlage der in Polen bestehenden Gesellschaftsordnung und eines mit der polnischen Staatsräson vereinbarlichen Vorgehens wirken. Seelsorgetätigkeit darf unter keinen Umständen zu politischen Zwecken ausgenützt werten, also zum Gegenüberstellen von Gläubigen und Nichtgläubigen, zu Angriffen auf die Politik unserer Partei und der Volksregierung …Wir warnen die kirchliche Hierarchie vor Verletzung staatlicher Gesetze und Verordnungen, was sich neuerlich wiederholt. Wir raten, damit aufzuhören, die Volksbehörden herauszufordern, denn das wird nicht gut für die Kirche enden. Die Kirche muß einzig Kirche sein, sich auf Angelegenheiten des Glaubens beschränken und in der Kirche bleiben. Längst sind die Zeiten der mittelalterlichen Suprematie der Kirche über den Staat vorbei. Man muß sich dem Fortschritt anpassen und die hoffnungslose Idee eines Kampfes mit dem Sozialismus aufgeben.”

Auch In den folgenden Redeabschnitten über dwHIioziälfsliscfie (jösef icMeit” und üfeer,S’-1 Ziehung waren mancherlei Ansichten zu hören, die sich Gomulkas begeisterte Gefolgsleute vom Oktober 1956 kaum hatten träumen lassen. „Die Volksmacht muß …streng gegenüber den Feinden des Sozialismus sein.” „Der Kampf um Ein- wurzelung der sozialistischen Gerechtigkeit und Legalität erfordert schnelle Ueberwindung eines übermäßigen’Liberalismus, der sich im Zuleichtnehmen gegen den Volksstaat gerichteter Tätigkeiten äußert…Gegen diese Gefahren heißt es sowohl durch geeignete Auswahl der mit der Rechtsprechung beauftragten Beamten (sic!), durch die Sorge um ihre moralisch-politische Haltung kämpfen als auch durch weitere Anpassung der verpflichtenden Gesetzgebung an die Bedürfnisse des Volksstaates und der unerschütterlichen Dauer der sozialistischen Ordnung.”

Sodann in Beziehung auf Erziehung und Wissenschaft: „Es kann uns nicht gleichgültig sein, welche philosophischen, soziologischen, nationalökonomischen, pädagogischen usw. Anschauungen in unserer Gesellschaft obwalten …Zweifellos haben wir es, im Zusammenhang mit der großen Belebung des geistigen Lebens in den letzten Jahren mit einem negativen Phänomen zu tun, mit einem vermehrten Ansturm der bürgerlichen Ideologie …Wir müssen in unserer Kulturpolitik als Richtlinie annehmen, daß unser Ziel der volle Sieg der Ideologie des Marxismus- Leninismus bleibt.” Diesem Ziel soll alles untergeordnet werden. „Unsere Aufgabe ist es nicht, den Gegnern des Marxismus das Eindringen in breitere Schichten der Studentenschaft zu erleichtern.” Hier berührte Gomulka einen heiklen Punkt. In Polen werden antimarxistische Gedankengänge häufig durch freidenkerische Gelehrte verfochten. Diese Männer nun, die „unsere Verbündeten im Kampf gegen Obskurantismus und finsteren Fideismus sind, darf man nicht unsanft behandeln”. „Selbstverständlich können wir aber keine pseudowissenschaftlichen Veröffentlichungen dulden, die von einem dem Sozialismus feindlichen Standpunkt aus geschrieben sind.”

Und jetzt die schlimmen Literaten! Wieder ein bedeutsamer Passus aus Gomulkas Programmrede verkündet: „ …der den Hauptgrundsatz unserer Kulturpolitik bildet, .. daß wir das kulturelle Schaffen an die Weltanschauung und an die Methodologie des Marxismus-Leninismus knüpfen …Wir unterstützen vor allem und erachten weitestgehender Förderung würdig eine Literatur, die realistisch in der Form, sozialistisch in ihrer Ideensprache, in ihrem Verhältnis zur Welt und zum menschlichen Schicksal ist” (mithin den von allen ernst zu nehmenden polnischen Schriftstellern entschieden abgelehnten Sozialismus der Stalinisch-Bierutschen-Aera)…„Warum irren viel zeitgenössische Schriftsteller und andere geistig Schaffende seit längerem auf falschen Pfaden umher, verlieren sie die ‘Bindung an die führenden sozialistischen Kräfte in der Nation? Schuld daran sind revisionistische und bürgerlich-liberale politische Strömungen. Unter deren Einfluß ist eine Anzahl ideologisch schädlicher Werke entstanden. Eine „schwarze Literatur” …„Bücher, die den Sozialismus anschwärzen und die dessen Feinde verherrlichen. Wir verweigern und werden verweigern die Veröffentlichung derartiger Publikationen, denn das sind keine Kunstwerke, sondern Waffen der Propaganda antisozialistischer Kräfte. Es beunruhigt unsere Partei, daß ein Teil der führenden Männer des Polnischen Literaturverbandes unter dem Deckmantel des .freien Schaffens’ für die unbehinderte Veröffentlichung derartiger Werke eintritt…Wir wünschen eine Kunst, die lebenswahr die nicht leichten Vorgänge des Sichge- staltens neuer sozialistischer Zustände und den Wandel der menschlichen Psychik künstlerisch darstellt…Man muß auf die Wirklichkeit mit den Augen der in der Nation führenden Kräfte schauen und nicht durch die Brillen der Snobs und der bürgerlichen Kritiker des Sozialismus. Hauptaufgabe der Partei ist gegenwärtig der Kampf um restlose Ausmerzung des Einflusses antisozialistischer und revisionistischer Tendenzen unter den geistig Schaffenden. Wir ersehnen, daß die künstlerischen Organisationen sich vom Druck der reaktionären Kräfte befreien, daß sie ihre Losgerissenheit von der Arbeiterklasse und von der Nation überwinden. Wir hoffen, …die Mehrheit der Künstler werde gemeinsam mit dem gesamten Volk am Aufbau des Sozialismus teilnehmen.”

Die polnischen Autoren, die auf ihrem Kongreß zu Jahresende 1958 energisch gegen den sich verschärfenden Druck protestiert und die sich für die im Oktober 1956 zeitweilig errungene Freiheit des Schaffens erklärt hatten, sie alle, vom so radikalen Slonimski bis zu den katholischen Dichtern, die „schwarze Literatur”, mit den schnell zur europäischen Berühmtheit gelangten Marek Hlasko und Leopold Tyrmand an der Spitze, alle, die im Zeichen Gomulkas „hundert Blumen” im literarisch-künstlerischen Garten hatten erblühen lassen, werden mit Trauer und Entsetzen diese Worte vernommen haben, die einen tödlichen Reif auf den einstigen. „Öktoberfrühling” herabsenkten. Oder nicht? Ach, es wird in Polen weder so heiß gegessen, wie es gekocht wird, noch so kalt Gedankenmord verübt, wie man es androht. Immerhin wird die gesamte polnische Intelligenz, werden alle Freunde Polens nicht ohne Besorgnis eine Rede registrieren, die der Ungeist des unseligen Bierut durch Gomulkas Mund zu sprechen schien.

Was noch folgte, war nur eine in die betrüblichste, abgeklapperte Phraseologie gekleidete Zitatenreihe aus dem kommunistischen Katechismus. Gomulka nannte sechs unabdingbare Prinzipien: die führende Rolle der marxistisch- leninistischen Partei; nach dem Sturz der Bourgeoisie Diktatur des Proletariats; Bündnis der Arbeiterklasse mit den bäuerlichen und anderen werktätigen Massen; Vergesellschaftung der Produktionsmittel; Revolution der Kultur und Erziehung einer sozialistischen Intelligenz; leninistischer proletarischer Internationalismus. Der Erkorene der Oktoberrevolution von 1956 bekräftigte nochmals seine Solidarität mit dem heutigen Erben der Oktoberrevolution von 1917, seinen Abscheu vor Abweichern, in diesem Falle den „parteifeindlichen Dogmatikern” um Malen- kow, Kaganowitsch, Molotow, Bulganin. Er prangerte zum x-ten Male den Revisionismus als Hauptgefahr für die Partei an, verfluchte die sowjetfeindlichen Umtriebe in Polen und gestand so nebenhin — auch ein Kernsatz seines Referats: „In unserem Lande ist der Sozialismus noch nicht aufgebaut. Unsere Gesellschaft ist noch eine klassenmäßige. Die Ueberbleibsel der früheren Ausbeuter, reaktionäre Gegner deT Volksmacht existieren und betätigen sich noch, unterstützt durch imperialistische Kreise.” „Der Revisionismus hat von innen her die ideologische Einheit der Partei ausgehöhlt, Mißtrauen gegen den Kommunismus, die führende Rolle der Partei, die Diktatur des Proletariats gesät. Unser Motto ist: Demokratie für die Werktätigen, für die Anhänger des Sozialismus. — Unsere Partei …verwirft revisionistische Versuche, den Weg für die politische Legalisierung bürgerlicher Kräfte zu bahnen.”

Das, was nach diesen Leitsätzen — wahren Leidsätzen für so viele Enthusiasten des „Polnischen Oktober” 1956 - kam, beschränkte sich auf übrigens sehr lehrreiche Mitteilungen über die Säuberung der PZPR. 210.000 Ausschlüsse, über die jetzige Mitgliederzahl, 1.023.425, bei einer Gesamtbevölkerung von 29 Millionen, über die Zusammensetzung der herrschenden Partei — nur 42 Prozent Arbeiter, rund 20 Prozent Bauern und 38 Prozent „Kopfarbeiter”. Ein letztes Bekenntnis zur UdSSR, zum Warschauer Pakt, zum sozialistischen Aufbau in Polen und „das Banner des Marxismus-Leninismus wird uns zu neuen Siegen führen”.

Brauchte es mehr als diese Auferbauungsstandpredigt, um die Lage in Polen zu verstehen? Weder die zahlengespickten Meldungen Jgdrychowskis vom wirtschaftlichen Sektor noch Ochabs Variationen über den Sozialismus auf dem Dorfe noch die aufs Lokale beschränkten Kritiken der örtlichen Parteigrößen haben das Bild verändert, das man sich nach Gomulkas Rückblick und Ausblick machen konnte. Einige Ergänzungen lieferte Verteidigungsminister Spychalski mit seinen statistischen Angaben über die Armee: 90 Prozent der Offiziere sind jetzt proletarischer oder bäuerlicher Abkunft, 98 Prozent sind nach 1945 ins Heer eingetreten, 70 Prozent der Offiziere gehören der Partei an. Das gewährt dem Regime eine wichtige Stütze. Sehr kläglich mutete die vom Historiker Professor Jabionski vorgebrachte Kollektiv-Selbstanklage der Wissenschafter an, zu welchem demütigen Schuldbekenntnis er indessen nur durch sich selbst legitimiert war. Derlei Manifestationen wirken so peinlich wie die Anbiederungen und Lobhudeleien an den Parteitag, die, mit geziemender Verachtung gestraft, in der unter katholischer Etikette erscheinenden „Pax”presse abgedruckt wurden.

Von den Hoffnungen auf ein westlich-demokratisches Polen, die im Oktober 1956 erwachten, ist nicht viel übrig — wenn wir nämlich die auf dem Parteitag gesprochenen Worte allzu wörtlich nehmen. Daß man aber derlei in Polen nicht tun darf, hat mehr Gewicht als eine spektakuläre Kundgebung, die weder an der Gesinnung der Volksmehrheit, die meisten Parteimitglieder der PZPR inbegriffen, noch an den realen Machtverhältnissen — der absoluten Oberherrschaft der UdSSR — etwas ändert. Praktische Bedeutung kommt vordringlich, wenn nicht einzig, dem offen angekündigten Feldzug wider die un- botsamen Intellektuellen und dem vorerst verhüllt angedrohten gegen die Kirche zu. Doch auch da ziemt es, abzuwarten und ein polnisches Sprichwort zu variieren: „Der Teufel ist nicht so schwarz, wie er selbst sich ahmalt.”

Er ist auch nicht so knallrot. Das um zwei Freunde Gomulkas und um eine „Entdeckung” Cyrankiewiczs bereicherte, - -nunmehr • zwölf-’ köpfige Politbüro zahlt nunmehr eine feste Majorität vernünftiger Männer, die bei allein Festhalten am Kommunismus weder einen neuen Polizeiterror gegen die kompakte Mehrheit ihrer Nation entfesseln noch sich der Mitarbeit der wertvollsten Schicht ihres Volkes be-

rauben wollen, aus der sie selbst — Cyran- kiewicz, Jgdrychowski, Rapacki, Spychalski, Kliszko — hervorgegangen sind oder deren Schlüsselstellung sie, durch Selbstbildung ihr eingeordnet — Gomulka, Loga-Sowinski, Gierek— erprobt haben.

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