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Lenins neue Kleider

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„Die kommunistische Partei Italiens… ist die politische Organisation der Vorhut der Arbeiterklasse und aller Arbeiter, die im Geist des proletarischen Internationalismus und in der Realität des Klassenkampfes… für den Sozialismus kämpfen.” Dieser lapidare Satz leitet die Präambel der 1975 gebilligten Statuten just jener KP ein, die sich im Juni 1976 besonders hartnäckig und erfolgreich dagegen wehrte, daß die europäische KP-Konferenz in Ostberlin den Begriff „proletarischer Internationalismus” in ihre Dokumente nähme. Denn dieser wird seit je als Tarnbegriff für den Führungsanspruch der KPdSU im internationalen Kommunismus ausgelegt.

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„Die kommunistische Partei Italiens… ist die politische Organisation der Vorhut der Arbeiterklasse und aller Arbeiter, die im Geist des proletarischen Internationalismus und in der Realität des Klassenkampfes… für den Sozialismus kämpfen.” Dieser lapidare Satz leitet die Präambel der 1975 gebilligten Statuten just jener KP ein, die sich im Juni 1976 besonders hartnäckig und erfolgreich dagegen wehrte, daß die europäische KP-Konferenz in Ostberlin den Begriff „proletarischer Internationalismus” in ihre Dokumente nähme. Denn dieser wird seit je als Tarnbegriff für den Führungsanspruch der KPdSU im internationalen Kommunismus ausgelegt.

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Italiens KP erwarb als erste den Namen „Eurokommunismus”, mit dem man ihr - wie später auch der französischen und der spanischen KP - Liberalisierung, Demokratisierung, Ab rücken von Dogmen, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit vom Kreml bescheinigt. Politische Erklärungen führender Vertreter dieser Parteien mögen dieses wohlwollende Urteil untermauern; die Probe aufs Exempel liefern freilich die Statuten. Denn sie spiegeln Struktur und Organisation einer Partei und erläutern daher auch den Stellenwert politischer Erklärungen.

Diktatur des Proletariats

Im Vorjahr strich Frankreichs KP die in ihren Statuten von 1964 ein einziges Mal erwähnte „zeitweilige Diktatur des Proletariats”, um die Bürger nicht zu verschrecken: „Das zählt nicht mehr zu den Zielen der Partei.” In der Präambel der KPF-Statuten steht aber, daß die KPF „ihre Aktion auf den Marxismus-Leninismus gründet, der das fortschrittlichste philosophische, ökonomische, soziale und politische Wissen verallgemeinert und als „Richtschnur der Aktion” dient. Noch zweimal nennen die Statuten den Marxismus-Leninismus: einmal als „Grundlage für die Einheit der kommunistischen Weltbewegung” (Präambel) und dann als verpflichtenden Lernstoff für die Parteimitglieder (Art. 7). Zudem steht die KPF auf der Basis einer „revolutionären Theorie” (Art. 5), auf die sich auch die KPdSU in der Präambel ihrer Statuten von 1961 beruft.

Der Verzicht auf den Begriff „zeitweilige Diktatur des Proletariats” berührt die Taktik der KPF, nicht aber ihre marxistisch-leninistischen Ziele: „Die Veränderung einer kapitalistischen in eine kollektivistische oder kommunistische Gesellschaft… die Zerstörung jeder Form kapitalistischer Diktatur und die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse.”

Getrost kann die KPF auf die „Diktatur des Proletariats” verzichten. Indem sie sich rückhaltlos auf den Marxismus-Leninismus festlegt, begibt sie sich weder theoretisch noch praktisch. der Möglichkeit, diese Diktatur einzurichten. Zudem: Wenn die „Diktatur des Proletariats” nicht mehr zu den „Zielen der Partei” zählt, so deckt sich das vollauf mit Lenins Auffassung. Schließlich ist diese „Diktatur des Proletariats” nicht ein Ziel an sich, sondern nur das Nadelöhr auf dem Weg in die klassenlose kommunistische Gesellschaft.

Wissenschaftlicher Sozialismus

In den Statuten der italienischen KP fehlt der Begriff „Diktatur des Proletariats”. Die KPI stellt sich jedoch gleich der KPF „auf die Basis der Lehren von Marx und Lenin” (Präambel) und verpflichtet ihre Mitglieder, „die Kenntnis des Marxismus-Leninismus sich anzueignen und zu vertiefen und diese Lehren bei der Lösung konkreter Fragen anzuwenden” (Art. 5 b). Überdies begründet sie die Anstellung hauptberuflicher Parteifunktionäre damit, daß „die geschichtliche Erfahrung die Notwendigkeit und Bedeutung des Berufsrevolutionärs” belege (Art. 22).

Unverblümte Deutlichkeit dieser Art versagt sich die spanische KP. In ihren Statuten vom 11. Februar 1977 sucht man vergebens die Begriffe Revolution, Diktatur, Proletariat, Kapitalismus oder Marxismus-Leninismus. Die ideologische Grundwahrheit der KPSp findet sich versteckt in den Statuten unter den Pflichten der Parteimitglieder: „Anstrengung, um das politische und ideologische Niveau durch das Studium der Prinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus zu heben” (Art. 10 d). Dieser „wissenschaftliche Sozialismus” ist ein seit Anfang der sechziger Jahre üblicher und in vielen Dokumenten internationaler KP-Konferenzen aufscheinender Ersatzbegriff für „Marxismus-Leninismus”.

Besonders wird den „Eurokommunisten” zugute gehalten, daß sie einen vom Kreml unabhängigen nationalen Kurs steuern. So erstrebt die KP Frankreichs die „sozialistische Umgestaltung” gemäß den „spezifischen Bedingungen unseres Landes” und stellt sich als „nationale Partei” vor, die „ihre Politik frei festlegt” (Präambel). Auch die KP Italiens „schreitet auf einem autonomen und nationalen Weg fort - dem italienischen Weg zum Sozialismus” (Präambel). Spaniens KP geht erheblich weiter: Sie „bekräftigt ihre volle nationale Unabhängigkeit bei der Ausarbeitung der politischen Linie und bei der Suche nach einem Weg zur sozialistischen Demokratie, welche die Besonderheiten des Landes berücksichtigt” (Art. 3).

Dies alles ist aber keineswegs als Herausforderung Moskaus zu deuten, denn seit der von Tito und Chruschtschow 1955 Unterzeichneten „Belgrader Deklaration” und dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 ist der „eigene Weg zum Sozialismus” auch vom Kreml sanktioniert und in zahlreichen internationalen KP-Dokumenten festgeschrieben.

Kompliment an die KPdSU

Gerade ob solcher Voraussetzungen ist bemerkenswert, daß sich die französische KP als „nationale und internationalistische Partei” definiert, die auf „Festigung der Freundschaft und der Solidarität mit dem Volk der UdSSR” hinarbeitet. Sie tritt „für die Einheit der kommunistischen Weltbewegung auf der Basis der marxistisch-leninistischen Grundsätze” ein. Sie nennt den Marxismus-Leninismus eine „Anweisung für die Aktion” und eine Lehre, „die ohne Unterlaß durch die Leistungen jener Länder bereichert wird, in denen der Sozialismus triumphiert hat” (Präambel).

Ein erstaunliches Kompliment an die KPdSU, die in der Präambel ihrer Statuten erklärt, daß sie „den Marxismus-Leninismus schöpferisch weiterentwickelt”.

Auch die italienische KP „schöpft aus der reichen und vielfältigen Erfah-

rung der Sowjetunion, Chinas und aller Länder der neuen Demokratie” (Präambel), womit auch die nach 1968 wieder „normalisierte” CSSR gemeint sein muß. Schließlich stammen die KPI-Statuten aus dem Jahr 1975.

Nur die spanische KP versagt sich dieser Möglichkeit, nationale Eigenständigkeit und Solidarität mit regierenden Bruderparteien so zu formulieren, daß je nach den Erfordernissen „gewisse Aspekte” des Sowjetsystems oder aber der „Antisowjetismus” kritikwürdig werden.

Um ein untrügliches Maß zur Einschätzung der Eurokommunisten zu bekommen, ist die Kernfrage zu stellen, wie diese Parteien den Widerspruch zwischen Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus und den Grundsätzen einer freiheitlichen Demokratie behandeln. Davon hängt letztlich die Glaubwürdigkeit demokratischer Beteuerungen ab.

Christus oder KPI?

Italiens KP steht jedermann offen, „unabhängig von Rasse, religiösem Glauben und philosophischen Überzeugungen” (Art. 2). Zu den Pflichten der Parteimitglieder gehört allerdings ganz nach dem Muster von Artikel 2” der KPdSU-Statuten von 1961, „die Kenntnis des Marxismus-Leninismus sich anzueignen und zu vertiefen und diese Lehren bei der Lösung konkreter Fragen anzuwenden” (Art. 5 b). Christen und Liberale stehen also vor der Wahl, ihre Überzeugung oder die KPI aufzugeben, da diese Standpunkte miteinander unvereinbar sind.

Fblglich steht die Tür zur KPI zwar allen offen, der Verbleib in der KPI allerdings setzt „Kenntnis und Anwendung” des Marxismus-Leninismus voraus, für Christen somit die Änderung ihrer Weltanschauung.

Ähnlich verfährt die französische KP. Mitglied kann werden, wer „ihr Programm und ihre Statuten annimmt, und einer ihrer Basisorgänisa- tionen angehört, wo er aktiv kämpft” (Art. 1). Da sich die Statuten unmißverständlich auf den Marxismus-Leninismus beziehen, der für alle Mitglieder verpflichtender Lernstoff ist, und zudem eine „revolutionäre Theorie” (Art. 5) propagieren, kann von Liberalität kaum die Rede sein, wiewohl die KPF behauptet, daß sie „für die Errichtung des fortschrittlichsten demokratischen Systems kämpft, das unter den Bedingungen eines kapitalistischen Systems möglich ist.”

Die Statuten der KP Spaniens stellen keine vergleichbaren Bedingungen für die Parteimitgliedschaft. Stattdessen enthalten sie Formulie-

rungen, die man in den Statuten der KPI und der KPF vergeblich sucht. Die spanische KP nennt als Ziele „die volle Demokratisierung des politischen Systems” (Art. 2) und „die Errichtung einer authentisch repräsentativen Demokratie” (Art. 5), was nach vier Jahrzehnten Franquismus durchaus einleuchtet. Sie fordert außerdem die „sozialistische Veränderung der Gesellschaft”, zugleich aber auch die „Erhaltung einer pluralistischen Gesellschaft, welche die repräsentative Demokratie festigt und vertieft” (Art. 7). In diesem Rahmen verlangt sie allerdings von ihren Mitgliedern Anstrengungen, „um das politische und ideologische Niveau durch das Studium der Prinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus zu heben” (Art. 10 d).

Demokratischer

Zentralismus

Die Unterschiede zwischen den Eurokommunisten fallen jedoch fort, wenn man die Struktur der innerparteilichen Organisation freilegt. Darin folgen die Eurokommunisten dem Modell der leninistischen Kaderpartei von Berufsrevolutionären, die unter allen Umständen schnell und wirksam handlungsfähig bleiben muß. Diese Struktur wuchs in der konspirativen Illegalität, als es darauf ankam, den Parteiapparat zu schützen, gegen Infiltration abzuschirmen und funktionstüchtig zu erhalten. Lenin erdachte zu diesem Zweck den „demokratischen Zentralismus”.

Die drei eurokommunistischen Parteien definieren das Wesen des „demokratischen Zentralismus” genau nach Artikel 19 der KPdSU-Statuten: Alle Führungsgremien werden von unten nach oben gewählt; auf allen Ebenen müssen Entscheidungen der Mehrheit von der Minderheit angenommen und durchgeführt werden; Entscheidungen übergeordneter Instanzen sind für die untergeordneten Instanzen verbindlich; auf allen Ebenen haben die Führungsgremien regelmäßig Rechenschaft zu legen.

Für die KP Frankreichs ist der „demokratische Zentralismus” das „Grundprinzip, auf dem das innere Leben der Partei beruht. Gründend in der revolutionären Theorie der Partei, bedingt der demokratische Zentralismus den ideologischen und politischen Zusammenhalt der Partei und ihre Aktionseinheit” (Art. 5). Daher ist der „demokratische Zentralismus” auch die Richtschnur der straffen Parteidisziplin: „Organisation und Aktivität von Fraktionen sind verboten, weil sie die Einheit der Partei untergraben und die Wirksamkeit ihrer Aktion gefährden würden” (Art. 5 a).

Italiens KP folgert aus dem „demokratischen Zentralismus”, daß „frak- tionistische Aktivität und jede Aktion, die Einheit und Disziplin der Partei brechen oder bedrohen könnte, nicht geduldet wird” (Art. 18 g). Folgerichtig besteht die Pflicht, „die Parteidisziplin zu beobachten” (Art. 5 c).

Die spanische KP umschreibt das Fraktionsverbot sehr behutsam: Parteimitglieder sind gehalten, die „Einheit der Partei zu verteidigen, weil das die Grundbedingung ihrer Stärke und ihres Einflusses ist”. Die Genossen müssen „die Parteidisziplin beobachten, die für alle Aktivisten ungeachtet ihrer Position gleich ist” (Art. 10).

Der „demokratische Zentralismus” engt somit den Spielraum der innerparteilichen Demokratie auf die Bedürfnisse der Parteiführung ein, was von liberal-demokratischen Vorstellungen prinzipiell abweicht und die demokratische Legitimation der Eurokommunisten in Frage stellt. Die Statuten der drei Parteien beweisen es unmißverständlich.

Darüber hinaus ist das leninistische Prinzip vom organisatorischen Aufbau der Partei - der „demokratische Zentralismus” - in den Statuten der Eurokommunisten ebenso uneingeschränkt verankert wie in den Statuten der KPdSU. An der abgesicherten Herrschaftsstruktur des Parteiapparats ändern füglich demokratische Einsprengsel nichts.

Kein eigener Weg

Augenscheinlich läßt dieses leninistische Prinzip keinen „eigenen Weg” und also auch nicht das „Wagnis von mehr Demokratie” zu, ohne Wesen und Struktur einer kommunistischen Partei überhaupt aufzulösen. So machte die leninistische Parteistruktur in der Sowjetunion den Stalinismus möglich.

Das System - das ist die Struktur einer KP gemäß ihren Statuten. Daher gewinnen die Eurokommunisten nicht durch schöne Reden demokratische Glaubwürdigkeit, sondern nur durch eine Veränderung der Parteistruktur in j enem Ausmaß, daß der „eigene Weg zum Sozialismus” nicht mehr in den Totalitarismus Lenins und Stalins führen kann.

Immerhin war es Stalin, der auf dem XIX. Parteitag der KPdSU 1952 Worte fand, die jenen der Eurokommunisten nicht nachstehen: „Die Bourgeoisie trat für bürgerlich-demokratische Freiheiten ein und erwarb sich damit Popularität im Volk. Ich denke, daß ihr, die Vertreter der kommunistischen und demokratischen Parteien, dieses^ Banner vorantragen müßt, wenn ihr die Mehrheit des Volkes um euch sammeln wollt.”

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