6693045-1962_46_03.jpg
Digital In Arbeit

Ein Gespenst geht um.

Werbung
Werbung
Werbung

Pflichtgemäß muß der Wähler, wie bei jeder Partei, die um seine Stimme für die Nationalratswahl wirbt, auch die kommunistische einet näheren Prüfung unterziehen.

Hierbei muß er sich von vornherein des paradoxen Umstandes bewußt sein, daß die Kommunistische Partei grundsätzlich die Institution, für die sie kandidiert, ebenso ablehnt wie deren Grundlagen: gesellschaftliche und wirtschaftliche Freizügigkeit, Mehrparteilichkeit, Trennung von Legislative und Exekutive und so weiter. Dem entgegen strebt sie die Diktatur des Proletariats an, die, wie sich nun nach 45jähriger Praxis in der Sowjetunion herausgestellt hat, in der Diktatur der Kommunistischen Partei besteht. Auch in jenen Ländern, in denen aus Gründen der ,,noch nicht genügend vorgeschrittenen“ politischen Entwicklung noch andere Parteien unter der Diktatur des Proletariats, das heißt der KP, bestehen, haben sie weder das Recht noch die Macht, gesellschaftliche Änderungen oder gar die Aufhebung der Diktatur der KP anzustreben.

Ein einziges Mal hat die KPÖ die volle Konsequenz aus ihrer grundsätzlichen Ablehnung der „bürgerlichen“ Demokratie und deren Einrichtungen gezogen: bei den Wahlen zum ersten Nationalrat der Ersten Republik nach 1918. Sie hat es damals abgelehnt, Kandidaten aufzustellen, „um nicht Illusionen im Proletariat hervorzurufen über den Klassencharakter der sogenannten Demokratie und die Unmöglichkeit, jemals grundlegende gesellschaftliche Änderungen mittels ihres Parlaments zu erreichen“ — wie es in einem Flugblatt aus jener Zeit heißt. Die österreichischen Kommunisten erhielten deshalb von Lenin einen Rüffel, und der Fall wurde von ihm in seinen „Kinderkrankheiten“ als eine solche angeführt. Außer anderen Gründen mochte aber auch jene Wahlenthaltung mitverursacht haben, daß die KPÖ in der ganzen Zeit der Ersten Republik noch von den radikalsten Arbeitern als eine Partei angesehen wurde, die „man nicht ins Parlament wählt“.

Heute hüten sich die Kommunisten selbstverständlich, in ihrer Wahlpropaganda diese grundsätzliche Ablehnung des Parlaments und seiner Grundlagen zu erwähnen. Dennoch unterlegen sie ihrer Propaganda, daß sie infolge dieser grundsätzlichen Ablehnung befähigt sind, als „Hechte im Karpfenteich“ Leben in die Bude zu bringen, weil sie — als einzige unberührt und unkorrumpiert von den Konnexionen des bürgerlichen Lebens — auf gar nichts Rücksicht zu nehmen brauchen. Man sollte also meinen, daß die Kommunisten auf Grund dessen bei den bisherigen Wahlen zumindest die Stimmen der meisten Unzufriedenen in diesem Land auf sich hätten vereinigen können. Das ist aber nicht geschehen. Das Hauptproblem aller kommunistischen Teilnahme besteht vielmehr darin, daß keine Sache, die von den Kommunisten vorgebracht wird, so berechtigt sein könnte, als daß sie nicht dadurch, daß sie von den Kommunisten vorgebracht wird, sofort kompromittiert wäre.

Die anderen Parteien mögen auf verschiedene Weise in den Konnexionen des österreichischen bürgerlichen Lebens befangen und beschränkt sein — die Kommunistische Partei ist jedoch seit eh und je grundsätzlich und praktisch die Gefangene ihrer Beziehung zu einer ausländischen Macht — der Sowjetunion — gewesen.

In den Zeiten des Kampfes gegen die Hitler-Herrschaft, und da auch nur von 1941 bis 1945, war die KPÖ, wie alle anderen kommunistischen Parteien, imstande gewesen, infolge der damaligen Parallelität des sowjetischen Interesses mit dem aller Hitler-Gegner, ihre Bestrebungen mit denjenigen der anderen zu harmonisieren. Und die KP weist mit Recht heute noch immer wieder auf den hohen Blutzoll hin, den ihre Anhänger damals für den Eintritt ihrer Partei in das wiedererstandene Gebäude der österreichischen Nation bezahlt haben. Die österreichischen Wähler haben jedoch der KP gleich bei der ersten Nationalratswahl der Zweiten Republik nur einen sehr bescheidenen Platz in jenem Gebäude eingeräumt, weil die Gebundenheit der KPÖ an die Sowjetunion nun zur Gebundenheit an eine in Österreich stationierte Besatzungsmacht geworden war. Die Entwicklung eines Nationalbewußtseins der Österreicher, die mit dem Kampf gegen Hitler eingesetzt hatte, ging nun im Rahmen des Widerstandes gegen die sowjetische Besatzungsmacht weiter. Es scheint heute fast unglaublich, auf welch selbstmörderische Weise sich die KP damals mit dem russischen Element identifiziert hat. Sie hat jeden Hinweis auf den Exzeß irgendeines russischen Soldaten als Antispwjethetze bezeichnet. Sie hat die Besitztitel der Russen auf die von ihnen beschlagnahmten Betriebe verteidigt, auch wenn es sich um solche handelte, die bis 1938 österreichisches Eigentum gewesen waren. Die KPÖ hat die von Molotow in Berlin vorgeschlagene Version eines Staatsvertrages, welche die weitere militärische Besetzung des Landes beinhaltete, verteidigt. Als Chruschtschow unlängst Molotow über Bord warf, machte er ihm unter anderem auch den Vorwurf, den Abschluß des Staatsvertrages mit Österreich sabotiert zu haben.

Ihre große Chance, einen Trennungsstrich vor ihre Vergangenheit und Abhängigkeit von der Sowjetunion zu setzen, erhielt die KPÖ im Jahre 1956 durch den 20. Parteitag der KPdSU und die dort erfolgte faktische Zertrümmerung jenes Konzeptes vom Kommunismus, demzufolge die KDÖ zur Subordination unter die KI SU verpflichtet war. Die KPÖ hätte sich damals durch eine einfache und „legitime“ Geste als österreichische Partei habilitieren können: indem sie, gestützt auf die Eröffnungen Chruschtschows über die Massenhinrichtungen der eigenen Kader unter Stalin, die Rehabilitierung hunderter in der Sowjetunion liquidierter österreichischer Schutzbündler und Altkommunisten verlangt hätte. Doch so, wie ein treuer Diener oft stärker an den von der Herrschaft gesetzten Regeln festhält, als diese selbst, und der Einführung neuer Regeln durch den jungen Herrn fassungslos gegenübersteht, genauso murrten die KPÖ-Führer gegen die Entstalinisierung. Sie, die ihr raison d'etre immer in jener Unterordnung erblickt hatten, auch wenn sie sich dabei in Gegensatz zu ihrer eigenen Nation brachten, konnten und können auch heute nicht anders wie vordem, obwohl sich wesentliche Voraussetzungen geändert haben.

Seit dem 22. Parteitag hat sich die Lage für die KPÖ nämlich noch mehr kompliziert. Dort ist offen ausgesprochen worden, was bis dahin als „angebliche“ Geheimrede und nicht authentiziert, zumindest nach außen nicht anerkannt werden brauchte. Wohl hat sich am Hauptanspruch des Kommunismus auf die Erringung der

freien Welt nichts geändert, und insbesondere die westlichen kommunistischen Parteien, wie die österreichische, können sich nach wie vor als Glacis für das Vordringen der im Ostblock konzentrierten Macht ansehen. Doch die Entwicklung, die im Verhältnis der Ostblockstaaten vor sich gegangen ist, die Tatsache -der von Togliatti und Gomulka festgestellten „Mehrheit der Leitungszentren“, die konsequenterweise zur Gleichsetzung der kommunistischen Parteien, an Stelle ihrer bisherigen Subordination unter die KPdSU, führen muß, berührt auch die kommunistischen Parteien des Westens

aufs tiefste und bringt immer mehr die beim 20. Parteitag noch unterflächig aufgebrochene Grundfrage zum Vorschein.

Die kommunistischen Parteien der freien Welt werden sich nicht auf die Dauer von der Gleichsetzung der übrigen im Ostblock ausschalten können. Insbesondere der eigenen Anhänger wegen nicht. Nun konnte etwa die KPÖ bisher gegenüber ihren eigenen Mitgliedern die Vereinsamung im eigenen Vaterland durch die Zugehörigkeit, tatsächlich Unterstellung, unter das „Vaterland aller Werktätigen“ einigermaßen kompensieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung