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In der Nähe des Pariser Zeitungsviertels betrachteten Jahre hindurch ängstliche Bürger und neugierige Touristen ein sonderbares Haus. Riesige, glatte Flächen, mit Stahlblechen verschlossene Fenster (wie dringt Licht in die Büros?) und die mächtige Panzertür verwandeln das Gebäude in eine wahre Zitadelle. Hinter diesen unfreundlichen Wänden fallen die Entscheidungen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Frankreichs, wurden hohe Würdenträger exkommuniziert und führte der Generalsekretär Maurice Thorez sein vom großen Meister Stalin kopiertes Regime ein. Zahlreiche Intellektuelle und eifrige Anhänger verdorrten unter einer eisernen Disziplin, und die parteiinterne Demokratie wurde teilweise ausgeschaltet.

Diese dem französischen Individualismus sehr entgegengesetzte Haltung förderte innerhalb der Partei seit 1944 Machtkämpfe von einer Heftigkeit, die außenstehende Beobachter mehr erahnten, als richtig zu deuten wußten. Die Kommunistische Partei Frankreichs war wohl eine der stalinistischsten in Westeuropa, intransigent in ihren Forderungen folgte sie bedingungslos dem Kurs, der vom Kreml festgelegt wurde. Als 1947 der Sozialist Ramadier das Dreiparteiensystem beendete, wurde die Kommunistische Partei in ein politisches Exil getrieben, obwohl sie nach der Befreiung der mächtigste innenpolitische Faktor war. Nun versteinerte und vereiste sie und bildete eine Art erratischen Block in der politischen Geographie.

Die Wandlung

Die ersten Anzeichen einer Gesinnungswandlung gegenüber den Kommunisten erfolgte in den Monaten vor und nach dem 13. Mai 1958, als zahlreiche Generäle und Oberste, von extremen Rechtskreisen unterstützt, einen kooperativen Staat nach dem Vorbild Portugals erträumten, während die Geheimarmee OAS durch rücksichtslosen Terror die pluralistische Demokratie bedrohte.

Die erste große und der Zahl nach beachtliche Kundgebung der Linksund Mittelparteien fand nach dem Sturm auf dem Forumspalast in Algerien 1958 statt.

Die Rechte sprach von einer neuen Volksfront, vergaß aber, daß sich die politischen und wirtschaftlichen Vorbedingungen vollständig geändert hatten.

Thorez, der „Sohn des Volkes“, fand ein natürliches und durch schwere Krankheit in den letzten

Jahren überschattetes Ende; eine unzweifelhaft politische Persönlichkeit, die auch bei seinen energischen Gegnern vom MRP eine sichtliche Anerkennung fand, verließ die parlamentarische Szene. Ihm folgte der Urbane, ein wenig farblose Waldeck-Rochet, ein Mann der Parteiorganisation, dem aber echtes politisches Führertum abgeht und der den Apparat nicht vollständig beherrscht. Er ist eher ein geeichter Bürokrat als ein Politiker, der in riesigen Massenkundgebungen die Arbeiterklasse revolutioniert und auf die Barrikaden treibt.

Dem Generalsekretär wird vom Senator Duclos sekundiert, einem der letzten der alten Parteiführung, einem wendigen Parlamentarier und gewiegten Kenner der innenpolitischen Machtverhältnisse.

Die Kommunistische Partei ist derzeit mit verschiedenen Faktoren der Gegenwart konfrontiert, die ihr weiteres politisches Schicksal bestimmen. Die sehr bewegliche Außenpolitik der Sowjetunion zwang die KP Frankreichs, ihre Ansichten über Europa und die Welt zu revidieren.

... und Kehrtwendungen

Früher bedeutete der Gemeinsame Markt den Ausbund kapitalistischer Verschwörung, dazu bestimmt, die Arbeiterklasse unter der Herrschaft der Monopole zu ersticken. Seit einiger Zeit aber wird die EWG als eine feststehende Tatsache anerkannt, und ihre Existenz steht außerhalb der Diskussionen. Die Partei verlangte über ihre Gewerkschaft in diskreter Form eine Vertretung in der Körperschaft des Gemeinsamen Marktes. Die außenpolitische Linie General de Gaulies wurde vollinhaltlich unterstützt, besonders sein Kampf gegen den amerikanischen Einfluß und die eindeutigen Positionen bezüglich des Vietnamkonfliktes. In der eben abgelaufenen Legislaturperiode stimmten die Kommunisten mit der Regierungspartei UNR in allen außenpolitischen Fragen gemeinsam ab. Das Ziel der KP war ja erreicht, der Austritt Frankreichs aus der NATO eine vollzogene Tatsache.

Die Kommunisten stellten jedoch soziologische Wandlungen in ihren eigenen Reihen fest. Welcher Arbeiter hängt noch den Begriffen eines bedingungslosen Klassenkampfes an? Die französische Arbeiterschaft hat durch das gaullistische Regime eine bisher unbekannte wirtschaftliche Sicherheit erlangt, mögen auch zahlreiche schreiende Ungerechtigkeiten besonders bei alten Leuten feststehen. Diese Vorgänge zwingen die KP, ihr ursprüngliches Konzept zugunsten einer evolutionären Sozialreform zu ändern, und der linke Flügel der Gaullisten und die KP dürften in vielen sozialpolitischen Programmen eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen.

Aber ein zusätzliches Phänomen förderte die maßvolle Beurteilung der KP in der Öffentlichkeit. Mit bewunderswertem Elan drängten die katholische Arbeiterbewegung und die katholische Jungarbeiterbewegung (JOC) in die Betriebe ein, bauten dort Zellen und Gruppen auf und trafen, ob sie wollten oder nicht, auf den Kommunisten als Arbeitskameraden. Aus ersten schüchternen Kontakten entstanden Freundschaften und fanden Dialoge statt, die auf einer höheren Ebene von klugen Jesuiten und der Blüte der kommunistischen Ideologen weitergeführt wurde. Diese Studientagungen zwischen Katholiken und Kommunisten, vor einigen Jahren in den Katakomben abgehalten, erfolgen derzeit unter starker Anteilnahme der daran interessierten Kreise. Ihren Niederschlag finden wir in zahlreichen Broschüren, Abhandlungen und Artikeln. Besonders der Star unter den kommunistischen Denkern, Roger Garaudy, kommentiert in sehr offener und bejahender

Form die Ergebnisse des Vatika-nums II.

Auch die Sozialisten passen sich der veränderten Situation an. Seit dem Spätherbst vergangenen Jahres zeichnet sich eine positive Diskussion zwischen Kommunisten und Sozialisten ab. Natürlich konnten die Gegensätze keineswegs durch einige Gespräche beseitigt werden. Mehrere einflußreiche Mitglieder des kommunistischen Apparats beurteilen diese Öffnung nach rechts unter dem Gesichtspunkt des Opportunismus oder verdammen den Revisionismus der Parteiführung. Der Generalsekretär der Sozialistischen Partei Guy Mottet, bisher ein entschiedener Kämpfer gegen die Kommunisten, dekretierte die Notwendigkeit, die Einheit der Arbeiterklasse herzustellen, und vertritt die Meinung, daß nach fünf Jahren die Fusion der beiden Linksparteien erfolgen solle. Sicherlich werden Schwierigkeiten aller Art auftauchen, denn noch immer pflegt die KP eine eher starre Taktik und zeigt wenig Neigung, liebgewordene Doktrinen über Bord zu werfen.

Die „Chinesen“

Aber die KP Frankreichs weiß, daß sie diesen Weg zu beschreiten hat, will sie nicht von der chinesischen Richtung überrundet werden. Diese „Chinesen“ werden getreu der Linie sämtlicher europäischer Parteien vom Zentralkomitee als Feind Nummer eins betrachtet. Die französische Öffentlichkeit aller Richtungen beschäftigt sich derzeit eingehend mit den Vorfällen in China. Die rote Garde wurde in wenigen Wochen in Paris zu einem Begriff. Gruppen und Grüppchen ehemaliger Parteimitglieder schwenkten auf die Richtimg Maos ein und erwarten mit Sehnsucht die bereits erfolgte französische Übersetzung des berühmten roten Büchleins. Zahlenmäßig sind

„die Chinesen“ noch gering; sie können jedoch mit einem Anhang der heute jugendlichen Zwanzigjährigen rechnen, die von entmachteten Stalinisten angeführt werden. Die chinesische Tendenz schuf sich bereits eine eigene Organisation mit dem etwas langen Titel: „Kommunistisch-französisch — marxistischleninistische Bewegung“. Einer im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehender Publizist, Gilbert Mury, vollzog kürzlich unter Trompetenstößen den Übertritt zu „den Chinesen“. Die Anziehungskraft auf Intellektuelle ist als beachtlich zu bezeichnen.

Der Pakt mit Mitterand

Die Partei trat inzwischen zum Gegenangriff an. Der am 4. Jänner

1967 eröffnete 18. Kongreß — der erste seit dem Tod von Thorez — vernahm die unmißverständliche Verurteilung der Chinesen, die „eine Politik des Chauvinismus, des Abenteuers und der Trennung betreiben“. Die KP Frankreichs wünscht die Konferenz aller kommunistischen Parteien der Welt, um die ideologische Einheit des Weltkommunismus wiederzufinden.

Anläßlich der Präsidentenwahlen im Dezember 1965 fanden Absprachen zwischen den Kommunisten und der linken Föderation statt, gebildet aus Sozialisten und Radikalen unter Führung des durchaus bürgerlichen Präsidenten Mitterand. Nach dieser Wahl, welche die KP aus ihrem politischen Ghetto herausführte, schien zeitweise die Trennung mit der linken Föderation konsumiert. Erst am 20. Dezember 1966 wurde neuerlich ein Abkommen zwischen der KP und Mitterand geschlossen, wodurch erstmalig seit dreißig Jahren die französischen Arbeiterparteien eine Aktionseinheit bilden. Die Kommunisten wollten die Föderation Mitterands auf ein gemeinsames Programm festnageln, aber die Freunde des Präsidentschaftskandidaten waren nicht gesonnen, ihre eigene Persönlichkeit zu opfern. Die KP sah sich also gezwungen, gewisse Konzessionen zu machen, um zumindest ein wahltaktisches Übereinkommen abzuschließen.

Die Frage taucht auf, ob in diesem Dokument die KP die westliche Form der Demokratie ohne Reserven anerkennt. Waldeck-RoChet erklärte in einer Fernsehsendung, daß „nach einem Sieg des Linkskartells“ alle Parteien weiter zugelassen würden unter der Voraussetzung, „daß sie die Demokratie anerkennen“. Die Begriffe liegen daher noch etwas im Dunkeln. Die Zukunft einer Koalition zwischen den Kommunisten und den Sozialisten hängt von dem Ausgang der Wahlen ab.

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