6871921-1978_27_06.jpg
Digital In Arbeit

Wurde der „Eurokommunismus“ im Norden geboren?

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn heute fast überall in Europa der Eurokommunismus als neue Erscheinung auf der politischen Szene diskutiert wird, zieht man dazu fast ausschließlich die Entwicklungen in den romanischen Ländern heran. Was in Italien Togliatti und Berlinguer, in Frankreich Marchais und Jean Ellein-stein, in Spanien Carrillo, Azcarate und andere führende Kommunisten über ihr Verhältnis zur Demokratie und ihre Beziehungen zur kommunistischen Führungsmacht Sowjetunion gesagt haben und sagen, wird einerseits als Beweis für eine grundlegende Wandlung im westeuropäischen kommunistischen Lager, anderseits als taktisches Manöver zur Machtergreifung angesehen.

Wahrscheinlich ist es auf die Enge des skandinavischen Sprachraumes zurückzuführen, daß etwa in Mitteleuropa die politischen Wandlungen im Lager der Linken in Dänemark, Norwegen und Schweden in der Nachkriegszeit so wenig beachtet worden sind. Und die wenigen Institutionen, die das auf Grund der ihnen gestellten politischen und wissenschaftlichen trachtet werden, allerdings unter recht ungünstigen äußeren Bedingungen.

Kaum mehr bekannt ist, daß einer der bekanntesten Kommunistenführer Skandinaviens, der Däne Axel Lar-sen, der bereits im Jahre 1932 Vorsitzender der KP Dänemarks und Mitglied des Folketingets geworden war, sich 1956 schärftens gegen das Vorgehen der Sowjetführung in Ungarn wandte. Er forderte schon damals die Möglichkeit der freien Entfaltung kommunistischer Parteien auf Grund nationaler Gegebenheiten und unabhängig von Moskau und wurde deshalb aus der Partei ausgeschlossen. Axel Larsen gründete darauf die „Sozialistische Volkspartei“, die bei der Parlamentswahl im November 1960 im ersten Anlauf elf Mandate erobern konnte, während die moskautreue KP nur noch ein Prozent der Wählerstimmen erhielt und alle ihre Sitze verlor. Axel Larsen, der vor einigen Jahren gestorben ist, kann als einer der ersten entschiedenen „Eurokommunisten“ bezeichnet werden.

War es in Dänemark das Vorgehen Aufgaben tun mußten, hatten keine Veranlassung, ihre Beobachtungen der breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen.

Zu den Folgeerscheinungen dieser teilweise auf eine totale Interesselosigkeit .zurückzuführenden Unkenntnis, muß die Haltung der unabhängigen Presse Westeuropas zur politischen Situation Finnlands gerechnet werden. Dort hatte sich - im Gegensatz zur alten marxistischen Klassenkampfbewegung - schon relativ frühzeitigeine kommunistische Bewegung durchgesetzt, die den Typ einer scheinbar moderneren demokratischen Volkspartei anstrebte. Die Bildung des „Volksdemokratischen Verbandes für das Volk Finnlands“ kann -wenn man so will - als einer der ersten Versuche einer Hinwendung zu einer „eurokommunistischen Linie“ beder Sowjetunion in Ungarn, die zu einer Aufsplitterung der Kommunisten führte, gab in Schweden der Einmarsch der Ostblocktruppen in die 6SSR 1968 den Anlaß zu einer ähnlichen Distanzierung von der.Politik der tKPdSU. Der damalige Führgr.„der .,. „Vänsterpartei der Kommunisten“, C. H. Hermansson, kritisierte nicht nur das sowjetische Vorgehen gegen Prag außerordentlich scharf, er verlangte sogar - als einziger der schwedischen Parteiführer - den Abbruch der diplomatischen Beziehungen Schwedens mit der Sowjetunion: „Demokratie und Sozialismus sind untrennbar miteinander verbunden“, sagte Hermansson bei einer Gelegenheit, „und ein Land, das die demokratischen Freiheiten mißachtet und das nationale Selbstbestimmungsrecht mit Füßen tritt, hat kein Recht, sich einen sozialistischen Staat zu nennen.“

Während es jedoch im Falle Dänemarks noch möglich war, den gegen die Moskauer Linie rebellierenden Parteiführer auszuschließen - mit dem Preis des Zusammenbruches der Partei -mußten sich die Alt-Kommunisten Schwedens der neuen Linie der Parteiführung zähneknirschend fügen. Erst im Frühjahr 1977 kam es zur Abspaltung der stalinistischen Gruppe von der VPK und zur Gründung einer „Kommunistischen Arbeiterpartei“, die jedoch nur in der Hafenstadt Göteborg und im Grubendistrikt Nordschwedens nennenswerte Stützpunkte besitzt. Es scheint ausgeschlossen, daß diese altkommunistische Splittergruppe noch einmal einen Parlamentssitz erringen kann. Die überwiegende Mehrheit der KP tritt zweifellos für die „eurokommunistische“ Linie ein.

Daß Hermansson schon in den sechziger Jahren „eurokommunistische“ Ideen vertrat, weist Kommunismus-Kenner Wolfgang Leonhart in einer vor kurzem herausgekommenen großen Studie - „Eurokommunismus, Herausforderung für Ost und West“ (Bertelsmann, München) - nach. Leonhard behauptet, daß die Führung der KP Schwedens schon lange vor den bekannter gewordenen Italienern zum Verhältnis Sozialismus und Demokratie Wegweisendes gesagt habe. Es lag nur an den angeführten Umständen, daß dies außerhalb des Nordens kaum beachtet worden ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung