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Linksruck im Norden

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Vor den letzten Parlamentswahlen in Schweden, im Flühherbst 1964, gab es keinen führenden Sozialdemokraten, der den Kommunisten irgendeine Erfolgschance zugestanden hätte. Man erwartete für die kleine KP höchstens vier Mandate in der Zweiten Kammer, und für die intensive Auswertung der Preisstei-gerunigswelle durch ihre Wahlredner zeigte man auf seifen der Arbeiterpartei kaum eine Spur von Interesse: Man hatte bereits 113 von 231 Mandaten, und die Wahlmacher der Partei rechneten mit weiteren vier bis fünf und damit mit der Eroberung der absoluten Majorität!

Das Resultat dieser Gleichgültigkeit und Selbstüberschätzung war, daß man ein Mandat einbüßte und dadurch die Majorität bei den wichtigen gemeinsamen Abstimmungen der beiden 'Kammern verlor. Die Kommunisten nahmen der Arbeiterpartei und den Konservativen je ein Mandat ab und eroberten auch noch das neu hinzugekommene Mandat. Weit mehr als früher hängt es nun von ihnen ab, ob die regierende Arbeiterpartei in beiden Kammern niedergestimmt werden wird oder nicht.

Wer nun glaubte, daß es sich hier um einen nur zufälligen und kurzfristigen Erfolg handelte, der vor allem dem geschickten Auftreten des neuen Kommunistenführers Carl-HenriJc Hermansson zuzuschreiben war, konnte in den letzten Wochen einige neue unangenehme Überraschungen erleben: Sieben Monate nach den Parlamentswahlen eroberten die Kommunisten in einer ganzen Reihe von wichtigen Gewerkschaften die Mehrheit und besetzten damit in diesen Organisationen alle wichtigen Positionen!

Im Zuge dieses Linkstrends gerieten große Lokalverbände der Bauarbeiter, der Transportarbeiter, der Hafenarbeiter und der Grubenarbeiter Lapplands in die Hände von kommunistischen Parteigängern. Diese Erscheinung beobachtete man in so wichtigen Städten wie Stockholm, Göteborg, Trollhättan und Kiruna. Die Zentralleitung der Gewerkschaften, aufgeschreckt aus ihrem selbstzufriedenen Dornröschenschlaf, alarmierte die sozialdemokratischen Funktionäre der Gewerkschaften und mahnte zu größerer Wachsamkeit. Doch die Warnungen fielen auf steinigen Boden, und noch mehr der Mitglieder gingen hin und wählten kommunistisch!

In einem Artikel, betitelt „Sozialdemokratische Erfolge“, beschäftigte sich dieser Tage das Zentralorgan der Gewerkschaften „Stockholms Tidningen“ mit einigen Gewerkschaftswahlen, die für die Sozialdemokraten im großen und ganzen gut ausgegangen waren, mußte jedoch sogar in diesem Erfolgsbericht folgende Wahlergebnisse mitteilen:

• In der großen Betonarbeitergewerkschaft Stockholms stimmten bei den Vonstandswahlen 64 Prozent der Mitglieder für die Kommunisten, die alle Posten des Vorstandes besetzen konnten.

• Bei den Maurern brachte die Wahl eine kommunistische Mehrheit von 60 Prozent der abgegebenen Stimmen. Auch hier ist nun die gesamte Leitung kommunistisch.

• Die Rohrarbeiter wählten mit knapp 52 Prozent aller abgegebenen Stimmen eine von den Kommunisten aufgestellte Gegenliste. Noch bei der letzten Wahl hatten die Sozialdemokraten hier 55 Prozent aller Stimmen erhalten.

InSolna bei Stockholm und in der Hafenstadt Gävle haben Gruppen von Transportarbeitern den sozialdemokratischen Verband geschlossen verlassen und sich der syndikalistischen Organisation angeschlossen. In Värnamo war derselbe Vorgang bei den Bauarbeitern zu beohachten, die nun eine Ortsgruppe der Syndikalisten gebildet haben. Eine ganz besondere Bedeutung haben jedoch die kommunistischen Wahlerfolge in den großen Grubenorten des Nordens, vor allem in Kiruna.

Sucht man nach den Ursachen, dann erhält man immer wieder dieselben Antworten: Unzufriedenheit mit der Preispolitik der Regierung, Unzufriedenheit darüber, daß die Gewerkschaftsleitung nicht einmal den Versuch machte, diese Preissteigerungen aufzuhalten. Oft wird klar ausgesprochen, daß man nicht über den sogenannten Kollektivanschluß der Gewerkschaft die Arbeiterpartei finanziell unterstützen wolle. Außerordentlich enttäuscht ist man auch darüber, daß die Betriebsräte in den Unternehmen nicht den geringsten Einfluß gewinnen konnten, daß sie von wichtigsten Entscheidungen oft nicht einmal informiert werden und daß die Leitung der Gewerkschaftszentrale sich dagegen ausgesprochen hat, Gewerkschaftsmitglieder in die Betriebsleitungen zu entsenden.

Im Norden hat man die schweren Krisenj ahre und die Gleichgültigkeit Stockholmer Zentralstellen für die Bedürfhisse der Bevölkerung des Hohen Nordens nicht vergessen. Hier gab es immer starke kommunistische Gruppen, und noch bei der letzten Parlamentswahl konnten sie gut -16 Prozent aller Stimmen erreichen. Die Zuwanderung aus dem „roten“ nördlichen Finnland führt den kommunistischen Gruppen immer wieder neues Blut zu.

Von diesen wirtschaftlich armen Gebieten abgesehen, gewinnen jedoch die Kommunisten eigentümlicherweise in den sozial am besten gestellten Arbeitergruppen am leichtesten Eingang: Die Bauarbeiter, die Transportarbeiter, die Taxifahrer und die Grubenarbeiter verdienen weit über dem Durchschnitt der Arbeiterlöhne. Hier entsteht ein schwerwiegendes Problem, dem die Arbeiterpartei zur Zeit ebenso hilflos wie offenbar auch verständnislos gegenübersteht!

Wie werde ich salonfähig...

Die soziale Struktur ist bei der Anhängerschaft der schwedischen KP eine wesentlich andere als etwa bei den „Volksdemokraten“ Finnlands. In Finnland sind es die Notstandsgebiete des mittleren und hohen Nordens, aus denen die hohen Abstimmungsergebnisse kommen, in Schweden sind es dagegen vor allem die Kategorien der am besten bezahlten Facharbeiter, die der kommunistischen Propaganda am leichtesten zugänglich sind. Und neben ihnen fällt die große Zahl der Intellektuellen und Künstler auf, die sich unter den Sympathiseuren befindet. Eine lange Reihe von schwedischen Schriftstellern (Moa Martinsson, Ivar Lo-Johansson, Erik Blomberg, Folke Fridell und Artur Lundquist) haben in Rußland hohe Auflagen erreicht und zum Teil sind sie auch über den russischen Sprachraum erst international bekanntgeworden. Die Kinderbuchverfasserin Astrid Lindgren, hat in der Sowjetunion außerordentliche Erfolge zu verzeichnen; Artur Lundquist, Träger des Lenin-Preises, ist einer der Vorsitzenden im Weltfriedensrat, der Ende April eine seiner Konferenzen in Stockholm abhielt. Diese Werbung um die Intellektuellen wirkt sich natürlich im Laufe der Zeit aus, auch dann, wenn sie keineswegs mit einer plumpen kommunistischen Proselytenwer-bung verbunden ist.

Eine Folge dieser vielfachen kulturellen Kreuz- und Querverbindungen ist jedoch auch, daß die Kommunisten und ihre vornehmsten Repräsentanten in Schweden richtig salonfähig geworden sind. Carl-Henrik Hermansson erschien allein seit der letzten Parlamentswahl häufiger im schwedischen Fernsehen als sein Vorgänger in sechs Jahren! Er wird von einem Teil der bürgerlichen Presse sehr hochachtungsvoll und durchaus nicht feindselig behandelt. Er distanziert sich bei jeder Gelegenheit von der alten stalinistischen Ideologie, bezweifelt sogar die Existenzberechtigung einer kommunistischen Internationale und hält die Firmenbezeichnung „Kommunistische Partei“ für nicht recht zutreffend. Der Weg für das Einschwenken in eine opportunistische linkssozialistische Richtung etwas verschwommener Art liegt frei.

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