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Der Grundtenor ist europafreundlich

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Europa ist noch nicht geboren, hat aber doch ein erstes kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben. Denn 120 Millionen Urnengänger bei den ersten europäischen Direktwahlen straften alle jene lügen, die diesem Wahlgang von vornherein mangelndes Publikumsinteresse prophezeiten. Ja das Endergebnis dieser EG-Wahlen zeigt sogar deutlich, daß der Grundtenor innerhalb der Wählerschaft der Neunergemeinschaft durchaus proeuropäisch ist.

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Europa ist noch nicht geboren, hat aber doch ein erstes kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben. Denn 120 Millionen Urnengänger bei den ersten europäischen Direktwahlen straften alle jene lügen, die diesem Wahlgang von vornherein mangelndes Publikumsinteresse prophezeiten. Ja das Endergebnis dieser EG-Wahlen zeigt sogar deutlich, daß der Grundtenor innerhalb der Wählerschaft der Neunergemeinschaft durchaus proeuropäisch ist.

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Freilich, rund 61 Prozent Wahlbeteiligung in den neun EG-Staaten sind, gemessen an der Zahl der Urnengänger bei den jeweiligen nationalen Wahlen, eher dürftig (siehe Graphik). Doch, ruft man sich in Erinnerung, wie oberflächlich und nichtssagend die Wählkampagnen in den einzelnen Ländern waren, wie stark die europafeindlichen Kräfte zum Teü in Erscheinung getreten waren, wie schwach das Europäische Parlament mit Kompetenzen ausgestattet wurde, muß diese Wahl als ein Votum für Europa angesehen werden.

Dafür lassen sich auch andere Gründe anführen:

• In allen EG-Staaten mit Ausnahme Dänemarks haben die europafreundlichen Parteien am besten abgeschnitten, die antieuropäischen Kräfte schwere Niederlagen einstekken müssen. Zwei herausstechende Resultate dafür sind die Wahlergebnisse aus Großbritannien und Frankreich:

Die britische Labour Party, in der eine tiefe antieuropäische Grundstimmung vorherrscht, hat mit ihren permanenten Austrittsdrohungen nicht nur die Kontinentaleuropäer vor den Kopf gestoßen, sondern offensichtlich auch ihre eigenen Landsleute. 33 Prozent der Stimmen und nur 17 von 81 Mandaten sind ein vernichtendes Zeugnis, das die Briten der Europa-Politik von Labour ausstellen.

Allerdings - die Briten sind das Volk mit der geringsten Europabegeisterung geblieben: 32 Prozent Wahlbeteiligung spricht nicht gerade dafür, daß die Europa-Idee in breiten Schichten des Insel-Volkes auf ein positives Echo stößt.

Dennoch: Auch die britischen Wähler stimmten proeuropäisch, fühlten sich am stärksten zu den Konservativen Margret Thatchers hingezogen, die der Politik der EG zwar auch mit einem kräftigen Schuß an kritischer Zurückhaltung gegenüberstehen, den Europa-Gedanken an sich aber durchaus bejahen.- Die Wähler honorierten diese Einstellung mit 50,6 Prozent der Stimmen (60 Mandate).

In Frankreich ein ähnliches Bild: Jene zwei Parteien, die der europäischen Integration die positivste Grundeinstellung entgegenbringen, die Giscardisten und die Sozialisten, sind die Gewinner dieser Wahlen. Giscard d'Estaings Gefolgsleute werden mit 25 Parlamentariern (27,5 Prozent) in das Europäische Parlament nach Straßburg einziehen, die Sozialisten erreichten 22 Mandate (23,5 Prozent).

Entsprechend schlecht erging es den anderen zwei großen politischen Gruppierungen Frankreichs, die mit antieuropäischen Parolen die Trumpf-Karten für diese Wahlen in den Händen zu haben glaubten: den Kommunisten und den Gaullisten. Dabei können sich die Kommunisten mit ihrem Ergebnis (20,6 Prozent/19 Sitze) noch sehen lassen.

Gaullistenchef Jaques Chirac nahmen es die Franzosen aber ganz besonders übel, daß er durch sein antieuropäisches Engagement praktisch einen stillen Schulterschluß mit KPF-ChefMarchaiseingegangenwar. Die Quittung kam prompt: Nur 16,2 Prozent der Stimmen, nur 15 Sitze für die Gaullisten, die in der nationalen Volksvertretung Frankreichs immerhin die stärkste Fraktion bilden.

Der Trend zu den europafreundlichen Parteien ist auch in allen anderen EG-Staaten erkennbar, überraschen muß nur - wie erwähnt - das Ergebnis aus Dänemark. Dort konnten die Gegner der EG fünf Mandate für sich gewinnen, was vielfach als dänisches Votum gegen Europa interpretiert winde. Dem muß aber entgegengehalten werden, daß die zu Europa positiv eingestellten dänischen Parteien mit zehn Mandaten ja immerhin um die Hälfte mehr Sitze eroberten. Und noch eines:

„Für einen Gegner des europäischen Zusammenschlusses wäre es eigentlich konsequent gewesen, der

Wahl überhaupt fernzubleiben. In der Entsendung von Gegnern und Kritikern drückt sich bereits die Anerkennung einer Wirklichkeit aus, die nicht mehr rückgängig zu machen ist“, kommentierte die „Süddeutsche Zeitung“ den dänischen Wahlausgang und wußte so der dänischen Negation durchaus eine positive Seite abzugewinnen. • Die Wähler in den neun EG-Staaten scheinen doch nicht nur nationale Gesichtspunkte bei ihrer Entscheidung über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments berücksichtigt, sondern den übernationalen Charakter des Urnengangs durchaus verstanden zu haben. Daß sie bei dieser Abstimmung nicht so sehr auf innenpolitische und innerparteiliche Umstände Rücksicht nahmen, zeigt doch ein beträchtliches Maß an europäischem Selbstverständnis und politischem Bewußtsein. Auch dafür Beispiele:

In der Bundesrepublik Deutschland konnte die CDU/CSU-Opposition bei den Europawahlen mit 49,2 Prozent der Stimmen (42 von 81 Sitzen) einen klaren Erfolg erzielen. Er kam umso überraschender, weil man damit rechnete, daß das permanente Gerangel um den Kanzlerkandidaten für die nächsten Bundestagswahlen der Union bei den Europawahlen schaden würde. Nichts dergleichen.

Verlierer sind hingegen die Koalitionspartner SPD und FDP. Die Sozialdemokraten bleiben mit 40,8 Prozent (35 Sitze) unter ihrem Bundestagswahlergebnis von 1976, die Freien Demokraten gingen gar von 7,9 auf 6 Prozent (4 Sitze) bei diesen Europawahlen zurück. Angesichts der Persönlichkeiten, mit denen sich die Sozialdemokraten für das Europaparlament präsentierten, muß diese Wahl für sie eine herbe Enttäuschung sein. Ebenso, daß sie im Gegensatz zur CDU/CSU ihr Wählerpotential nicht in dem Maße mobilisieren konnten, daß sie ohne ein blaues Auge aus dem Europa-Wahlsonntag hätten aussteigen können.

Hingegen konnten die Sozialdemokraten bei den gleichzeitig in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland abgehaltenen Kommunalwahlen geradezu erdrutschartige Stimmengewinne für sich verbuchen, während die CDU schwere Niederlagen einstecken mußte. Was vielleicht am besten zeigt, daß die Wähler sehr wohl zwischen europäischen und nationalen Sachverhalten zu unterscheiden wußten.

In Italien zeigt eine andere Tatsache politische Reue: die hohe Wahlbeteiligung von 86 Prozent Genauso wie in Belgien und Luxemburg herrschte hier Wahlpflicht. Dennoch überrascht, daß nur knapp viereinhalb Prozent weniger Italiener zur Urne gingen als bei den Parlamentswahlen eine Woche vor dem Europawahlgang. Das beweist: Den meisten Italienern hegt ein geeintes Europa sehr am Herzen.

Ein Trend hat sich bei diesem Europawahlergebnis in unserem südlichen Nachbarland seit den Parlamentswahlen bestätigt: Die Mittelparteien erhielten Zulauf, die beiden großen Parteien, Democrazia cri-stiana und Kommunistische Partei, mußten Einbußen in Kauf nehmen. Hier haben also die zeitlich kurz aufeinanderfolgenden Wahlgänge sicherlich bewirkt, daß nationale Uber-legungen in die Europawahl mit hineinspielten. Aber auch hier haben jene Parteien Stimmen gewonnen, die durch ein starkes proeuropäisches Engagement aufgefallen sind: Bettino Craxis Sozialisten etwa, die elf Prozent gegen 9,8 bei den Parlamentswahlen erreichten.

Was am gesamteuropäischen Wahlergebnis noch auffällt, ist der Trend hin zu den Christlichen Demokraten und Konservativen, die mit 170 Mandaten noch um 15 die 111 sozialistischen und 44 kommunistischen übertreffen. Daß das von den deutschen Sozialdemokraten propagierte „Europa der Arbeiter“ nicht zustande gekommen ist, hegt aber sicher zu einem ganz wesentlichen Teil am katastrophalen Abschneiden der britischen Labour Party. Dazu kommt, daß die Christlichen Demokraten und Konservativen ein beträchtlich größeres Reservoir treuer Anhänger als Sozialisten und Sozialdemokraten haben dürften.

Doch engere Beziehungen zum eigenen Wählerpotential und die positive Grundhaltung zu Europa allein waren es nicht, die Christhchen Demokraten und Konservativen dieses gesamteuropäisch so erfreuliche Ergebnis bescherten. Der Trend in den neun EG-Staaten scheint wieder mehr hin zum freien Spiel der Kräfte, weg vom ständigen Streben nach sozialpolitischen Experimenten zu gehen. Davon aber schon eine konservative Tendenzwende im gesamten Bereich der EG abzuleiten, wäre zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich verfrüht.

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