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Koalition ist an der Kernfrage gescheitert

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Es war der Tag, an dem die Wirtschaftsprognosen' bewiesen, daß Schweden dabei ist, den Weg aus der Krise zu finden. Es wurde der Tag, an dem die Regierung fiel, die das zustandegebracht hatte. Schwedens bürgerliche Drei-Parteien-Regierung mußte zwei Jahre und drei Tage nach ihrem Amtsantritt den Abschied nehmen. Sie scheiterte an jener Kernfrage, die ihr einst den Sieg und seither viel Kopfzerbrechen beschert hat: an der Kernkraftfrage.

Der Bruch der Koalition hatte sich angebahnt, als wenige Wochen nach dem bürgerlichen Wahlsieg das erste Mal ein Kompromiß zwischen dem atomfeindlichen bäuerlichen Zentrum Thorbjörn Fälldins und den atomfreundlichen Partnern, , den Konservativen und Liberalen, gefunden werden mußte?. Der Bruch kam näher, als die schwedische Atomindustrie erklärte, das Sicherheitsproblem der Abfallaufbewahrung durch die Bergung der Brennstäbe in kilometertiefen Schächten in nordschwedischer Erde gelöst zu haben.

Konservative und Liberale, die zuvor dem Sicherheitsstreben Fälldins noch Verständnis entgegengebracht hatten, hielten damit den Zeitpunkt für gekommen, endgültig grünes Licht für die Kernkraft zu geben. Das hätte bedeutet: Bestätigung der sechs aktiven Reaktoren, Inbetriebnahme von zwei weiteren fertigen und Fertigstellung der derzeit „im Schneckentempo“ aufgeführten Kraftwerke bis zu Nummer elf- Mit der Wahlkampfforderung des Zentrums nach Stopp für Atomkraft hatte das freilich nicht mehr viel zu tun.

Daß dennoch niemand an den Bruch glauben wollte, hing mit Schwedens politischer Tradition zusammen, Die bürgerliche Regierung war die erste nach 44 Jahren sozialdemokratischer Herrschaft. Ein vorzeitiges Ende dieses so lange vergeblich angestrebten Versuches schien fast unvorstellbar. Doch nach zwei Jahren der Kompromisse war die Glaubwürdigkeit der Regierung auf-

gebraucht. Nochmals neigte Fälldin zum Aufschub der Entscheidung, doch sein Parteikollege, Energieminister Olof Johansson, der seinerseits mit der Erklärung „Ich habe diesen Job übernommen, um die Kernkraft zu stoppen“ in sein Ministerium eingezogen war, drängte auf eine harte Linie.

Als Fälldin dann ein eben ausgehandeltes Abkommen mit den Regierungspartnern wieder in Frage stellte und das Volk über die Atomkraft entscheiden lassen wollte, war beim konservativen Gösta Bohman und dem liberalen Ola Ullsten das Vertrauen in die Zusammenarbeit auf der bisherigen Basis so tief erschüttert, daß sie den Bruch einem weiteren faulen Kompromiß vorzogen.

Ministerpräsident wird jetzt zunächst Ola Ullsten werden, der liberale Parteivorsitzende, der erst vor wenigen Monaten, als Per Ahlmark zurücktrat, an die Spitze seiner Fraktion getreten ist. Neuwahlen sind nicht im Gespräch; sie sind auch nicht nötig, um eine entscheidungskräftige Regierung zustandezubringen. Das Zentrum wird Liberale und Konservative in allen Fragen unterstützen außer der Atomkraft - dort aber können die übriggebliebenen Zwei aus der Koalition mit der Unterstützung der Sozialdemokraten rechnen.

Wichtiger als die Frage nach der Regierung bis zum fälligen Wahltermin am dritten Septembersonntag 1979 ist der Blick in die fernere Zukunft. Wird es je wieder eine „bürgerliche Alternative“ zum sozialdemokratischen „schwedischen Modell“ geben, nachdem der erste Versuch vorzeitig und ziemlich kläglich ge-scheitert ist? Gösta Bohman, der konservative Parteiführer, gibt sich betont optimistisch: In allen anderen Fragen seien die bürgerlichen Parteien einig gewesen und hätten gute Arbeit geleistet. Schwedens Inflationstakt ist verlangsamt, das Wirtschaftswachstum ist wieder aus dem Minusbereich gekommen, und die Industrie gewinnt verloren gegangene Marktanteile langsam zurück.

Es war der Plan Bohmans, des Wirtschaftsministers, in der ersten Hälfte der Legislaturperiode mit harten Maßnahmen an der Wirtschaftssanierung zu arbeiten, um dann in der letzten Frist vor den nächsten Wahlen positive Resultate vorlegen zu können. Die Atomfrage hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem sie - viel zu sehr - in In- und Ausland die Blicke von der Wirtschaftspolitik ab - und auf jenen Bereich gelenkt hatte, in dem die Regierung nichts Produktives zu bieten hatte.

Bohman glaubt, daß es 1979 trotz allem einen bürgerlichen Wahlsieg geben kann und auch wieder eine Drei-Parteien-Koalition. Fälldin ist weit skeptischer. Er scheint an ein Wiedererstehen der bürgerlichen Kooperation nicht zu glauben. Offen ist noch, wohin die Liberalen sich wenden werden. Im liberalen „Fußvolk“ war der Pakt mit den Konservativen nie sehr behebt. Es gibt jetzt nach dem Scheitern der Koalition laute Stimmen, die eine Orientierung nach links zur Sozialdemokratie nach Bonner Vorbild fordern.

Die Ubergangsregierung bis zu den nächsten Wahlen kann einen Fingerzeig geben, für welchen Weg sich Schwedens Liberale entscheiden werden. Bilden sie gemeinsam mit den Konservativen die „stärkstmög-liche bürgerliche Regierung“, wie Gösta Bohman es sofort vorgeschlagen hat, dann halten sie wohl auch später an der bürgerlichen Zusammenarbeit fest. Die Parteispitze tendiert in diese Richtung.

Setzt sich die Basis und die liberale Presse durch, dann bildet Ullsten eine rein liberale Regierung, der Olof Palme schon das Wohlwollen der Sozialdemokraten zugesichert hat. Dann wäre nach den nächsten Wahlen ein „Lib-Lab-Bündnis“ möglich. Dann könnte es Ullsten aber auch passieren, daß er sich zwischen zwei Sessel setzt. Denn derzeit seht es so aus, als könnte Olof Palme ohne jede fremde Hilfe wieder in den Regierungspalast einziehen. -' ' HANNES KOCH HANSEN

durch stillen Zufluß von der SPD wieder ausgeglichen wurde. Wie weit dabei der Mitleidseffekt zugunsten der bei den letzten Wahlen hart gebeutelten Liberalen zu Buche schlug, wird sich wohl kaum genau aufschlüsseln lassen.

Etwas anderes hingegen liegt weitaus deutlicher auf der Hand: Die bis dato stärkste Konkurrenz der FDP, die grünen Umweltschutz-Parteien, blieben weit hinter den Erwartungen zurück.

Die Tatsache, daß für die CDU das Wählerpotential in Hessen offenbar erschöpft ist, hat längerfristige Bedeutung. Dregger hat das schier Unglaubliche geschafft, im Lauf von 15 Jahren die Union in Hessen aus dem Ghetto der 25 Prozent herauszuführen und zur stärkste^ Partei zu machen. Bei der letzten Landtagswahl 1974 führte man den grandiosen Erfolg der CDU noch darauf zurück, daß die SPD mit ihrem damaligen Ministerpräsidenten Osswald in alle möglichen Skandale verstrickt, auch

für viele SPD-Anhänger nicht wählbar gewesen sei. Jetzt hat sich gezeigt, daß auch ohne Osswald und ohne Skandale für die CDU 46 Prozent der Stimmen verblieben sind. Mehr als das zu holen erscheint im Augenblick nicht möglich.

Während SPD und FDP zufrieden und glücklich über das Ergebnis ihren Geschäften nachgehen, rauchen in der Union die Köpfe. Die frustrierende Erkenntnis, daß es bei der jetzigen Struktur des Drei-Parteien-Systems und angesichts der dauerhaften Bindung der FDP an die SPD zu einem Machtwechsel nicht ausreicht, wenn man zwar als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgeht, aber nicht die absolute Mehrheit schafft, läßt inzwischen auch jene in der Union über eine Veränderung dieser Struktur nachdenken, die bisher eine bundesweite Ausbreitung der CSU weit von sich gewiesen haben.

Nach Beendigung der Landtagswahlserie, die mit Bayern an diesem Sonntag sich fortsetzt und im April des nächsten Jahres in Schleswig-Holstein zunächst aufhört, wird die Entscheidung über die sogenannte Vierte Partei fallen. Ob sie der Union dann endlich die ersehnten absoluten Mehrheiten verschaffen kann, weiß niemand. Aber sie wird die Parteienstruktur gründlich verändern.

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