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Der Blick nach rechts

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Die lange, unwürdige und schließlich fast in einen Skandal ausartende Diskussion um die Kanzlernachfolge ist beendet. Ludwig Erhard hat sich eindeutig durchgesetzt. Seine erfolgreiche Vermittlung im größten Lohnkonflikt seit 1945 und der Wahlsieg der CDU in Niedersachsen am 19. Mai haben ihm einen Nimbus eingetragen, den ihm niemand mehr nehmen kann. Erhard hat damit die letzten, für ihn nicht ungefährlichen Klippen umschifft. Die Entscheidung ist rascher und eindeutiger gefallen, als viele und wahrscheinlich auch er selbst angenommen haben.

Es ist schwer, zu entscheiden, was für Erhard wichtiger war: seine Schlichtung im Lohnkonflikt oder der Ausgang der Wahlen in Niedersachsen. Das eine hat ihm große Sympathien in allen Teilen der Bevölkerung eingetragen; das andere dürfte wohl sein Durchbruch in der Anerkenunng innerhalb der eigenen Partei gewesen sein. Die von Adenauer immer wieder genährten Zweifel an seinen Fähigkeiten sind verstummt. Dazu hat insbesondere das für die CDU günstige niedersächsische Wahlergebnis beigetragen.

Zünglein an der Waage

Die CDU stand in Niedersachsen nämlich vor einer bösen Niederlage, an der lokale Verhältnisse und die allgemeine Krise der Partei gleich schuld waren. Daher drängten auch die Niedersachsen besonders auf die Lösung der Kanzlerfrage vor dem Wahltag. Die CDU hat in Niedersachsen gegenüber den Landtags wählen von 1959 6,9 Prozent oder elf Mandate gewonnen und damit sogar die Zunahme der SPD übertrumpft, die 5,4 Prozent oder acht Mandate gewannen. Auch die FDP kann auf ein günstiges Ergebnis hinweisen. Sie erhielt 3,6 Prozent oder sechs Mandate mehr als 1959. Alle drei Parteien haben also von dem Zerfall der Flüchtlingspartei, des BHE und der Heimatpartei, der Deutschen Partei profitieren können, die 1959 zusammen mit anderen Splitterparteien noch 29,7 Prozent oder fast ein Drittel aller Stimmen auf sich hatten vereinigen können. An diesem Ergebnis ist sicher auch die Konfussion um BHE und DP schuld, die sich 1961 vereinigt hatten, um diesmal wieder getrennt aufzutreten. Nur noch 6,4 Prozent entschieden sich für beide Parteien, die 1959 noch zusammen 20,7 Prozent erhalten hatten. Die Vereinigung der beiden Parteien war 1961 nur von zwei der insgesamt zwanzig Mann starken DP-Fraktion im niedersächsischen Landtag mitgemacht worden. Die 18 anderen traten der CDU bei, die damit vorübergehend mit 69 Mandaten die stärkste Partei im nieder-sächsischen Landtag war. Sie hat demgegenüber, wie die SPD hervorhebt, trotz des günstigen Wahlergebnisses rieben Mandate verloren, das heißt, es ist ihr nicht geglückt, alle Anhänger der konservativen Deutschen Partei zu gewinnen. Die SPD wertet ihren Erfolg um so höher, als es ihr gelang, 59 Direktmandate, vier mehr als 1959, zu erhalten, während die CDU nur 25 und die FDP erstmals ein Direktmandat gewinnen konnten.

Mit ihren 14 Mandaten ist die FDP nun auch in Niedersachsen in der Lage, das Zünglein an der Waage zu spielen. Ohne sie ist, wie in Rheinland-Pfalz, eine Regierungsbildung unmöglich. Mit ihrer Hilfe kann die CDU, die stärkste Partei, die SPD

majorisieren, auch wenn eine solche Koalition nur über die knappe Mehrheit von drei Mandaten verfügen würde.

Es wird sich aber erst zeigen müs-

sen, ob das Dreiparteiensystem auf die Dauer für die FDP nicht zum Danaergeschenk wird. Sie verdankt zwar dem Verschwinden der kleinen Parteien eine Zunahme von durchschnittlich 1 bis 3 Prozent, aber die Rolle des Züngleins an der Waage zwischen zwei fast gleich starken Parteien gibt ihr doch ein unnatürliches Übergewicht Selbst, wenn ihr diese Rolle eine weitere Zunahme auf 10 bis 12 Prozent brächte, würde dies der Diskussion um das Mehrheitswahlrecht, die eine tödliche Bedrohung für die FDP ist, nicht ihr stärkstes Argument, die unverhältnismäßig große Rolle der kleinsten Partei nehmen. Solange noch eine weitere Partei, wie der BHE existierte, konnte die Rolle der FDP als Zünglein an der Waage nie so aufreizend wirken und so ausgeprägt sein, wie jetzt, da sie sich nach jeder Wahl in der angenehmen Lage sieht, mit beiden Parteien Verhandlungen aufnehmen zu können und nach den günstigsten Bedingungen die Koalition zu vereinbaren.

Keine Splitterparteien mehr

Die weiter ausgebaute Schlüsselstellung der FDP ist jedoch nur die eine Seite der-politischen Entwicklung in der Bundesrepublik nach den Bundestagswahlen vom September 1961. Di Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Hessen, Bayern, Berlin, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, denen erst in Jahresfrist die Landtagswahlen in Württemberg-Baden folgen werden, gestatter eine genauere Analyse. Die Ergebniss zeigen insgesamt einen starken Anstieg der SPD, deren Anhänger siel weiter in ihrer sozialen Zusammensetzung kaum von denen der CDU unterscheiden dürften, nur mit dem Unterschied, daß in der SPD die Arbeitei und in der CDU die Bürgerlichen der Wählerstamm bilden.

Wieder „bürgerlich“?

Die CDU hat ihren Stimmenanteil da verbessern können, wo 1958/59 die kleineren Parteien noch eine beträchtliche Anhängerschaft hatten. Diese Aufsaugbewegung bürgerlicher Splitterparteien dürfte nun beendet sein. Lediglich in Bayern haben die Skandale um den Landesvorsitzenden der CDU. Franz Joseph Strauss, der Bauernpartei noch einmal eine Gnadenfrist gegeben.

In Ländern, in denen es kein Reservoir von sich auflösenden Rechtsparteien gab, waren die Verluste der CDU zum Teil erheblich, wie in Berlin und Hessen, wo die CDU jeweils ein Fünftel ihrer Stimmen einbüßte. Zieht man das Fazit, so geht aus diesen Ergebnissen eine nicht unwesentliche Verschiebung innerhalb der CDU hervor.

die auch durch andere Symptome bestätigt wird. Während es der CDUCSU bei den Bundestagswahlen 1953 und 1957 gelang, weite Teile der Arbeiterschaft zu gewinnen, hat sie seit 1961 diese Gewinne offensichtlich an die SPD wieder abgeben müssen, dafür aber in bürgerlichen Kreisen gewonnen, der sie früher als zuwenig konservativ erschienen war. Das heißt, die CDU hat sich vor der 1959 proklamierten Staats- und Volkspartei zur vorwiegend bürgerlichen Partei zurückentwickelt. Diese Entwicklung dokumentiert sich nach außen in zunehmender Pressefeindlichkeit und konservativ wehrfreudiger Haltung ebenso, wie in ihrer zunehmenden Empfindlichkeit gegen Kritik und den Hang zur Verketzerung anderer politischer

Ansichten. Der Feldzug ihres Geschäftsführers D u f h u e s gegen Kritiker der CDU in Presse, Funk und Fernsehen, wie er sich etwa in der durch die CDU-Rundfunkratsmitglie-

der des Norddeutschen Rundfunks erzwungenen Entlassung des für aktuellpolitische Fernsehsendungen des NDR zuständigen Redakteurs Paczensky zeigt, wäre vor wenigen Jahren noch innerhalb der CDU auf heftigsten Widerstand gestoßen. Paczenskys Entlassung wurde durch die Drohung er-

zwungen, andernfalls den Rundfunkrat durch Obstruktion beschlußunfähig zu machen. Eine sachliche Diskussion über seine Haltung hat dabei nicht stattgefunden.

Große Koalition unwahrscheinlich

Hat die CDU also einen Großteil ihrer Stimmengewinne aus der Arbeiterschaft verloren, so ist es and;rseits der SPD in zunehmendem Maß gelungen, bürgerliche Wähler zu gewinnen. Sie hat sich damit dem Ideal einer Volkspartei genähert und den Charakter einer Arbeiterpartei verloren. Diese Entwicklung dürfte im wesentlichen ebenfalls abgeschlossen sein. Die Persönlichkeit Erhards hat Ausstrahlung genug gewonnen, um ein weiteres Abwandern bürgerlicher Wähler zur SPD zu verhindern. Der seit 1957 andauernde Aufstieg hat die SPD zwar nahe an die CDU herangebracht, ihrem eigentlichen Ziel, der Ablösung der CDU in der Regierungsverantwortung ist die SPD aber nicht nähergekommen. Die aus den Wahlergebnissen hervorgehende fortschreitende Rechtsorientierung der CDU dürfte für derartige Koalitionsverhandlungen in der Zukunft ein großes Hindernis bilden. Während die SPD nämlich seit dem KPD-Verbot nach links keine Wähler verlieren und sich daher der

CDU nähern konnte, ist die CDU nicht zuletzt durch ihre neugewonnenen Wähler zu einem Rechtskurs gezwungen. Sie geht bei einer Koalition mit der SPD das Risiko ein, erhebliche Stimmen an die FPD zu verlieren und damit zur zweitstärksten Partei herabzusinken. Daher kann die CDU eine große Koalition nur eingehen, wenn die SPD der Einführung des Mehrheitswahlrechts zustimmt, das heißt darin einwilligt, daß die FPD aus dem politischen Kräftespiel gusgeschaltet wird.

Nur eine „kleine“ Koalition?

Daher ist es trotz aller Verärgerungen über die FDP innerhalb der CDUCSU unwahrscheinlich, daß es unter Erhard zu einer großen Koalition kommen wird. Sie birgt für die CDU größere Gefahren in sich, als sie eingehen kann. Das heißt aber, der SPD ist es nicht gelungen, in der langandauernden Agonie der Ära Adenauer die politischen Verhältnisse der Bundesrepublik zu ihren Gunsten umzugestalten. Es wird, wenn nicht ganr neue Faktoren auftreten, in den nächsten Jahren zu keiner Ablösung der CDU in der Regierungsverantwortung kommen. Der FPD wird weiterhin die Aufgabe zufallen, die antidemokratischen Tendenzen innerhalb der CDU/CSU zu

zügeln. Allein in der überzeugenden Bewältigung dieser Rolle liegt ihre Chance, zu überleben und der Ära Erhard einen anderen Stempel aufzudrük-ken, als sie die Ära Adenauer in zunehmendem Maß besaß. Die Persönlichkeit Erhards bürgt dafür, daß sie bei ihm mit diesen Bemühungen auf Verständnis stoßen wird.

So kann die angezeigte Entwicklung durchaus zur Festigung der Demokratie in Westdeutschland führen, die in Deutschland zu allen Zeiten durch nichts mehr gefährdet war als durch die jetzt unter die Fittiche der CDU geflüchteten konservativ-antidemokratischen Kräfte der bürgerlichen Rechten.

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