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Koalitionssteine

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In eine schwierige Lage hat der deutsche Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann die beiden Bonner Koalitionsparteien gebracht, als er seinen endgültigen Beschluß bekanntgab, nicht ein zweites Mal für das höchste Staatsamt zu kandidieren. Die SPD/ FDP-Koalition, in Sachfragen, wie etwa, der Mitbestimmung, oft genug nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommend, sah sich damit vor die Aufgabe gestellt, auch noch ein höchst schwieriges Personalproblem zu bewältigen.

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In eine schwierige Lage hat der deutsche Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann die beiden Bonner Koalitionsparteien gebracht, als er seinen endgültigen Beschluß bekanntgab, nicht ein zweites Mal für das höchste Staatsamt zu kandidieren. Die SPD/ FDP-Koalition, in Sachfragen, wie etwa, der Mitbestimmung, oft genug nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommend, sah sich damit vor die Aufgabe gestellt, auch noch ein höchst schwieriges Personalproblem zu bewältigen.

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Die Schwierigkeiten beginnen damit, daß keine der beiden Koalitionsparteien überzeugend beweisen kann, daß sie das alleinige Recht hat, den nächsten Bundespräsidenten zu stellen. Die SPD kann leichte Vorteile für sich verbuchen. Sie ist nicht nur die stärkste Partei, sondern reklamiert aus der bisherigen Geschichte des Bundespräsidentenamtes auch, daß ihr noch fünf Jahre eines sozialdemokratischen Präsidenten

zustehen. Denn sowohl der Liberale Heuss wie auch der CDU-Mann Lübke verwalteten ihr Amt zehn Jahre lang. SPD-Mann Heinemann beschied sich unter Hinweis auf sein vorgeschrittenes Alter (75) mit nur einer Amtsperiode. Lübkes zweite Amtszeit, von deutlichen Verfallserscheinungen gekennzeichnet, diente Ihm als Lehre. Die FDP hält sich an die „Rhythmus-Theorie“. Diese besagt, daß gemäß der bisherigen Parteizugehörigkeit der Bundespräsidenten — FDP, CDU, SPD —

wieder die FDP an der Reihe sei. SPD-Wehner konterte solche Ansprüche knallhart: „Das ist doch kein Ringelpietz!“

Eine harte Auseinandersetzung in der Präsidentenfrage können sich die Koalitionsparteien jedoch derzeit kaum leisten. Sie verfügen zwar in der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt und aus rund 1000 Bundestags- und Landtagsabgeordneten besteht, über die

absolute Mehrheit. Kämen FDP und SPD aber nicht zu einer gemeinsamen Lösung, so könnte ein von FDP und CDU/CSU gemeinsam gewählter Kandidat das Rennen machen. Eine solche Konstellation hat CDU-Vorsitzender Helmut Kohl schon im Frühsommer skizziert. Würde sie tatsächlich zustande kommen, würde es den Unionsparteien damit nicht nur gelingen, das Koalitionsbündnis zwischen Liberalen und Sozialdemokraten an einer entscheidenden Stelle zu brechen. Sie konnten in ei-

nem solchen Zusammengehen von Union und FDP auch ein Signal sehen, das ine Entsprechung in der Wahl Heinemanns hätte.

Damals, im März 1969 in Berlin, klappte erstmals das Bündnis von SPD und FDP. Damals legte Walter Scheel den Grundstein für die heutige Regierungskoalition. Im Mai 1974, diesmal infolge des Grundvertrages nicht mehr an Berlin, sondern in Bonn, sähen die Unionsparteien gerne einen entscheidenden Schritt zur Koalition von CDU/CSU und FDP getan; auf jene Koalition zu, die von der FDP zwar derzeit noch heftig abgelehnt, von den Unionsparteien aber mit Nachdruck und in immer wieder neuen Anläufen vorbereitet wird.

Wollen FDP und SPD ihre Koalitionstreue auch in der Bundespräsidentenfrage beweisen, so müssen sie sich auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen. Diese Personalfrage macht das Problem nicht leichter. Die Personaldecke der FDP ist ohnedies sehr knapp. Außer dem Parteivorsitzenden und Außenminister Scheel bietet sich niemand an.

In der FDP sähe Innenminister Genscher den Vorsitzenden Scheel gerne in politische Höhen entschwinden. Der Weg für Genscher zur Nummer eins in der Partei wäre frei. Ob sich die Partei auch sonst so leicht von Scheel trennen könnte, muß jedoch bezweifelt werden. Seit dem Tod des Generalsekretärs Karl Hermann Flach bedarf die Liberale Partei ganz besonders der Integrationsfigur Walter Scheels. Sein Fehlen könnte die momentan sehr selbstbewußte FDP in ernste Schwierigkeiten bringen. Vor allem würde der Bestand der FDP/SPD-Koalition gefährdet werden, weil gerade Scheel in seinem engen Verhältnis zu Willy Brandt als ein maßgeblicher Garant dieses Bündnisses gilt. Unter all diesen Aspekten kann es sich die FDP kaum leisten, auf Scheel zu verzichten. Einen anderen Kandidaten aber hat sie nicht.

In vielem ähnlich, wenn auch nicht derartig von der Personalknappheit gekennzeichnet, ist die Situation auf Seiten der SPD.

Nur ist es bei ihr völlig klar, daß sie den Parteivorsitzenden Brandt nicht im Präsidentenarnt „verpulvern“ kann. Auch hier ist denkbar, daß sich Brandt persönlich einen Rückzug aus den Schwierigkeiten des Bundeskanzleramtes in die Bundespräsidenten-Würde wünscht. Dies wäre ein glatter Weg vom „Friedens-Kanzler“ zum Pater Patriae. Heute schon mehr Denkmal als lei-

tender und agierender Staatschef, wäre Brandt geradezu zum Heinemann-Nachfolger prädestiniert. Aber die nach wie vor von Flügelkämpfen geschüttelte SPD braucht die Vaterfigur Brandt, ohne die ihr eine existenzbedrohende Zersplitterung erwachsen könnte.

So muß die SPD die zweite Garnitur in das Heinemann-Nachfolge-Spiel schicken. Aus dieser Not eine Tugend machend, wurden die Namen Georg Leber und Walter Arendt einschließlich ideologischer Begründung ins Spiel gebracht. Auf den Bürger-Präsidenten Heinemann soll der Arbeiter-Präsident folgen. Die ehemaligen Gewerkschafter Leber und Arendt scheinen dabei geeignete Kandidaten.

Leber, beim linken SPD-Flügel schlecht angesehen, ist dabei schon etwas aus dem Rennen. Soztal-minister Arendt kommt weit eher in Frage, da er die ganze Partei hinter sich wissen dürfte. Ein überzeugender Kandidat wäre Arendt, der heute — anders als in seinen ministeriellen Anfängen — als Sozialminister keine

schlechte Figur macht, freilich nicht. Ähnliches gilt für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Kühn, der auch als Heinemann-Nachfolger genannt wird. Gerade in letzter Zeit, in der Auseinandersetzung mit den Jusos, sowie angesichts der Spannungen in der Düsseldorfer FDP-SPD-Koalition, machte er keine gute Figur.

Angesichts dieser Konstellationen ist in der Bundespräsidentenfrage alles offen. Das hartnäckige Bemühen der SPD, Heinemann zu einer neuerlichen Kandidatur zu bewegen, wird verständlich. Es kennzeichnet Heinemanns Eigenwilligkeit, die er oft über Gebühr bewiesen hat, daß er sich dennoch dem Wunsch der Parteifreunde widersetzte. Bis zur Wahl seines Nachfolgers werden FDP und SPD noch manchen Stein aus dem Weg räumen müssen, der eine Einigung verhindert. Scheel macht dies auf seine sehr direkte Weise: im Dezember läßt er sich einen Nierenstein entfernen. Dann will er den Beschluß über eine mögliche Kandidatur fassen.

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