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Polnische Zerreißprobe

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Selbst im Erfolg scheinen die bundesdeutschen Unionsparteien in jüngster Zeit nicht vom Glück verfolgt zu sein. Nun stellen sie glücklich in Niedersachsen den Ministerpräsidenten und haben damit endlich nach ihrer Niederlage im Jahr 1969 wieder ein Stück Macht erobert, da treten auch schon massive Probleme auf, wird die Union durch ihren eigenen Erfolg kräftig gebeutelt und durch ihn vor eine Zerreißprobe gestellt. Denn die Haltung der Union zu den Polen-Verträgen wird durch die veränderten Verhältnisse aufs neue einer Belastungsprobe unterzogen.

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Selbst im Erfolg scheinen die bundesdeutschen Unionsparteien in jüngster Zeit nicht vom Glück verfolgt zu sein. Nun stellen sie glücklich in Niedersachsen den Ministerpräsidenten und haben damit endlich nach ihrer Niederlage im Jahr 1969 wieder ein Stück Macht erobert, da treten auch schon massive Probleme auf, wird die Union durch ihren eigenen Erfolg kräftig gebeutelt und durch ihn vor eine Zerreißprobe gestellt. Denn die Haltung der Union zu den Polen-Verträgen wird durch die veränderten Verhältnisse aufs neue einer Belastungsprobe unterzogen.

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Bis zur Wahl von Ernst Albrecht zum niedersächsischen Ministerpräsidenten schien alles klar zu sein. Die Union hätte grundsätzlich zu den Polen-Vereinbarungen Nein gesagt. Dieses Nein hätte trotz der Unionsmehrheit im Bundesrat die Verträge aber nicht scheitern lassen. Denn das Saarland, obwohl von der CDU regiert, hätte den Verträgen dennoch sein Plazet geben müssen. Denn in Saarbrücken kann die Union nur mit Duldung durch die nach außen in der Opposition stehende FDP regieren. Im Landtag stehen sich nämlich ebensoviele Unionsmandatare wie Vertreter von FDP und SPD gegenüber.

Seit aber die CDU in Hannover regiert, haben sich die Verhältnisse im Bundesrat entscheidend verändert. Auch ohne Stimmen des Saarlandes haben nun die von CDU/CSU regierten Länder die Majorität. Die Rechnung, zu den Verträgen offiziell „Nein“ zu sagen, sie aber doch passieren zu lassen, gebt für die Union nicht mehr so leicht auf. Erinnert man sich, daß es schon heftige Spannungen in der Union gegeben hatte, als es darum ging, die Polen-Verträge zu beurteilen, so wird deutlich, wie groß das Problem ist, vor dem CDU und CSU jetzt stehen.

Erneut wird in der Union die Frage aufgerollt, ob eine Ablehnung der Vereinbarungen, die Rentenzahlungen an Polen und eine auf 125.000 Personen begrenzte Ausreise von Deutschen aus Polen vorsehen, wirklich die richtige Haltung ist. Namhafte Unionspolitiker, darunter der frühere Außenminister Gerhard Schröder, hatten für eine Annahme der Verträge plädiert. Spitzengremien der Evangelischen Kirche in Deutschland wiesen die Unionsparteien erstaunlich deutlich darauf hin, daß sie die ablehnende Haltung der Union zu den Polen-Verträgen nicht teilen.

Auf der anderen Seite gibt es in den Unionsparteien die numerisch

wesentlich stärkere und dominierende Gruppe der klaren Gegner der Polen-Verträge. Ihr Wortführer ist Franz-Josef Strauß. Er meint, gerade im Hinblick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen müßten die Unionsparteien ein klares „Nein“ sprechen. Denn nach seiner Auffassung hat die unentschiedene Haltung der Union bei den Ostverträgen wesentlich dazu beigetragen, daß die letzte Bundestagwahl an die sozialliberale Koalition ging.

Gerade aber wegen dieser Bundestagwahl ist in Kreisen der Union nun doch wegen des deutsch-polnischen Übereinkommens einige Unruhe entstanden. Denn schon liegt die Angriffsrichtung von FDP und SPD für den Fall klar, daß die Union bei ihrem Nein bleibt und die Vereinbarungen im Bundesrat scheitern. Sie würden der Union vorwerfen, daß sie die endgültige Aussöhnung mit Polen und die gesicherte Ausreise vieler Deutscher aus diesem Land torpediert und damit verantwortungslos gehandelt hätte.

Noch hat die Union eine Chance, sich ohne Gesichtsverlust aus dem Polen-Dilemma zu befreien. Wenn in Niedersachsen in irgendeiner Form ein Übereinkommen zwischen CDU und FDP gefunden würde, dann könnte auch dieses Land trotz CDU-Regierung für die Vereinbarungen stimmen und sich dabei auf die sie stützende FDP berufen, auf die sie Rücksicht zu nehmen habe. Denn immerhin sind die Polen-Vereinbarungen ein Werk von FDP-Außenminister Genscher.

Leicht macht die FDP der CDU eine solche Lösung allerdings nicht. Eine Koalition mit der CDU hat sie in Niedersachsen klar abgelehnt. Ein solch dezidierter Schritt hätte sie nach vorherigen Beteuerungen, Distanz zur CDU zu wahren, unweigerlich in den Geruch der „Umfallerpartei“ gebracht. Und den fürchtet die FDP wie sonst nichts. Noch hat Albrecht in Hannover einige Mi-

nistersessel trotz der FDP-Absage freigehalten. Aber dahinter steht nicht nur die Hoffnung, daß sich die Liberalen doch noch zu einem Bündnis bereitfinden könnten, sondern auch Personalnot der überraschend von der eigenen Machtfülle getroffenen Union.

Denkbar scheint es aber, daß die CDU-Regierung Niedersachsens auch ohne offizielles Übereinkommen mit der FDP aus Rücksicht auf diesen potentiellen Koalitionspartner im Bundesrat für die Polen-Verträge stimmt. Dann wäre freilich nicht mehr der Eindruck einer unerschütterlichen Einheit innerhalb der Union gegeben, auf den es gerade Franz-Josef Strauß ankommt. Ob der Schaden in diesem Fall freilich wirklich so groß wäre, ist ernsthaft zu fragen. Denn es ist ohnedies längst ein offenes Geheimnis, daß in der Frage der Polen-Vereinbarungen — siehe Gerhard Schröder — keine einheitliche Haltung besteht.

Schließlich ist es auch schon lange problematisch, daß im Bundesrat offen nach parteitaktischen Gesichtspunkten und nicht mehr nach landespolitischen Aspekten abgestimmt wird. Schließlich ist der frischgebackene Ministerpräsident Ernst Albrecht jetzt in erster Linie dazu aufgerufen, Landespolitik zu machen. Er selbst trat mit dem Slogan sein neues Amt an, daß es jetzt gelte, für Niedersachsen gute Landespolitik zu machen. Albrecht würde diesem Grundsatz untreu, wollte er sich sofort in der Polen-Frage exponieren.

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