6842387-1975_51_06.jpg
Digital In Arbeit

Wenig gemeinsame Nenner

19451960198020002020

Fußkrank und angeschlagen ziehen die Unionsparteien in den bundesdeutschen Wahlkampf, der jüngst mit der Debatte um die Polenverträge im Bundestag, etwa ein Jahr vor den Bundestagswahlen, inoffiziell begonnen hat. Für den desolaten Zustand der Union ist nicht der politische Gegner verantwortlich. CDU und CSU und etliche ihrer führenden Köpfe sind vielmehr selbst daran schuld, daß die Wahrscheinlichkeit für einen Machtwechsel in Bonn, die noch geraume Zeit nach dem überraschenden Brandt-Rücktritt ziemlich hoch war, wieder deutlich gesunken ist.

19451960198020002020

Fußkrank und angeschlagen ziehen die Unionsparteien in den bundesdeutschen Wahlkampf, der jüngst mit der Debatte um die Polenverträge im Bundestag, etwa ein Jahr vor den Bundestagswahlen, inoffiziell begonnen hat. Für den desolaten Zustand der Union ist nicht der politische Gegner verantwortlich. CDU und CSU und etliche ihrer führenden Köpfe sind vielmehr selbst daran schuld, daß die Wahrscheinlichkeit für einen Machtwechsel in Bonn, die noch geraume Zeit nach dem überraschenden Brandt-Rücktritt ziemlich hoch war, wieder deutlich gesunken ist.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Malaise, aus der die Unionsparteien sich nun mühsam emporzu-rappeln versuchen, ist im wesentlichen aus dem Streit der beiden Vorsitzenden Kobl und Strauß entstanden und rührt noch aus der Zeit des Konflikts um die Benennung Helmut Kohls zum gemeisnamen Kanzlerkandidaten der beiden Unionsparteien. Damals machte Strauß aus seiner Ablehnung Kohls kein Hehl, desavouierte den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten öffentlich, indem er ihn als guten Landesfürsten bezeichnete, der aber für höhere Ämter wenig geeignet sei. Selbst die Erklärung der Unionsparteien über die Kanzlerkandidatur Kohls enthielt noch verschlüsselt den Hinweis, daß eigentlich Strauß der bessere Kandidat wäre.

Mit dieser Erklärung schien der Zwist in der Union beigelegt, die gemeinsame Plattform für den Wahlkampf gefunden zu sein. Aber Franz Josef Strauß vergaß der CDU offensichtlich nicht, daß sie sich bei der Benennung des Kanzlerkandidaten nicht nur personell, sondern auch in der Terminfrage durchgesetzt hat. Als Motor von Kohls relativ früher Nominierung war aber deutlich Generalsekretär Biedenkopf hervorgetreten. Er verfolgte mit der CDU immer stärker eine Linie, die das Mißfallen von Strauß fand. Denn auch in der Frage nach der grundsätzlichen Taktik und programmatischen Linie im bevorstehenden Bundestagswahlkampf fanden die CDU Biedenkopfs und Straußens CSU keinen gemeinsamen Nenner.

Strauß plädierte für eine harte Konfrontationsstrategie zur Regierungspolitik. Nicht die Alternative zum Programm der SPD/FDP-Koalition sollte im Wahlkampf hervorgekehrt werden, sondern das Versagen dieser Regierung und das vehemente „Nein“ der Union zu allem, was unter dem Firmenzeichen „sozialliberal“ segelt.

Eine solche Strategie zählt kaum auf die Wähler der Mitte, oder höchstens nur dann, wenn die Wirtschaftskrise diese Schichten unmittelbar betrifft. Biedenkopf dagegen, den nicht eben zufällig der in deutschen Landen noch immer respektgebietende Titel „Professor“ ziert, versuchte mit einem Alternativprogramm jene Wechselwähler der Mitte zu erreichen, die in den zurückliegenden Jahren zu SPD und FDP abgewandert sind. Biedenkopf eröffnete eine differenzierte Theoriediskussion mit den politischen Gegnern und begann ihnen systematisch, scheinbar auf lange Zeit, gepachtete Positionen streitig zu machen.

Als öffentliches Druckmittel gegen die CDU wurde von dem zielstrebigen Bayern die Gründung einer sische Armee der NATO beitzt, abgesehen natürlich von den Streitkräften der USA. Um eine wirksame Verteidigung zu ermöglichen, muß in erster Linie das Arsenal der herkömmlichen Waffen überprüft vnd eine einheitliche Rationalisierung in die Wege geleitet werden. So besitzen die Verbände der NATO und Frankrich vier verschiedene Typen von Kampfpanzern, die selbstverständlich auf jeweils unterschiedliche Ersatzteile angewiesen sind. Gegenwärtig lockt ein weiteres Waffengeschäft großen Ausmaßes. Nachdem der erste Versuch, Europa einheitlich mit denselben Düsenjägern auszustatten, gescheitert ist, geht es jetzt darum, den französischen Panzer AMX, den deutschen Leopard II, den amerikanischen XM 1 sowie das britische Gegenstück durch einen einheitlichen NATO-Panzer zu ersetzen. Paris hat seine Bereitschaft bekundet, einer Einladung der Partner zu folgen und über eine multinationale Agentur zu verhandeln, die zentral den Einkauf von Kriegsmaterial organisieren soll. Weil sich Frankreich entschieden weigert, die Eurogruppe der NATO in Anspruch zu nehmen, denkt man jetzt daran, im Rahmen der WEU eine Stelle zu aktivieren, welche alle Probleme, die mit der Ausrüstung der Armee zusammenhängen, bearbeiten kann.

Doch auch dieser Vorschlag fand in Paris wenig Gegenliebe. Staatspräsident Giscard d'Estaing gab im November in einer Fernsehansprache wie in einem ausführlichen Interview im „Figaro“ zur Militärpolitik der V. Republik Kommentare ab. Die Bemerkungen des Staatschefs lassen sich auf folgenden Kern reduzieren: Paris ist für die nordatlantische Allianz, lehnt aber die militärische vierten Partei angewendet. Dieses immer wieder von Strauß in Andeutungen erwähnte Lieblingskind der CSU, das der CDU eher als Schreckgespenst erscheint, nämlich eine bundesweite CSU, war nach Meinung führender CSU-Politiker plötzlich wieder des Nachdenkens wert. Wieder wurde die Theorie bemüht, daß die beiden Parteien SPD und FDP auch nur durch zwei Unionsparteien geschlagen werden können. Eine Theorie, die erhebliche Schwächen aufweist. Denn wenn auch die CDU für manche Wähler attraktiver erscheinen könnte, wenn sie durch die bundesweite CSU am rechten Flügel entlastet wird, so bleibt es doch unwahrscheinlich, daß diese dann die CDU wählten. Denn schon

Integration der NATO ab. Die klassische Armee soll weiterentwickelt und die absolute Priorität der Atomstreitmacht zwar nicht abgebaut, aber in Einklang mit dem Einsatz der bisher üblichen Divisionen gebracht werden. Die französische Flotte wird künftig ihren Schwerpunkt im Mittelmeer finden und eine Koordinierung mit den dort stationierten amerikanischen, spanischen und eventuell griechischen Seestreitkräften anstreben.

Man sieht, viel Neues ist in beiden Erklärungen Giscard d'Estaings nicht zu finden. Wer hinter den Zeilen zu lesen versteht, wird den Wunsch des Staatspräsidenten nach einer gemeinsamen europäischen Verteidigung heraushören. Diese kann nur dann erfolgen, wenn eine politische Union gebüdet wird. Da jedoch keine Anzeichen vorliegen, daß der Entschluß der europäischen Gipfelkonferenz von Paris 1972, bis 1980 ein politisches Europa zu schaffen, in die Tat umgesetzt wird, pflegt Paris weiterhin seine Autonomie. Der Generalsekretär der NATO, Luns, erklärte vor den Parlamentariern der WEU, daß der französische Beitrag bei der Defensive des freien Westens durch nichts ersetzt werden könne.

So müssen sich die Diplomaten eine Formel einfallen lassen, welche die Forderungen nach einer integrierten Abwehr mit den außenpolitischen Zielen der V. Republik — Bewahrung der staatlichen Souveränität — in Einklang bringt. Gelingt das nicht, werden alle Anstrengungen Europas, als militärischer Faktor international anerkannt zu werden, hinfällig und die chinesischen Prophezeiungen bezüglich eines militärischen Zusammenbruchs Westeuropas würden sich bewahrheiten. in den zurückliegenden Jahren hat die Parole von SPD und FDP „Wer CDU wählt, wählt Strauß“ der Union erheblich geschadet. Die Doppelstrategie der Konservativen wäre zu durchsichtig und würde vom Wähler kaum akzeptiert werden.

Dennoch sorgte Straußens Drohen mit der vierten Partei für den bisher massivsten Zwist zwischen den Unionsparteien. „Geheimtreffen“ an unbekannten Orten mußten zwischen Kohl und Strauß organisiert werden, um den Unionsfrieden wiederherzustellen. Die Art dieser Zusammenkünfte verstärkte den Eindruck, daß der Graben zwischen den beiden Parteien eine bisher nicht gekannte Breite erreicht hat. Zwar mußte Strauß mit seinem Verzicht auf die bundesweite CSU schembar klein beigeben, doch hatte die CDU ebenfalls Federn lassen müssen. Der Zehnermannschaft gehörten nicht nur so profilierte Politiker wie Richard von Weizsäcker und Walter Leisler-Kiep nicht an, die zur liberalen Mitte zählen. Dem CDU-Generalsekretär Biedenkopf, den Strauß zunächst nicht unter den erwählten zehn sehen wallte, wurde der CSU-Generalsekretär Tandler gegenübergestellt.

Die Folgen'der offen zur Schau getragenen Zerrissenheit blieben nicht aus. Jüngste Umfragen des Bundespresseamts zeigen einen Rüdegang der Wählergunst für die Union. Der einzige Trost für die beiden Parteien, vor allem für die CDU, die sich von der CSU ständig in Schwierigkeiten gebracht sieht, besteht darin, daß es mit ihnen kaum noch weiter bergab gehen kann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung