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Die CDU auf dem Weg zu sich selbst

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Beim Streit von CDU und CSU geht es um die (parteipolitische Bewältigung eines Wertewandels. Etikettierungen sind fehl am Platz. Wem öffnet sich die Union?

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Beim Streit von CDU und CSU geht es um die (parteipolitische Bewältigung eines Wertewandels. Etikettierungen sind fehl am Platz. Wem öffnet sich die Union?

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Als CDU-Generalsekretär Heiner Geißler vor etwas mehr als einem Jahr aus Chile zurückkehrte und Menschenrechtsverletzungen des Pinochet-Regimes vor der Bonner Presse anprangerte, gab es ein paar kritische Noten der bayerischen CSU und Gemurre am rechten Rand der CDU, mehr nicht.

Im Sommer 1987 wurde aus der Debatte um 14 Chilenen, die in ihrer Heimat als Regimegegner angeklagt sind und mit der Todesstrafe rechnen, ein wochenlanger Streit in den Reihen der bundesdeutschen Christdemokraten. Auf einmal ging es um die ideologische Ausrichtung der größten Bonner Koalitionspartei.

Wie im Kriegsbild ist der Anlaß von der Konfliktursache zu unterscheiden. Geißler und sein Stab warnen, gestützt auf intensive Wahlanalysen, vor der Auszehrung des Unionsanhangs, vor dem Schwund in bestimmten Wählerschichten und vor dem Verfehlen vieler in die Zukunft weisender Problemstellungen.

War die Fürsprache des CDU-Arbeitsministers Norbert Blüm für 14 chilenische Linksextreme ein Indiz dafür, daß die CDU „gefährliche Maßstäbe” setzen will? Binnen weniger Tage war in Bonn der Anlaß - erwiesene Folter politischer Gefangener in Chile - fast vergessen, es wogte der „Richtungsstreit”.

Die Untersuchungen, die Geißler bewegen, liefern ganz eindeutige Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Wertewandel, neuen Lebensstilen und Wahlentscheidungen, wenn auch mit regional unterschiedlichen Akzenten. Der Generalsekretär redete aber keineswegs dem jetzt von der CSU apostrophierten „Linksruck” das Wort, im Gegenteil.

Die CDU sorgt sich durchaus um christliche und konservative Stammwähler. Das Dilemma: Stammwähler, die ihre Partei nicht wiedererkennen können, finden sich ganz überwiegend in der älteren Generation, bei den organisierten Heimatvertriebenen, den Bauern, dem klassischen Mittelstand, den Gegnern von Frauenemanzipation und Einigung Europas, nicht aber in der Generation, die die Politik in den nächsten Jahrzehnten bestimmen muß. Also muß Geißler eine Strategie predigen, die zugleich Stammwähler hält und doch das garantiert, was er eine „breite Koalition neuer Wählerschichten” nennt, die mit dem Etikett „links” mehr falsch als unvollkommen bezeichnet ist.

Die Lagebeschreibung ist unvollständig ohne Hinweise auf die Struktur der CDU und der Bundesrepublik als Wahlgebiet. Während die Partei Helmut Kohls in Nordrhein-Westfalen und anderen westlichen Landesteilen einen starken linken Flügel hat (die Sozialausschüsse „CDA”), baute sie sich im protestantischen Norden, in Hessen oder Schwaben auf eher konservative und liberale Strukturen auf. Berlin (West) - nur ein Beispiel - konnte die CDU nur mit einem Mann wie Richard von Weizsäcker erobern, ihr heutiges Erscheinungsbild in der Halbstadt ist das einer liberalen Leistungspartei.

Den nationalliberalen Norden Hessens hat die CDU mit den konservativen Bekenntnissen Alfred Dreggers an sich gebracht, ähnlich vollzog sich die Entwicklung in Teilen Nieder sachsens. Das Gesamtresultat ist eine Volkspartei mit regional unterschiedlichem Profil. Was die Rheinländer für Mitte halten, gilt manchen Hessen als links. Was nordische CDU-Leute für ausgewogen demokratisch halten, erscheint den Saarländern als „rechter Rand”.

Gegen diese CDU-Struktur hebt sich die CSU erstens bayerisch-traditionell, zweitens sozial-strukturell und drittens durch den Führungszuschnitt auf Franz Josef Strauß ab. Die CSU wandelte sich aus einer katholischen in eine weit gespannte moderne Volkspartei mit einer Basisorganisation, die Karrieren außerhalb ihres Einflusses vielen Bayern untunlich erscheinen läßt.

Bis in die jüngste Zeit blieb Bayern von harten Sozialschäden verschont, weil die Umwandlung vom Agrarland in ein industrielles Wachstumsland Konflikte klein hielt. Die Führungskraft von Strauß und sein schier unerschöpfliches Integrationstalent bewirkten Rekordernten an den Wahlurnen. Daß der Magnet außerhalb Bayerns schwächer ist, bewies die Bundestagswahl 1980, als Strauß Kanzlerkandidat war.

Inzwischen gewinnen die Grünen in bayerischen Großstädten genauso wie in Hamburg oder Frankfurt. Unzufriedene am rechten CSU-Rand können die „Republikaner” wählen. Der Münchner Mächtige fürchtet nun, daß die Entwicklung, die zu Verlusten der CDU führte, sein Lebenswerk beschädigt. Um jeden Preis, so scheint es, will er eine Partei rechts von der CDU/CSU verhindern. Aber die bayerische Landschaft ist differenzierter: Uber ein Drittel der Bayern antwortete mit Ja auf die (falsch gestellte!) Frage, ob sich die Union „nach links öffnen” soll. Die anderen Deutschen dachten nicht anders.

Umstritten ist die Haltung des Bundeskanzlers. Der Vorsitzende der Jungen Union, Christoph Bohr, im Prinzip auf der Reformer-Seite, hält das Zuwarten Kohls nicht für „Aussitzen”. Der Parteivorsitzende habe bewiesen, daß er eine fortschrittliche katholische Politikerin wie Rita Süß-muth zu ernennen den Mut hatte. Er habe gegen den Widerstand der Falken im Bundestag die Null-Lösung bei den Raketen durchgesetzt. Auf anderen Gebieten hält sich der Kanzler jedenfalls auffällig zurück.

In Hintergrundgesprächen spüren polnische Besucher zum Beispiel, daß er die Grenze an Oder und Neiße für bleibend beziehungsweise in einem künftigen freien Europa für unwichtig hält. Achtzig Prozent der Bundesdeutschen denken so, selbst 73 Prozent der Vertriebenen.

Mit Rücksicht auf seine Hardliner taktiert der Kanzler dennoch in der Öffentlichkeit. Bei diesen und anderen Problemstellungen wird deutlich, wie schwer es eine Volkspartei in der Mitte und rechts von dieser hat.

Entnervend wirkt auch das Abtreibungsthema (Paragraph 218) auf die Union ein. Keine einzige Frau der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist für eine „Wende” gegen die 218-Reform der Sozialliberalen, obschon der Frauengruppe prominente Katholikinnen angehören. Für die Wende sind ausschließlich Männer, die aber eine Minderheit bilden. Heiner Geißler empörte sich, man könne nicht vom evangelischen CDU-Teil verlangen, daß er auf katholische Bischöfe höre.

Der „Chile-Krieg” war also nur ein Ausbruch einer Diskussion, die unter der Decke längst im Gange ist. Alle Kombattanten beeilten sich, Bekenntnisse zu den Menschenrechten abzugeben. Aber es ist unübersehbar: Beifall für Blüm und Beifall für Strauß teilte sich recht schematisch auf die „Lager” auf.

Die einen vermuteten gleich wieder auf allen möglichen Gebieten ein Weichwerden vor der FDP, eine Anpassung an die SPD, ja sogar—bei Blüm — Arglosigkeit gegenüber dem roten Erzfeind in Moskau. Die anderen übersahen die inneren Probleme der CSU und erregten sich über deren „rechtes” Profil. Sie hat es so nicht, sonst wäre sie nicht bis jetzt so erfolgreich gewesen.

Also viel Lärm um nichts, Sommertheater? Das wäre zu wenig.

Alle Volksparteien Westeuropas, besonders die mit christlichdemokratischer Basis, haben das Problem, Wertewandel aufzufangen — teils durch demokratisch gebotene Anpassung, teils durch kontroverse Auseinandersetzung mit Aufweichlern.

Die Sozialisten in der Bundesrepublik Deutschland tragen zur Klärung der Fronten durch ihre Schwäche nicht bei, die Liberalen nützen immer nur das Mitregieren aus.

Die Union, vor allem die CDU, muß vom Prozeß des Wandels deshalb fast mehr gestalten, als ihre organisatorischen Kräfte zulassen. So sieht sie sich den Grünen so gut wie alleingelassen gegenüber.

In einer solchen Situation sorgen Frauen und Männer für besondere Aufmerksamkeit, die ihre Einsicht in die Tatsachen und die Notwendigkeiten mit dem Mut zu verbinden vermögen, unangenehme Wahrheiten auch offen auszusprechen.

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