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Marxens Bart

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Mit 62,1 Prozent Anteil der Wählerstimmen ist die CSU eindrucksvoller denn je in ihrer Rolle als bayrische Staatspartei bestätigt worden. Dieser unerwartet hohe Zuwachs von 5,7 Prozent gegenüber dem Ergebnis von 1970 sowie der Erdrutsch in München, wo die SPD mit einem Schlag alle elf Direktmandate verlor, die seit 1962 zu ihrem größten Stammbesitz gehörten, bildeten die großen Überraschungen der bayrischen Landtagswahlen. Niemand hat eine solche Wählerbewegung vorausgesehen und entsprechend emotional war die Reaktion: überschäumende Euphorie auf der einen und düstere Trauerstimmung auf der anderen Seite.

Die soliden Grundlagen für den Sieg waren sicher eine im wesentlichen erfolgreiche und relativ fortschrittliche Landespolitik, die unter Generalsekretär Tandler noch verbesserte zentralistische Parteiorganisation, sowie die glänzend angelegte Werbekampagne. Dazu kommen die beiden unbestrittenen Spitzenfiguren Strauß und Goppel, von denen der letztere — in gelungener Funktionsteilung — den soliden, menschlich integren Landesvater und der erstere den kämpferischen, zielbewußten und die großen Linien aufzeigenden Parteiführer darstellt. Beide haben in einer Zeit, da Führung und Vorbild instinktiv wieder stärker gefragt sind, ihren Einfluß gewichtig werden lassen. Ein psychologischer

Faktor von nicht zu unterschätzender Wirkung war außerdem die Angst vor Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Rezession. Trotz der Stabilitätspolitik von Bundeskanzler Schmidt, der sich im übrigen nur spärlich in den bayrischen Wahlkampf einschaltete, wuchs offenbar die Neigung, sich an die in Wirtschaftsfragen als effektiver empfundene Opposition anzuschließen.

Dieser Hintergrund macht es verständlich, weshalb die CSU nicht nur ihre Stammwähler behalten, sondern auch in einem so aufsehenerregenden Maße für Fremdwähler attraktiv werden konnte. Dazu gehören Ju gendliche, die das erste Mal zur Urne gingen; ehemalige Wähler der NPD, die von 2,9 Prozent auf 1,1 Prozent einschrumpfte, und Wähler der Bayernpartei.

In München und in der näheren Umgebung der Landeshauptstadt dürften es etwa 100.000 frühere Wähler der Sozialdemokraten gewesen sein, die diesmal mit dem Stimmzettel der beinahe hoffnungslos zerstrittenen Münchner SPD einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben haben: „Entweder macht ihr Schluß mit diesem heillosen Theorie- Gezänk um Marxens Bart und konzentriert euch geschlossen auf sinnvolle und praktikable Reformen — oder ihr könnt uns für immer abschreiben.” Auch in Augsburg und anderen Städten mußte die SPD stärkere Einbußen, wenn auch nicht so stark wie in München (7,3 Prozent) hinnehmen.

Der Landesvorsitzende der SPD, Bundesjustizminister Vogel, hat damit für seinen Ansatz der „realen Reformen” auf eine beinahe tragische Weise Recht erhalten und insofern ist seine Stellung durch die Wahlen sogar noch gefestigt worden. Er muß sich allerdings von den Seinen fragen lassen, ob es denn nicht auch anders gegangen wäre. Denn gerade das Beispiel von Mittelfranken, wo die SPD in den großen Städten Nürnberg, Fürth und Erlangen nur geringfügige Verluste hinzunehmen hatte, zeigt, daß auch andere Lösungen denkbar sind. Der Stellenwert des fränkischen Bezirksvorsitzenden Friedrich, der dort eine Mischung von konzilianter Gesprächsbereitschaft und harter Abgrenzung praktiziert hatte, ist deutlich gestiegen. Oberfranken, wo die SPD immerhin 3,5 Prozent einbüßte, kennt keine Großstadtprobleme, wohl aber Probleme des Grenzlandes zur DDR. Hier dürfte als dem einzigen Regierungsbezirk die praktizierte Ostpolitik der Bonner Regierung, dabei auch nicht zuletzt die Verärgerung über den hohen Zwangsumtausch im kleinen Grenzverkehr, eine Rolle gespielt haben.

Die FDP ist eindeutig von dem Wahlergebnis enttäuscht und nur knapp am Scheitern vorbeigegangen. In Franken, wo sie noch vor vier Jahren einen konzentrierten Wahlkampf zur Überwindung der 10-Pro- zent-Hürde geführt hat, sind ihr mele Wähler untreu• geworden und sie hat es nur mit Mühe vermocht, dieses Minus in anderen Regierungsbezirken etwas auszugleichen. Auch ist ihre Rechnung nicht aufgegangen, von den Schwundwählem der SPD zu profitieren. Nur wenige haben den

Umweg über die kleinere Partei vorgezogen. Frau Hamm-Brücher versuchte nun zwar, die Erklärung dafür im Kirchenpapier zu finden. Doch zeigen gerade Wahlerfolge aus recht katholischen Gegenden, wie etwa dem Wahlkreis Dillingen, daß der negative Einfluß dieses Hamburger Manifestes nicht allzu hoch zu veranschlagen ist. Vielmehr dürften die zunehmend unter Beschuß geratene Bildungspolitik anderer Bundesländer, für die auch die Freien Demokraten verantwortlich zeichneten, sowie ein gewisses Unbehagen überhaupt der FDP gegenüber, eine Rolle gespielt haben. Der FDP-Landesvorsitzende Ertl litt offensichtlich auch unter dem Handikap, daß seine Agrarpolitik zur Zeit eher die Schatten als die Lichtseiten zeigt.

Am Ende der Landtagswahlen sehen sich alle drei größeren Parteien Bayerns neuen Problemen gegenüber. Die FDP muß sich fragen, ob eine ständige Bindung an die SPD nicht auf die Dauer den eigenen Bestand gefährdet; die SPD sieht sich langfristig in den Turm der 30 Prozent verbannt, wenn es ihr nicht gelingt, überzeugend die eigenen Fronten zu schließen und die CSU, die sich noch in der Wahlnacht mächtig als Staats- und Kanzlerpartei fühlte, hat sich nun mit den eigenen zentrifugalen Kräften zu beschäftigen. Nach innen stellen jetzt die Großstädter, die Bauern und die Arbeitnehmer vermehrte und deutliche Ansprüche, und nach außen drängt Strauß darauf, zusammen mit Dreg- ger in der Union „Alternativen und nicht Varianten” als den „erfolgssicheren Kurs” für die Bundestagswahlen 1976 durchzusetzen.

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