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Adenauer, Brandt und Kennedy

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Die Umstände, unter denen sich der Besuch des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und „Kanzlerkandidaten der SPD”, Willy Brandt, in den Vereinigten Staaten abspielte, haben im Regierungslager eine durchaus verständliche Nervosität ausgelöst. Sie haben die seit langem recht schlaff hängenden Segel der SPD mit etwas Weitwind geschwellt und sie haben eine Fülle von Gerüchten und Kombinationen heraufbeschworen. Es geht um die Frage, ob Kennedy bereits mit einer sozialdemokratischen Regierung rechnet, ob er Brandt Schützenhilfe leisten und Adenauer Knüppel zwischen die Beine werfen will, es geht schließlich auch um die Frage, was der Präsident mit einer derartigen Taktik bezwecken könnte. Daß der Empfang Brandts im Weißen Haus für Adenauer, den der Präsident zunächst ausgeladen und dann für einen Termin nach dem Besuch Brandts zugelassen hat, für den Bundeskanzler einen persönlichen Affront bedeutet, wird man schwer leugnen können. Aber Adenauer müßte nicht Adenauer sein, wenn er nicht aus jeder Schlappe noch eine kleinen Erfolg herauszuholen verstünde. Er ist, scheinbar seelenruhig, nach Cadenabbia gefahren, er spielt Boccia und sonnt sich, als ob ihn die Weltpolitik im Augenblick nicht interessierte. Adenauer erwägt, welche Vorteile es für ihn haben kann, als zweiter nach Amerika zu pilgern.

Gretchenfrage an Kennedy

Die Gretchenfrage an Kennedy, wie eT zu Berlin, Wiedervereinigung und Friedensvertrag stehe, mußte nun Willy Brandt als erster stellen. Er bringt die keineswegs eindeutige Antwort des Präsidenten mit. Er wird triumphierend berichten, daß Kennedy bereit sei, für Berlin zu kämpfen — bis zum Einsatz der A-Bombe?! —, daß sich an der Berlin-Politik nichts geändert habe und daß der Präsident hundertprozentig der von ihm, Brandt, seit je vertretenen Politik zugestimmt habe. Was1 hat Kentiedv gesagt? Daß er für die’Freiheit der Berliner einstehen werde, daß siih äff dieser Bereitschaft nichts ge ändert habe und daß er keiner Lösung zustimmen werde, die nicht die Freiheit der Berliner garantiere. Das ist seit Beginn der neuen Ära die Formel in Washington. Ob Brandt, der keineswegs eine politische Leuchte, sondern ein sonniges Gemüt mit Funktionärsverstand und einem Fundus alter sozialdemokratischer „zündender” Redensarten ist, den Unterschied überhaupt merkt, ist nicht ganz sicher. Eisenhower hat für die Status-quo- Politik der Bundesregierung gekämpft, und als er in Camp David davon abgewichen war, hat er sich wieder auf die Bonner Linie zurechtbiegen lassen. Denn unter ihm war ja, wie die Amerikaner anfangs lächelnd, später ärgerlich und am Ende zähneknirschend sagten, Adenauer Amerikas Außenminister. Der Groll, der sich hier aufgestaut hatte, war wohl der Hauptgrund dafür, daß Kennedy den alten Staatsmann aus Bonn nicht gleich am Hochzeitsmorgen bei sich sehen wollte. Man durfte nicht sagen, er habe ihn als Erbstück aus der Eisenhower-Ära übernommen und ihn gleich auf den Ehrenplatz gesetzt. Der „Alte” hat es um eine Sekunde zu spät gemerkt, sich dann aber - geschickt der neuen Lage angepaßt.

Im April fährt Adenauer zu Kennedy. Er wird dann sagen können, er habe die freundschaftlichen Zusagen, die dem Regierenden Bürgermeister von Berlin gemacht wurden, in handfeste Garantien für die Bundesrepublik umgemünzt. Denn schließlich ist Bonn und nicht Schöneberg der Bundesgenosse der USA, aber West-Berlin und nicht die Bundesrepublik werden Gegenstand von Viermächtebesprechungen zur Berlin-Frage sein. Oder der Kanzler wird mit leichtem Achselzucken auch andeuten können, er hätte ja vielleicht mehr erreichen können, aber Herr Brandt habe bereits zu den neuen Vorschlägen seine Zustimmung gegeben. Außerdem wird in unserer schnellebigen und vergeßlichen Zeit die Erinnerung an Adenauers Besuch im Weißen Haus um vier Wochen länger nachhalten als die an Brandts Aufwartung wenn beim Aufziehen der Segel nicht zwei Mannschaften an den entgegengesetzten Enden der Taue ziehen. Zwischen der SPD und Kennedy gibt es eine recht stabile Brücke: die Gewerkschaften. Über sie versucht die deutsche Linke seit langem an den Präsidenten heranzukommen. Die Brüder Reuter, die Bosse der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung, haben noch eine stille Sympathie für die deutsche Heimat des Großvaters, der nach den USA auswanderte, damit seine Söhne nicht in der deutschen Armee zu dienen brauchten, und sie schwäbeln wie württembergische Minister.

Primat der Außenpolitik bleibt

Warum ist Adenauer gegen die Große Koalition? Er hat einige gute Gründe und einige fixe Ideen. Begründet ist sei Bedenken gegen die Errichtung eines Proporzsystems nach österreichischem Muster, das mem Lande wie Deutschland aUztf Äpl ir Abtötung der ohnehin schwacat de , mokratischen Gefühle führet! ioännte: Er fürchtet, daß die SPD das ?Jjieh dpr SPÖ spielen könnte: in der Koalition ihren Willen durchzusetzen und vor den Wählern die Vorteile der Opposition zu nützen. Das am schwersten wiegende Argument, das sehr viele einsichtige Politiker der CDU’CSU teilen, ist das von der Störung des Gleichgewichts. Die SPD hat die mächtigen Gewerkschaften mit ihrem Mammutvermögen hinter sich. Sie beherrscht außerdem die Krankenkassen, Versorgungsämter, öffentliche Versicherungsanstalten; sie kontrolliert (der Auflage nach) etwa 80 Prozent der deutschen Presse, die Rundfunk- und Fernsehsender. Sie verwaltet fast alle Großstädte. Sie regiert die Länder Hessen, Bremen, Hamburg, wo sie eine kaum noch zu erschütternde Stellung hat, und Niedersachsen, wo- sich ihre Herrschaft durch den Zerfall der Deutschen Partei ebenfalls immer mehr festigt. Sie baut diese Länder planmäßig zu kulturpolitischen Machtpositionen aus, nicht zu reden von ihrer geschickten und rücksichtslosen Personalpolitik. Die CDU CSU hat nur den Bund und einige schwache Länderregierungen, die unter Umständen, wie jetz im Fernsehstreit, sogar die Geschäfte der Linken besorgen. Wenn die SPD auch noch die Hälfte der Macht im Bunde erhält, werde sie bald die totale und alleinige Macht im Staate haben. Das ist richtig. Aber die Methode, mit der man es verhindern will, ist kurzsichtig und führt nur dazu, daß in einigen Jahren die Union auf der ganzen Linie unterliegt. Sie müßte eben den Kampf gegen die SPD in deren Machtbereichen aufnehmen. Alles andere, was der „Alte” noch vorbringt, daß die SPD-Politiker unfähig seien, daß man ihnen nicht trauen könne usw., sticht nicht.

Für Deutschland gilt mehr als für ein anderes Land der Primat der Außenpolitik. DieAußenpolitik fordert gebieterisch di Große Koalition. Das vermochte bisher niemand in der Bundesrepublik dem Kanzler überzeugend beizubringen. Vielleicht Wird Kennedy es versuchen.

Im Hintergrund: die „Große Koalition”?

Aber noch eine andere Sache, über die der Kanzler dann nicht reden wird, könnte zwischen ihm und dem Präsidenten ins Gespräch kommen. Denn es ist anzunehmen, daß sie Kennedy am Herzen liegt. Es ist eine innerdeutsche Frage, die den Präsidenten offiziell nichts angeht und in die er sich amtlich auch nicht einmengen wird, die Frage der Regierungsbildung nach den Bundestagswahlen im Herbst dieses Jahres. Die kühnen Hoffnungen- der SPD, sie werde auf den Papierschwingen des Godesberger Reformprogramms und mit dem Motor der von Adenauer entlehnten prowestlichen Außenpolitik die Mehrheit erobern, sind arg zusammengeschmolzen. Noch ist es zu früh, bindende Vorhersagen für eine Wahl zu geben, die in sechs Monaten stattfinden wird und bis zu der noch viel geschehen kann. Im Augenblick aber ergeben Testwahlen (die natürlich alle cum grano salis zu nehmen sind), Meinungsumfragen und die Eindrücke, dia alte politische Wetterpropheten von den Imponderabilien her empfangen, daß die SPD zwar einen Gewinn heimbringen, daß aber die führende Stellung der CDU nicht gefährdet sein wird. Die FDP, die sich einen Zuwachs an Mandaten erhofft, würde auch ohne ihn durch die Gunst der Lage das Zünglein an der Waage sein. Zwar soll nach monatelangen Verhandlungen im April eine „Gesamtdeutsche Partei” aus dem im Jahre 1957 bei der Bundestagswahl durchgefallenen BHE und aus den Resten der Deutschen Partei gebildet werden, aber man räumt dieser Firma wenig Chancen ein, da die Fusion von zwei Liter Wasser in der Regel noch kein Achtel Wein ergibt. Angenommen, die Gesamtdeutsche Partei würde mit 25 Mandaten in den Bundestag einziehen, dann könnte sie Adenauer vielleicht in die angenehm Lage versetzen, von der FDP nicht geradezu abhängig zu sein. Aber ei hat schon einmal mit der FDP und BHE regiert und nicht wenig Ärgei damit gehabt. Für die Lösung dei außenpolitischen Probleme, die siel aus dem Versuch einer weltpolitischer

Entspannung als dringlich erweisen dürften, taugt eine „Kleine Koalition”

zwischen CDU CSU, FDP und eventuell Gesamtdeutscher Partei, wie eine alte Handgranate zum Einschlagen eines Nagels. Die FDP ist ein Konglomerat aus emeritierten HJ-Führern, Freimaurern und Manchester-Liberalen und kittet diese Brocken mit deutschnationaler Ideologie zusam men. Der BHE wird kaum über seinen Schatten springen und auf Wiedervereinigung und „Reichshauptstadt” Berlin verzichten können, wenn dies nötig werden sollte.

Die SPD möchte nicht noch einmal vier Jahre Opposition mitmachen. Es geht ihr dabei gewiß nichts ab, sie wird dick, sie ist mächtig, in manchen Bereichen mächtiger als die regierende CDU CSU, aber das ewige Opponieren beschwört in ihren Reihen dauernde Unzufriedenheit, Kritik, Experimente herauf. Unterliegt sie mit dem reformistischen Programm, dann wird ein neuer linker Flügel in der Partei entstehen. Das bedeutet die Gefahr stärkerer kommunistischer Unterwanderung und das wieder nährt das Mißtrauen der Wähler gegen eine Partei, die mit allzu starker Betonung der rein opportunistischen Motive zu oft die Fahne gewechselt hat. Es ist durchaus möglich, daß Brandt dem amerikanischen. Präsidenten seine Sorgen vorgetragen hat. Vielleicht hat er ihn nicht geradezu um eine Intervention bei Adenauer gebeten, aber er wird angedeutet haben, daß die SPD zur M i t- arbeit in einer Koalition bereit sei und daß sich gewisse Manöver leichter durchführen lassen

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