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Göttingen Die Entscheidung des 7. April

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Der Entschluß Konrad Adenauers, für das Amt des westdeutschen Bundespräsidenten zu kandidieren, ist ihm von niemandem abgetrotzt worden. Es ist der freie Entschluß eines großen alten Mannes, der damit das heikelste Problem, die Frage der Nachfolge, in souveräner Größe gelöst hat: Als Präsident der westdeutschen Bundesrepublik hat er nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, dem Parlament seinen Nachfolger zu benennen. Natürlich hat diese Entscheidung ihre innen- und außenpolitischen Gründe gehabt. Sie sind aber weniger wichtig, wenn man über die Geschichte dieses Entschlusses schreiben will, sondern sie müssen in erster Linie bei Betrachtung der künftigen Entwicklung herangezogen werden.

Die Nennung Prof. Carlo Schmids als Präsidentschaftskandidat der SPD hatte die CDU/CSU in einige Verlegenheit versetzt. Der Zwang, einen potentiellen Gegenkandidaten zu nennen, wurde, wie erst jetzt bekannt wird, durch ein juristisches Gutachten des, Kanzlerreferenten Dr. Globke noch besonders dringend; es stellte fest, daß die verfassungsmäßigen Möglichkeiten des Bundespräsidenten, in die Außenpolitik einzugreifen, viel größer sind, als unter" Theodor Heuss erkennbar war. Globke stützte sich dabei auf einen Kommentar des Grundgesetzes, in dem es hieß: „Bundespräsident und Bundeskanzler bestimmen gemeinsam die Außenpolitik." Bei der grundsätzlichen Verschiedenheit der außenpolitischen Ansichten bei CDU und SPD war damit eine gemeinsame Kandidatur des bürgerlich gesinnten Prof. Carlo Schmid unmöglich.

Ueber die Frage, wer als Kandidat der CDU/CSU aufgestellt werden sollte, brach der mühsam zurückgehaltene Kampf um die Nachfolge Adenauers innerhalb der CDU/CSU aus. Nach einem ungeschriebenen Gesetz innerhalb der CDU müssen die höchsten Aemter im Staat paritätisch zwischen den beiden Konfessionen verteilt sein, so daß ein katholischer Bundeskanzler einen evangelischen Bundespräsidenten und umgekehrt bedingt So stellte die Konfessionszugehörigkeit des CDU-Kandidaten eine Art Vorentscheidung für die Kanzlernachfolge dar, wobei vom protestantischen Flügel der CDU der Standpunkt vertreten wurde, daß der zukünftige Bundespräsident katholisch sein sollte, um einem Protestanten den Posten eines Kanzlers in Zukunft zu ermöglichen. Die von Bundeskanzler Adenauer überraschend vorgenommene Nennung des Protestanten Professor Erhard zum Präsidentschaftskandidaten der CDU/CSU stieß daher nicht zuletzt auch auf den Widerstand der evangelischen Gruppe. Ganz allgemein wurde das Ausscheiden Erhards aus der Politik innerhalb der Fraktion sehr ungünstig beurteilt. Nicht nur weil sie ihn als Wirtschaftsminister für unersetzbar hielt, sondern weil man auch allgemein der Ansicht ist, daß er allein in der Lage ist, den Wahlkampf 1961 siegreich zu führen. Auch Adenauers unbekümmerte Erklärung, er werde auch 1961 den Wahlkampf führen und als Kanzler kandidieren, konnte dieses Unbehagen nicht beseitigen. Die Opposition sammelte sich unter Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier und dem Fraktionsvorsitzenden Dr. Krone, der kurz vorher noch als der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat der CDU gegolten hatte. Zur allgemeinen Ueberraschung setzte sich diese Gruppe durch und bestimmte (gegen den Willen Dr. Adenauers) Vizekanzler und Wirtschaftsminister Prof. Erhard, die Kandidatur nicht anzunehmen. Wenn man neben dem Globkeschen Gutachten über die Möglichkeiten de Bundespräsidenten, in die Außenpolitik ein- zugreifen, nach einem Grund für Adenauers Entschluß vom 7. April sucht, dann ist er wohl auch in dieser Haltung der Fraktion zu suchen, die Adenauer doch sehr klar zu verstehen gab, daß seine Kandidatur 1961 auch in diesem Gremium nicht ungeteilten Beifall finden würde.

Sehr bald aber zeigte sich, daß hinter der Nominierung Erhards noch andere Kreise und Persönlichkeiten standen. Teile der Industrie, deren politischer Weitblick vor 26 Jahren einen gewissen Adolf Hitler an die Macht hatten gelangen lassen, starteten am 15. März einen heftigen Angriff gegen Erhards Wirtschaftspolitik. Ihr waren offenbar Erhards Mahnungen, die Preise zu senken, auf die Nerven gegangen. Sie hatten mit dieser Nominierung ganz offenbar einen unbequemen Mann „hinauffallen" lassen wollen. Als zweiter Agitator erwies sich Innenminister Dr. Schröder, dessen Beteiligung an der Nominierung Erhards nicht zuletzt durch seine unbeherrschte Art offenbar geworden war, mit der er diese vor der Fraktion zu verteidigen versucht hatte. Dessen scharfen Gegensatz zu Dr. Gerstenmaier enthüllte ein Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 7. März, in dem Gerstenmaiers Vorliebe für die Standarte des Bundestagspräsidenten an seinem Auto in reichlich perfider Weise dargestellt wurde -und der in der Feststellung gipfelte: Die Statur, etwas klein, nehme ihm (Gerstenmaier) manchmal das rechte Augenmaß. Elegant wurde dem so Apostrophierten die Person Innenminister Dr. Schröders als des zweiten bedeutenden protestantischen Vertreters der CDU gegenübergestellt.

Schröder und Gerstenmaier, beide bei der Nominierung Prof. Erhards als Gegner hervorgetreten, sind die Antipoden zweier Richtungen innerhalb der CDU, zwischen denen in den nächsten Wochen und Monaten heftige Kämpfe zu erwarten sind. Beide haben höchstens als Außenseiter eine Chance, Nachfolger Adenauers zu werden. Schröder kann etwa als der unbekümmertste Vertreter des deutschen Wirtschaftswunders gelten. Er vertritt am stärksten die in Bonn häufig anzutreffende Ansicht, man solle unter die NS-Vergangenheit einen dicken Strich ziehen, und seine Bundesgenossenschaf1 mit bestimmten, noch heute faschistisch angehauchten Kreisen der Industrie sowie seine eifrigen Grußtelegramme zu Treffen ehemaliger SS-Angehöriger zeigen, wo er seine Anhängerschaft zu finden hofft. Schröder gilt als blinder Anhänger Adenauers. Dr. Gerstenmaier, der im deutschen Widerstand eine bedeutende Rolle spielte, gilt als Kanzleranwärter einer großen Koalition, für die allerdings auch nach Adenauers Weggang keinerlei Chancen bestehen. Als eigenwilliger Mann steht er der Entwicklung Westdeutschlands nicht ohne Kritik gegenüber. In der Verärgerung über die mißglückte Nominierung Erhärdä nannte ihn Dr. Adenauer!-eii err4 „potentiellen Wähler Carlo Schmids".

Unabhängig von diesen beiden Gruppen sind die beiden am meisten genannten Kanzlerkandidaten Erhard und Finanzminister Franz Etzel. Sie werden von dem Kampf der beiden Gruppen profitieren bzw. verlieren, ohne in ihn selbst verstrickt zu sein. Da Erhard nach wie vor als der Mann gilt, mit dem die CDU Wahlen gewinnen kann, und er ohne Zweifel das größte Vertrauen der Fraktion und ganz besonders im deutschen Volk hat, hat er die meisten Chancen. Wenn daneben noch Franz Etzel genannt wird, so hauptsächlich deshalb, weil er ganz offenkundig die meisten Sympathien Adenauers hat und als ehemaliger Präsident der Montanunion am besten mit den am Westen orientierten Europaplänen Adenauers harmoniert. Erhard genießt zwar die Wertschätzung des Bundeskanzlers, doch ist es immer zu leichten Spannungen gekommen und ist das Verhältnis Adenauer—Erhard gerade seit der Nominierung Erhards zum Präsidentschaftskandidaten nicht ungetrübt.

Der neue Kanzler wird mit einem besonders in außenpolitischen Fragen sehr aktiven Präsidenten rechnen müssen. Darüber nämlich, daß er die verfassungsmäßig dem Bundespräsidenten zustehenden Rechte voll in Anspruch nehmen wolle, ließ Adenauer weder in seiner Ansprache vor der Fraktion am 7. April noch in seiner Rundfunkrede vom 8. einen Zweifel. Die Uebereinstimmung mit den außenpolitischen Ansichten Dr. Adenauers ist daher eine der wesentlichsten Voraussetzungen für den Nachfolger. Für eine Aenderung der Politik im Sinne eines elastischeren Kurses, wie er nicht zuletzt auch in oppositionellen Kreisen innerhalb der CDU befürwortet wird, sind keinerlei Anzeichen vorhanden, ja es muß bezweifelt werden, ob ein neuer Kanzler, dessen Stellung keineswegs sehr einfach sein wird, während der Präsidentschaft Adenauers solche Pläne überhaupt wird erörtern können. Denn seine Stellung wird ja nicht nur wegen eines wesentlich aktiveren Präsidenten von der Adenauers ganz verschieden sein. Nach den gegebenen Voraussetzungen wird er Protestant sein. Nun hat aber keine politische Gruppe während der nationalsozialistischen Aera eine so radikale Aenderung erfahren wie der politische Protestantismus. Die historisch einmalige und fast unbeachtet gebliebene Tatsache, daß der so eng mit dem Werden und Gedeihen des deutschen Nationalstaates verbundene Protestantismus in der nationalsozialistischen Zeit zum erstenmal in seiner Geschichte mit dem Staat, in Konflikt kam und staatliche Verfol- gufigttf'SbtFsiih'Vrgeherfteseri'ttUßtdl'liä Tlasj Verhältnis' fl s Pfotestärttisniüs zum Staat nachhaltig beeinflußt und eine geradezu schockartige Staatsmüdigkeit der früher so aktiven und das Aeußere Deutschlands so entscheidend beeinflussenden protestantischen Kreise hervorgebracht. Die starke katholische Färbung des politischen Lebens der Bundesrepublik hat hierin ihren Ursprung. Ein protestantischer Kanzler wird sich daher einer ziemlich ungeklärten Situation gegenübersehen. Dazu kommt, daß künftig das Amt des Kanzlers von dem des Parteivorsitzenden getrennt werden soll, so daß also auch die Partei in Zukunft eine viel stärkere Bedeutung gewinnen wird.

Noch ist zur Klärung all dieser Probleme ziemlich viel Zeit. Die Wahl des neuen Bundespräsidenten wird erst Anfang Juli erfolgen, sein Amtsantritt ist auf den 15. September festgelegt. Die außenpolitische Situation wird Adenauer zwingen, seinen Nachfolger trotz aller verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten schon bald zu bestimmen und Seite an Seite mit ihm in die großen außenpolitischen Schwierigkeiten und Kämpfe dieses Sommers zu gehen.

Die Entscheidung des 7. April für die künftige Entwicklung Deutschlands ist kaum zu überschätzen. Sie hat einmal die Gefahr beseitigt, daß das höchste Amt in der westdeutschen Bundesrepublik von der souveränen Höhe, in die es die überlegene Menschlichkeit von Theodor Heuss führte, auf die Ebene eines kaltgestellten Parteipolitikers abgleitet. Zum anderen garantiert sie eine Kontinuität in der deutschen Politik, die sonst bei einem plötzlichen Abgang Adenauers leicht zu einem gefährlichen Bruch hätte führen können, dessen Gefahren heute, wo in Bonn von jedermann Ministerlisten ausgearbeitet werden, vielleicht deutlicher zu erkennen sind als je vorher. Auf der anderen Seite enthält diese Entscheidung aber nicht die Möglichkeit eines Präsidialkabinetts, wie es 1930 bis 1933 unter Hindenburg bei der Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie und der Macfit- ergreifung1?dHl f firit?1 sb A&hei]volle Rolle ;e- spielt hat. Auch letTie Uebertragurtg des französischen Vorbilds unter de Gaulle auf Deutschland, die zu beabsichtigen Adenauer von manchen Zeitungen nachgesagt wird, ist nicht möglich. Dazu ist die Stellung des Bundespräsidenten im Grundgesetz doch zu klar Umrissen. Die Entscheidung des 7. April ist aber trotzdem alles andere als eine stille Resignation des gro- ßen alten Mannes Konrad Adenauer. Man sollte seine Worte über die Bedeutung des Bundespräsidenten nicht ernster nehmen als seine Worte an seine Fraktion: „In mancher Beziehung werde ich mich ändern müssen. Es wird mir schwerfallen, wenn ich nicht mehr kämpfen darf — das weiß ich wohl.“

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