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Erhard und die Unzufriedenen

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Zum Sprecher dieser Unzufriedenen machte sich am 4. Februar Vizekanzler und Wirtschaftsminister Professor Erhard in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Erhard wurde durch das Scheitern der Brüsseler Verhandlungen persönlich am meisten getroffen. Ist doch seine Wirtschaftspolitik ganz auf den Beitritt Großbritanniens abgestellt. Auch hatte er in Brüssel vergeblich mit seiner ganzen Autorität das Scheitern der Verhandlungen zu verhindern versucht. In seinem Interview mit der Süddeutschen Zeitung klang deutlich sein Verdacht an, von Adenauer über die zu erwartende Haltung Frankreichs nicht genügend aufgeklärt worden zu sein. Ebenso kam darin der Wille Erhards zum Ausdruck, sich nicht von Frankreich in einen anti-angelsächsischen, allein-europäischen Kurs zwingen zu lassen. Erhards Energie war nicht zuletzt durch Vorgänge in seinem Ministerium angefacht worden, wo es zu einem offenen Aufstand gegen die neue Politik Adenauers gekommen zu sein scheint. Erhards langjähriger Mitarbeiter, Staatssekretär Prof. Alfred i M,ü 1 JififcfieV %BrfT»M f#^|8 fähigsten Männer in Bonn, der die“;

deutsche Wirtschaftspolitik der . Ära Erhard entscheidend mitbestimmte und als ein zielbewußter, allgemein großes Ansehen genießender Verfechter der Einigung Europas bekannt ist, hat seinen Rücktritt erklärt. In einem langen Gespräch mit Erhard wurde die Entscheidung darüber zwar um acht Tage vertagt, doch ist man sich in Bonn im klaren, daß Müller-Armack kaum von seinem Entschluß abzubringen sein wird. Über die Gründe ist zwar offiziell nichts bekannt geworden, doch ist es mit der Hand zu greifen, daß sich Müller-Armack gegen eine Politik des „Auf zwei Schultern-Tragens“ wendet, wie sein Chef Erhard in kaum verhüllter Kritik an Adenauer die Gefahren der neu eingeleiteten Politik in seinem Interview bezeichnete. Dieses Interview hat zu einem sowohl von Abgeordneten der SPD wie von der CDU/ CSU unterstützten Vorstoß von FDP-Abgeordneten bei Erhard geführt, die an ihn die Frage herantrugen, ob er bereit sei, sich für ein konstruktives Mißtrauensvotum gegen Adenauer zur Verfügung zu stellen. Allerdings konnte sich auch diesmal Erhard im letzten Augenblick nicht entschließen, so daß der Vorstoß ergebnislos blieb. Dazu hat sicher beigetragen, daß sich Erhard auf der vorhergehenden Kabinettsitzung mit seinem Vorschlag, mit Frankreich wegen des Beitritts Englands zur EWG unverzüglich neue Verhandlungen aufzunehmen, eine Niederlage zugezogen hatte. Nur die FDP-Minister stimmten mit ihm!

Damit ist jedoch offenbar geworden, daß die Diskussion um die Ratifizierung des deutsch-französischen Freundschaftspaktes eine schwere innere Krise heraufbeschworen hat, die gleichzeitig eine neue Krise um Konrad Adenauer, den Kanzler auf Zeit, ist. Seine Lage ist nicht ganz leicht, zumal sein Ansehen in den letzten Wochen durch die Winkelzüge um die Veröffentlichung des Berichts der vier Ministerien (Verteidigung, Äußeres. Innen'und “Justiz) über die Spiegel-Affäre urtö ihre Beteiligung daran und schließlich durch dessen Veröffentlichung an jenem gleichen 4. Februar auch innerhalb der CDU/CSU-Fraktion Schaden erlitten hat. Adenauer ist hier besonders von dem Bericht des Auswärtigen Amtes belastet worden. Dies alles spielt zusammen, um in Bonn eine ständige Krisenstimmung zu erzeugen. Ludwig Erhards Versuch, sich an die Spitze der Unzufriedenen zu stellen, ist durch sein Zaudern viel von seiner Stoßkraft genommen worden.-

So spricht vieles dafür, daß in den kommenden Wochen die Würfel um das fünfte Kabinett Adenauer fallen werden. Er hat damit, ohne zu wollen, die Diskussion um seine Nachfolge eröffnet.

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