6707229-1964_05_06.jpg
Digital In Arbeit

Und die Innenpolitik?

Werbung
Werbung
Werbung

Zunächst schien es, als müsse er über die geforderte Erhöhung der Kriegsopferversorgung Federn lassen, die durch seine Weigerung, den Bundesetat zu erhöhen, zu einer hochpolitischen Frage geworden war. Erhard blieb bei seiner Weigerung, und da sich tatsächlich im Bundesetat noch Einsparungen machen ließen, so wurden auch die Kriegsopfer versöhnt, die im Dezember ihrem nicht unberechtigten Unmut durch Demonstrationen Luft gemacht hatten. Erhard hatte sich als Sparsamkeitskanzler durchgesetzt. Das nächste Problem, das sogenannte Sozialpaket — eine Reihe von Reformen, die nur als Ganzes verabschiedet werden soljen —, ist von Erhard nie zur Prestigefrage gemacht . worden, obwohl seine eigene Fraktion nichts unversucht ließ, ihn darauf festzulegen. Es bestehen hier zwischen den Koalitionspartnern Meinungsverschiedenheiten, die von der Opposition nicht ohne Vergnügen geschürt werden. Es war vielleicht ein Fehler Erhards, daß er den wegen seiner Ungeschicklichkeit bekannten Arbeitsminister Blank in sein Kabinett übernahm, der an den Schwierigkeiten um das Sozialpaket keineswegs unschuldig ist. Die Schwierigkeiten sind noch nicht behoben. Doch hat Erhard es verstanden, hierbei die Rolle eines Maklers einzunehmen und jede Festlegung zu vermeiden.

Eine zweite Fehlbesetzung seines Kabinetts hat in der letzten Woche einiges Aufsehen erregt. Bundes-vertriebenenminister Krüger wurde beurlaubt, weil aus östlichen Quellen diskriminierende Tatsachen aus seiner Vergangenheit bekannt wurden. Krüger war offensichtlich einer jener später als Mitläufer bezeichneten beflissenen „Nazis“, die, vom Ubertritt zur Gottgläubigkeit angefangen, an allen Organisationen der NSDAP teilnahmen, die für ihn überhaupt in Frage kamen. Was sich jetzt erst herausstellte, war, daß er Beisitzer eines Sondergerichts in Polen war, das Todesurteile gegen Polen aussprach. Er verschlimmerte seine Situation noch durch die unbedachte, aber auch sehr bezeichnende Äußerung, er könne sich an solches nicht mehr erinnern, da ein Richter „ein Todesurteil damals ja rein routinemäßig“ gefällt habe. Es läßt sich offenbar nicht vermeiden, daß sich immer wieder ehemalige Nazis (um einen Nationalsozialisten im eigentlichen Sinn handelt es sich bei Krüger nicht) in ihrer entwaffnenden Charakterlosigkeit in höchste Staatsämter schwindeln. Es verdient aber angemerkt zu werden, daß man nicht, wie seinerzeit im Fall seines Vorgängers Oberländer, versucht hat, den Mann zu halten, sondern daß Erhard rasch und entschlossen seine Beurlaubung und die Untersuchung seiner Vergangenheit verfügt hat. Da mit Krüger nun zum zweitenmal ein stark vorbelasteter Vorsitzender der Vertriebe-nenverbände in das Kabinett gelangt ist, wird es sich in der Zukunft vielleicht empfehlen, diesen Verbänden, die obendrein ja nur noch einen Bruchteil der Flüchtlinge vertreten, keinen Ministerposten mehr anzubieten.

Fragt man nach dem Charakteristischen des neuen Stils, so wird man Erhards Bemühungen um Ausgleich zuerst erwähnen müssen. Erhard war nie ein Parteimann im eigentlichen Sinn. Während Adenauer keinen Zweifel darüber ließ, daß er der CDU angehörte und ihr Vorsitzender war, und sich nicht selten mit wahrer Freude in die Niederungen des Parteigezänks stürzte, ist bei Erhard das Bemühen da, diese Tatsache in den Hintergrund treten zu lassen. In diesem Sinn ist er für die CDU eine Enttäuschung, die sich auch nicht entschließen konnte, ihm den Parteivorsitz anzubieten. Als in der Haushaltsdebatte der Sprecher der SPD, Alex Möller, Erhard den Kanzler des ganzen deutschen Volkes nannte, meinten einige CDU-Abgeordnete, daß nun die SPD endgültig am Ende ihres Lateins angekommen sei. Daran ist so viel richtig, daß heute tatsächlich Erhard für die SPD viel gefährlicher ist, als es im Wahlkampf 1961 Adenauer je war. Erhards Stellung über den Parteien ist aber damit nur unvollständig charakterisiert.

Mit Erhard ist ein sachlicher Stil in die Politik gekommen, der manchem Politiker vielleicht ungewohnt ist, der aber nicht nur der innen-und außenpolitischen Situation Deutschlands entspricht, sondern vielleicht auch dazu beitragen kann, daß man in der landläufigen Meinung in Deutschland anfängt, die Politik für etwa anderes zu halten als ein schmutziges Geschäft.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung