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Kanzlerdemokratie in Agonie

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Die Hoffnungen, die viele mit der Rückkehr des Bundeskanzlers Doktor Adenauer aus seinem Urlaub verbanden, haben sich nicht erfüllt. Was viele mit seiner langen Abwesenheit aus Bonn erklären wollten, hat sich als strukturelle Krise des Kabinetts entpuppt, die ihren Grund nicht so sehr in Gegensätze der Minister als in der Person und dem hohen Alter des Bundeskanzlers hat.

Westdeutschland, mitten in der Auseinandersetzung um das künftige Schicksal der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin stehend, mußte in den letzten Wochen erleben, daß einige Äußerungen seines Kanzlers eine ebenso überflüssige wie schwere Vertrauenskrise mit Deutschlands treue-stem und stärkstem Verbündeten, Amerika, heraufbeschworen. Vergeblich bemühten sich die amtlichen Stellen in Bonn, die Angelegenheit als Mißverständnis hinzustellen. In Westdeutschland ist die erschreckende Wahrheit nicht mehr zu vertuschen. In Amerika aber, das sich nach außen mit den Erklärungen zufriedengab, hat Konrad Adenauer seinen Kredit weitgehend eingebüßt. Nimnjt man hinzu, daß den Bonner Intrigenkämpfen die beiden wichtigsten Botschafter der Bundesrepublik in Moskau und in Washington, Kroll und Professor Grewe, zum Opfer fielen, so wird erkennbar, in welchem Ausmaß Westdeutschlands Außenpolitik bereits den Anschluß verloren hat.

Diese Lage kann in der außenpolitischen Situation, in der sich die Bundesrepublik Deutschland befindet, gar nicht ernst genug genommen werden. Sie ist aber nur ein Symptom dessen, was man als die Agonie der Kanzlerdemokratie bezeichnen muß. Der Autoritätszerfall hat nämlich nicht nur, was das wirklich Gravierende der Situation ist, die Person des Bundeskanzlers ergriffen. Die wichtigsten Männer des Kabinetts sind davon nicht minder befallen. Hat man bisher angenommen, beim Rücktritt Adenauers werde sein Stellvertreter oder ein anderer seiner Mannschaft die Regierungsgeschäfte übernehmen, so ergibt sich jetzt die erschreckende Tatsache, daß in der Stunde der Not niemand da ist, der ernsthaft für die Nachfolge Adenauers in Frage kommt.

Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Ludwig Erhard, bisher das optimistische Symbol des Wirtschaftswunders, hat in seinem Streit um die Preiserhöhung des Volkswagens eine peinliche Schlappe hinnehmen müssen. Es lohnt an sich nicht, die einzelnen Stationen dieses Streites nachzuzeichnen. Zum Verständnis seien die Ereignisse kurz in das Gedächtnis zurückgerufen. Als der Leiter des Volkswagenwerkes, Prof. Nordhoff, unmittelbar nach Erhards Warnungen vor weiteren Preissteigerungen den Preis des Volkswagens 1200 erhöhte, nahm der Minister dies als einen Affront und versuchte mit allen Mitteln, diese Maßnahme rückgängig zu machen. Hierbei erwies sich Nordhoff als ein harter Gegner, der mehrmals gegebene Zusicherungen über Rücknahme der Preiserhöhungen nicht einhielt. Schließlich drohte Erhard aufgebracht mit einer Senkung der Einfuhrzölle für ausländische Automobile. In dieser Situation schaltete sich Adenauer ein. Die Öffentlichkeit in Bonn erwartete sich davon eine rasche Lösung des unerquicklichen Streites. Was kam, war eine neue Konfusion. Aus dem Bundeskanzleramt verlautete, im Volkswagen 1200 werde statt einer Preissenkung künftig ein Radio serienmäßig eingebaut. Die Informationsquelle stellte sich rasch als ein neues „Miß^ Verständnis“ des Kanzlers heraus, über das man geflissentlich versucht^ zur Tagesordnung übergehen zu können. Schließlich beschloß das Kabinett tatsächlich eine Zollsenkung von 50 Prozent für ausländische Kraftwagen über 800 Kubikzentimeter. Als aber diese Vorlage vor den Bundestag kam, entzogen sich auch die Abgeordneten der Regierungsparteien und machten den Bundestag durch Fernbleiben von der Sitzung beschlußunfähig. Erst im zweiten Anlauf kam die Zollsenkung durch. Ob sie Erfolg haben wird, ist Fachleuten noch zweifelhaft. Die Folgen sind schon jetzt beunruhigend. Der Kurs der Volkswagenaktien aber stürzte auf diese Maßnahme hin unter 600 Prozent und trug Unsicherheit in den großen Kreis der Volksaktionäre. Daß das Verhalten Nordhoffs einer Provokation gleichkam, soll nicht geleugnet werden. Aber es zeugte nicht von politischem Geschick Erhatds, sich in einer Frage derart festzulegen, ohne die Möglichkeit, sie auch im eigenen Sinn entscheiden zu können. Auch ist schließlich der Volkswagen kein solches Gebrauchsgut, daß es volkswirtschaftlich sinnvoll ist, eine Preiserhöhung derart zur Prestigefrage werden zu lassen.

Der stärkste Mann in Bonn, Bundesverteidigungsminister Franz Joseph Strauß, von dem man bisher immer angenommen hatte, er werde in der Auseinandersetzung um die Nachfolge Adenauers ein entscheidendes Wort mitsprechen, ist in eine Affäre verwickelt, die für den Autoritätszerfall in Bonn typisch ist. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ wies ihm im länner nach, daß er dem amerikanischen Verteidigungsministerium aus persönlicher Gefälligkeit für einen Du-freund eine Schwindelfirma, die inzwischen zu traurigem Ruhm gelangte, Fibag, empfohlen hat. Strauß hat zwar versucht, vor einem zur Untersuchung ier Affäre eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsausschuß sein Vorgehen als völlig korrekt hinzustellen, doch scheint in Bonn niemand geneigt, diese Auslegung von den Aufgaben eines Ministers in solchem Maß :ur offiziellen Lesart zu erheben, daß Strauß der Weg ins Palais Schaumburg freisteht.

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