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Signale in der Deutschlandpolitik

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Erst die Bürgschaft Bonns für einen Milliarden-Kredit an das Ostberliner Regime, dann der Besuch von Franz Josef Strauß bei SED-Chef Honecker: vor Wende im deutsch-deutschen Verhältnis?

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Erst die Bürgschaft Bonns für einen Milliarden-Kredit an das Ostberliner Regime, dann der Besuch von Franz Josef Strauß bei SED-Chef Honecker: vor Wende im deutsch-deutschen Verhältnis?

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Für manchen in der Union ebenso wie in der treuen publizistischen Gefolgschaft des bayrischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef s Strauß, aber auch ,4m Volk" brach hier und da eine kleine Welt zusammen. Die wenigsten vermochten und vermögen sich einen Reim darauf zu machen, wie das, was die neue Regierung als bestimmende Richtlinie ihrer Ost- und Deutschlandpolitik verkündet hat, mit den jüngsten Tatsachen in Einklang zu bringen ist.

Vom Grundsatz des „do ut des", Leistung nur um der Gegenleistung willen, scheint zumindest das jüngste Geschäft nicht bestimmt gewesen zu sein. Von notwendiger Härte in der Sache bei Flexibilität in der Form, von der Bundeskanzler Kohl in der Regierungserklärung gesprochen hatte, ist ebenfalls auf den ersten Blick nicht sehr viel zu erkennen. Also fragt sich der erstaunte Beobachter, wie - unter Berücksichtigung der aktuellen Ereignisse - die deutschlandpolitische Konzeption der christlich-liberalen Koalition denn nun aussehe.

Um die Antwort vorwegzunehmen: Ein Konzept gibt es nicht. Die Feststellung ist allerdings nur auf den ersten Blick so wenig schmeichelhaft, wie sie klingt. Tatsache ist jedoch, daß insbesondere die christdemokratischen Politiker in Bonn nach dreizehn Jahren Opposition einen großen Nachholbedarf in deutschlandpolitischer Erfahrung haben.

Während die SPD in der ersten Hälfte der siebziger Jahre ihre neue Ostpolitik inszenierte, verabschiedete sich die Union schmollend von dieser Bühne und beschränkte sich bis vor einem Jahr auf kritische Anmerkungen, die freilich rein aus Gefühlen gespeist wurden, nicht jedoch aus der tatsächlichen Anschauung von Möglichkeiten und Realitäten.

Weil vieles nicht so sein durfte wie es war, verschloß man sich in der Union allzu häufig der praktischen Erfahrung, die nicht zuletzt darin hätte bestehen müssen, daß wenigstens eine Handvoll christdemokratischer Politiker diskrete, aber gute Beziehungen zu verantwortlich handelnden Personen im anderen Teil Deutschlands unterhielt.

Das muß man wissen, um zu verstehen, wieso es kurz nach Beginn der lauthals verkündeten Wende auch in der Deutschlandpolitik so weiterzugehen scheint wie zuvor. Die Betonung liegt auf scheint. Denn geändert hat sich schon etwas, nur nicht im Sinne jener ewigen Kalten Krieger, die hofften, nun werde von Bonn aus endlich mit dem verhaßten Regime in Ost-Berlin Tacheles geredet.

Geändert hat sich zunächst einmal die Haltung vieler Unionspolitiker. Was während der Oppositionszeit noch mit starken Worten verkündet wurde, insbesondere die „harte Gangart" gegenüber der DDR, ist moderaten Tönen gewichen. Das ist weniger eine Frucht geheimer Strategien als vielmehr Folge der ernüchternden Erkenntnis, daß auch diese Bundesregierung ostpolitisch nur mit Wasser kochen kann.

Zweitens haben die amtlich mit der Deutschlandpolitik befaßten Politiker — Bundeskanzler Kohl, Staatsminister Jenninger und auch der innerdeutsche Minister Windelen — gleich zu Anfang gelernt, daß die innerdeutschen Beziehungen ein sehr sensibles Pflänzchen darstellen, das Gewaltkuren ebensowenig vertragen kann wie leichtfertig ausgelöste Kälteeinbrüche.

Für die Bundesregierung muß oberstes Ziel aller Deutschlandpolitik sein, die Lage für die Menschen im geteilten Deutschland zu verbessern, insbesondere also für die Bürger der DDR. Auf diesem Felde kann viel geackert werden, Fortschritte in der Freizügigkeit, die sich vor allem in einer Verbesserung der Besuchsmöglichkeiten auswirken, stehen an erster Stelle.

Für Bonn gibt es auch einen Hebel, an dem es sich ansetzen läßt. Die DDR befindet sich in einer fatalen wirtschaftlichen und finanziellen Lage. Gleichzeitig hat das Regime mit einer umsichgreifen-den Friedensbewegung zu kämpfen, die inwner mehr zu einer fundamental-oppositionellen Strömung wird. Sie unter Kontrolle zu halten, ist für Honecker und seine Mannschaft oberstes Gebot. Das um so mehr, als die katastrophale Versorgungslage der Bevölkerung mit Gebrauchsgütern des täglichen Bedarfs die Gefahr in sich birgt, das Unruhepotential im Lande noch zu vergrößern.

Gegensteuern kann das Regime jedoch nur, wenn es in der Lage ist, materielle Beruhigungspillen zu verabreichen. Dafür wiederum fehlt das Geld. Also sucht man sich auf den internationalen Kreditmärkten einzudecken. Dort aber hat die Kulanz nachgelassen, weil die DDR wegen säumiger Rückzahlungen früherer Kredite als nicht liquide gilt.

In dieser Situation steigt auch für Ost-Berlin die Bedeutung Bonner Bürgschaften. Denn nur auf diesem Umwege lassen sich zur Zeit Geldmittel auf dein Kapitalmarkt beschaffen. Die Bundesregierung weiß also um die Zwangslage der DDR, hat darum auch einen Hebel, mit dem sie Ost-Berlin zu Zugeständnissen auf dem innerdeutschen Feld bewegen könnte.

Theoretisch verfügt Bonn damit über ein hervorragendes Instrument, mit dem die Regierung Leistung nur gegen Gegenleistung, nicht wie die frühere Regierung Leistung gegen Hoffnung eintauschen kann. Die Sache hat nur einen Haken:

Ost-Berlin ist trotz aller Zwänge nicht bereit, sich in irgendeiner Form als Versager an den Pranger stellen zu lassen. Geschäfte mit Kapitalisten sind jederzeit möglich, Glaubwürdigkeitsprobleme hat Honecker da nicht. Aber was sofort trotzige Reaktionen zur Folge hat, ist ein öffentlicher Schaukampf um Geschäfte.

Ost-Berlin hat nichts gegen Zugeständnisse, aber sie dürfen nicht als abgepreßt erscheinen. Das hat die Bundesregierung erkannt, und sie scheint danach zu handeln. Freilich ist Bonn damit noch weit davon entfernt, ein deutschlandpolitisches Konzept zu haben. Man agiert und reagiert eher punktuell, wie der Milliardenkredit jetzt erweist. Aber eben deshalb steigen auch die Irritationen im eigenen Unionslager, weil man dort die langfristige Strategie vermißt.

Bundeskanzler Kohl hat bei seinem Besuch in Moskau sozusagen in der Höhle des Löwen den Obersatz des bundesdeutschen Grundgesetzes bekräftigt, nachdem mit allen Kräften eine Bonner Regierung die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit anzustreben hat. Das hat in Moskau wie in Ostberlin die Alarmglocken schrillen lassen.

Nun ist Kohl nicht so naiv zu glauben, eine Wiedervereinigung Deutschlands sei ein in absehbarer Zeit zu erreichendes Ziel. Das Wort von der Wiedervereinigung war vor allem an die heimatliche Adresse gerichtet gewesen. An weitergehenden Absichten stand nichts dahinter.

Indessen wäre die Reise von Franz Josef Strauß in die DDR nicht zustande gekommen, wenn Erich Honecker nicht ein großes Bedürfnis nach weiterer Information und Aufklärung - und natürlich nach weiteren Krediten gehabt hätte. Allerdings hat der CSU-Vorsitzende keine rühmliche Figur im Schloß Hubertusstock abgegeben, weil er schlicht und einfach schlecht vorbereitet war und sich von Honecker alte Hüte als neue verkaufen ließ.

So befindet sich Bonn zur Zeit noch in einer Phase des Tastens und Suchens. Signale wie der Milliardenkredit, der ja allen verkündeten deutschlandpolitischen Prinzipien widerspricht, dienen ebenfalls dem Ziel, die Grenzen Ost-Berhner Flexibilität auszuloten.

Es wäre nicht ganz fair, würde man der neuen Regierung unterstellen, sie treibe Deutschlandpolitik genauso blauäugig wie die vorangegangene. Allerdings muß sich Kohl sagen lassen, daß die bisherigen Schritte auf dem innerdeutschen Parcours keine deutliche Linie erkennen lassen.

Das kann solange toleriert werden, wie die Phase der Erkundungen andauert. Doch die Preise, die die Bundesrepublik dafür zu bezahlen hat, dürfen nicht zu hoch werden. Es muß bald Bewegung auf Ost-Berliner Seite erkennbar werden. Sonst verdient die Deutschlandpolitik der neuen Koalition keine besseren Zensuren als die der alten.

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