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Umdenken fällt schwer

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Für Bonn stellen sich bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Jugoslawien Fragen, über deren Schatten es nicht leicht springen kann. Belgrad hat seinerzeit Pankow anerkannt, obwohl es diplomatische Beziehungen zu Bonn unterhielt. Sehr zur Überraschung der Jugoslawen brach daraufhin Bonn die Beziehungen zu Belgrad ab. Dies war das einzige Mal, daß die Hallstein-Doktrin bis zur äußersten Konsequenz angewendet wurde.

Bonn, so kann man hier jetzt viel hören, muß also die Hallstein-Doktrin aufgeben, wenn es wieder mit Jugoslawien Botschafter austauscht, und das kann zur Folge haben, das andere Länder nun ebenfalls Pankow anerkennen, obwohl zwischen ihnen und Bonn diplomatische Beziehungen bestehen. Das Auswärtige Amt dürfte daher zur Zeit damit beschäftigt sein, abzusichern, daß ein solcher Fall nicht eintritt. Aus Bonner Sicht ist es ein Spezialfall. Den anderen kommiunistischen Staaten sind nach Bonner Auslegung die Beziehungen zu Pankow zufolge ihrer Abhängigkeit von Moskau von Anfang an immanent gewesen, nicht aber Belgrad.

Abgeklärt werden muß auch noch, daß Belgrad bisher den Standpunkt teilt, in Deutschland seien zwei Staaten entstanden. Gesprächsweise sagen Jugoslawen jedoch, sie seien durchaus für die Wiedervereinigung — wahrscheinlich aus Gründen, die mit der künftigen Politik Belgrads

gegenüber Moskau und auf dem Balkan zusammenhängen. Bonn und Belgrad müssen nun die richtige Formel finden. Es wäre aber denkbar, daß die Bundesregierung befriedigt wäre, wenn Jugoslawien eine Erklärung über das Selbstbestim-mungsrecht der Völker abgäbe.

In Bonn hat inzwischen ein verdeckter Wettstreit eingesetzt, welchem der zwei Koalitionspartner der Ruhm gebührt, daß die Öffnung nach Osten gewisse Fortschritte macht.

Diese Kontroverse erklärt sich aus dem Bemühen beider Parteien, sich schon für die Wahlen von 1969 aufzubauen. In der SPD gibt es fraglos Kreise, die bereit sind, für die Öffnung nach Osten hier und da Preise auf den Tisch zu legen, die wichtige Gruppen in der Union zu zahlen nicht bereit sind. Bei der SPD ist man aufgeschlossener, bei der CDU/CSU zurückhaltender, zumal hier im Untergrund noch die Politik mitwirkt, die seit Beginn der Bundesrepublik verfolgt worden ist. Das Umdenken ist zwar weit fortge-schriitteni verrät aber immer wieder noch Hemmungen. Vorerst sind die Barrieren, die Bonn stich selbst in semer Regierungserklärung aufgebaut hat, für den Osten viel zu hoch:

• keine Anerkennung Pankows,

• keine Vorleistung in bezug auf die Oder-Neiße-Linie und

• keine Aufgabe des Alleinvertre-

Es würde nicht wundernehmen, wenn Erfolg oder Mißerfolg der jüngsten deutschen Ostpolitik bei den Bundestagwahlen im Jahre 1969 eine erhebliche Rolle spielen würden. Auf der anderen Seite macht Moskau die Barriere, die Bonn sich selbst gezogen hat, zum Angelpunkt seiner Politik. Bonn hatte von vornherein damit gerechnet, daß seine „Öffnung nach Osten“ in Moskau Unbehagen und Mißtrauen hervorrufen würde. Deshalb hat die Bundesregierung von Anfang an den Sowjets erklärt, diese ihre neue Politik beabsichtigt nicht, Ost- und Südosteuropa den Sowjets abspenstig zu machen und Pankow zu isolieren. Natürlich hat dieses Argument im Kreml nicht verfangen. Im Gegenteil. Dort ist man unverkennbar seit einiger Zeit in genauer Abstimmung mit Pankow zur Gegenoffensive übergegangen. Mian fühlt sich so stark wie wohl noch nie. Sowjetische Diplomaten lassen gesprächsweise keinen Zweifel darüber, daß Moskau davon ausgeht, daß Bonn für seine Politik der Wiedervereinigung in absehbarer Zeit die Wesitmächte nicht aktivieren kann. Nur de Gaulle tritt diafür ein, allerdings unter klarer Betonung, daß die Oder-Neiße-Linie anerkannt werden müsse. Deshalb muß die Bundesregierung in Zukunft, wie es die Sowjets ansehen, in der Isolierung kämpfen.

Beides zusammen, die deutsche Aktivität und die Schwache der deutschen Stellung, dazu die unverrückbare Bonner Grundhaltung in der deutschen Frage, haben offensichtlich in Moskau den Gedanken eingegeben, jetzt Bonn auf Biegen und Brechen zum Schwur zu treiben. Deshalb spricht alles dafür, daß der Bonner Botschafter ZarapJcin keine Antworten auf die Liste von Punk- ■ ten mitgebracht hat, die die Bundesregierung ihm nach Moskau mitgegeben hatte. Diese Punkte, so betonte Bonn, ließen sich lösen und sollten gelöst wenden. Sie lagen vor allem im handelspolitischen, verkehrspolitischen und kulturpolitischen Bereich. Aber Moskau denkt nicht daran, hierauf einzugehen. Die ablehnende Reaktion Ost-Berlins auf die Briefe Kiesingers zeigt die Abhängigkeit Pankows in dieser Frage.

Für Moskau gibt es ganz offensichtlich nur eines: Jederzeitige Bereitschaft, auch die kleinen Fragen mit der Bundesrepublik zu regeln, und normale Beziehungen zu Bonn zu unterhalten. Aber dies setzt voraus, daß Bonn die „essewtials“ der sowjetischen Deuts'chlanclpalitik akzeptiert.

• Anerkennung der DDR,

• die Oder-Neiße-Linie,

• Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs und

• Totalverzicht auf Atomwaffen.

In Bonn ist den Eingeweihten seit einigen Wochen völlig klar geworden, daß Moskau hiermit das Schlachtfeld abgesteckt hat, auf dem es heute, morgen und übermorgen die deutsche Frage zur Entscheidung treiben will. Vorläufig sagt man in Bonn dazu lediglich, daß man sich durch die Haltung Moskaus nicht beirren lassen will und die Bemühungen um Öffnung nach Moskau fortsetzen wird. Dabei schwingt fraglos die Überlegung mit, daß in Ost- und Südosteuropa, wenn auch in verschiedenen Graden, einiges in Bewegung geraten ist und noch weiter in Bewegung geraten kann und daß Bonn dabei den Anschluß nicht verpassen sollte. Wohin das einmal in der deutschen Frage führen oder nicht führen kann, das läßt sich nicht voraussehen. Die Verantwortlichen in Bonn wissen das. Aber sie sind auch der Meinung, daß sie alle greifbaren Eisen ins Feuer legen sollten, um zu sehen, was sich einmal daraus schmieden läßt.

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