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Bonner Puzzlespiel

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Das Bonner Puzzlespiel ist in vollem Gang. An verschiedenen Stellen sitzen die Beamten und denken über die Frage nach, ob die deutsche Politik, namentlich die Ostpolitik geändert werden muß. Das ist der Sinn dessen, was Bundeskanzler Kiesinger als eine Überprüfung der deutschen Politik angekündigt hat.

Die Überprüfung kreist naturgemäß um die deutsche Frage und damit um das Verhältnis zwischen Deutschland und Sowjetunion. Aber sie erstreckt sich nicht allein darauf. In Bonner Sicht kann Ostpolitik erfolgreich nur betrieben werden, wenn Westeuropa als Ganzes auftritt. Daraus ergibt sich von selbst das Verlangen nach Verfestigung und Vereinheitlichung der westeuropäischen Gemeinschaft. Ebenso zwangsläufig stellt sich die Frage nach der deutschen Politik in der NATO und damit nach dem künfti-gen deutsch-amerikanischen Verhältnis.

Die neue „Moskauer Doktrin“

Aber vorerst will Bonn mit der Frage ins reine kommen, wie die „neue Moskauer Doktrin“ beschaffen ist, wie Kiesinger das Phänomen im Bundestag genannt hat. Kiesinger war durch dieses Phänomen schon seit geraumer Zeit beunruhigt, ebenso der gesamtdeutsche Minister Herbert Wehner. Offensichtlich liegen ihnen Informationen vor, von denen sie nach außen hin noch nicht gern reden mögen. Immerhin hat Wehner aber die Andeutung gemacht, man müsse nicht nur die am Tage liegenden, sondern auch die noch nicht zu Tage getretenen Tatsachen berücksichtigen.

Die Bonner Gedankenkette sieht etwa wie folgt aus: Das Festsetzen der Roten Armee in der CSSR bedeutet eine folgenschwere Veränderung der strategischen Lage.'Es kann einen einmaligen Vorgang darstellen. Es kann aber auch der erste Schritt in einer Reihe von weiteren Aktionen sein. Es kann allein der Konsolidierung des sowjetrussischen Machtbereiches dienen. Aber dann fragt es sich, was alles nach Moskaus Ansicht zu diesem Machtbereich gehört. Auch Jugoslawien? Auch Berlin? Darüber hinaus muß aber auch die Frage geprüft werden, ob Sowjetrußland sich mit dem Gedanken trägt, eines Tages über seinen Machtbereich hinauszugreifen.

Folgenschwer für die deutsche Politik ist endlich die Frage, wie sich das deutsche Problem im Licht der neuen Moskauer Doktrin darstellt. Zweifellos rechnet der Kreml auch die „DDR“ zu seinem Machtbereich. Welche Konsequenzen hat das für die deutsche Wiedervereinigung sowie für die Bonner Deutschland- und Ostpolitik?

Bisher hat Moskau die Bonner Politik hauptsächlich beschuldigt, sie strebe eine Veränderung des Status quo an und treibe deshalb zum Krieg. Diese Behauptung ist von der Bundesregierung immer wieder entschieden zurückgewiesen worden. Auch Kiesinger hat das jetzt wieder getan. Die Statusveränderung erblickt Moskau vor allem darin, daß Bonn nicht die „DDR“ anerkennen, sondern „verschlingen“ wolle.

Das „sozialistische Commonwealth“

Bei der Überprüfung der Bonner Politik schließt sich hieran sofort ein weiteres Problem. Im Zusammenhang mit dem Einmarsch in die CSSR hat Moskau unverhüllt zu verstehen gegeben, daß es nicht zulassen will, was es als eine Einmischung in das „sozialistische Commonwealth“ ansieht, wie der sowjetrussische Machtbereich dort neuerdings genannt wird. Aber schon die neue Ostpolitik Bonns, das heißt die Annäherung an die kommunistischen Staaten wird unentwegt von Moskau als Einmischung, ja als Aggression bezeichnet.

Logischerweise ergibt sich für Bonn hieraus sofort noch eine Frage: Bezeichnet Moskau das westdeutsche Bemühen um menschliche Kontakte zur Bevölkerung in der „DDR“ und das Bemühen um Wiederbereini- gung ebenfalls als eine Einmischung und Aggression, als Versuch des Eindringens in das „sozialistische Commonwealth“?

Aus Bonner Sicht spricht alles dafür, daß eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen politischen Lage «zu dieser Feststellung kommen wird. Hiezu tritt noch die Behauptung Moskaus, auf Grund der sogenann- ten Feindstaatenklausel der UNO- Charta habe Moskau das jederzeitige Recht zu einer Intervention gegen die Bundesrepublik, wenn diese sich nicht friedfertig verhalte. Die Westmächte haben zwar auf Verlangen Bonns versichert, nach ihrer Meinung sei die sowjetrussische These nicht haltbar. Aber was könnten sie tun, wenn Moskau sie trotzdem als rechtsgültig erklären und darauf eine Intervention aufbauen würde? Außenminister Brandt hat das Problem gegenüber dem sowjetischen Außenminister Gromyko in New York angeschnitten. Daraufhin hat Gromyko das Problem als „nicht dringlich“ abgetan. Aber dies geschah offensichtlich nur, um einer Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen. Moskau hält den Anspruch zweifellos aufrecht.

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