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Unartige Kinder am Rhein

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Moskau hat gegenüber Bonn andere Saiten aufgezogen. Das ist schon seit einiger Zeit im Gange, aber sehr unauffällig. Die Deutschen haben es anscheinend zum Teil noch immer nicht ganz durchschaut. Genau besehen handelt ės Sich natürlich nicht um spektakuläre Wandlungen. Dennoch sind sie wesentlich. Die Sowjets behandeln die Deutschen jetzt wie Kinder, die man fühlen läßt, daß sie alles haben können, wenn sie artig sind.

Unter artig verstehen die Sowjets freilich beträchtlich mehr, als die Deutschen für zumutbar halten. Aber die Russen, stur wie sie sein können, werden ihre Linie gewiß für eine geraume Zeit einhalten. Sicher werden sie eines Tages sogar sagen, sie hätten einen großangelegten, langmütigen Versuch unternommen, mit den Deutschen doch noch ein echtes freundschaftlichles Verhältnis herzustellen.

Das sowjetische Verhalten äußert sich neuerdings etwa darin, daß ein russischer Digest — Auszüge aus der sowjetischen Presse — unter dem Titel „Sputnik“ in deutscher Sprache erscheint. Ferner werden Ausstellungen und andere Unternehmungen veranstaltet. Dies alles soll die Sowjetmenschen und ihr Land den Deutschen näherbringen. Der Bonner Botschafter Zarapkin bemüht sich, auf unpolitischem Gebiet und im politischen Vorraum populär zu werden. Er lernt auch die deutsche Sprache. Gleichzeitig aber brüskiert er den Bundesaußenminister, indem er an Gedenkfeiern für Karl Marx in dessen Geburtsstadt Trier bei der außerparlamentarischen Opposition (SDS), nicht aber bei der SPD teilnimmt.

Dieses Verhalten geht offensichtlich auf die Annahme zurück, daß die nichtparlamentarische Opposition in Deutschland im Kommen sei. Nach 1945 ist hinreichend Erinnerungs- literatur veröffentlicht worden, die beweist, wie die Sowjets in aller Herren Ländern, teils weniger, teils mehr, diejenigen Kräfte fördern, denen nach ihrer Meinung die Zukunft gehört. Noch so viele Enttäuschungen haben die Sowjets nicht beirren können, diese Karte immer wieder aus dem Skat hervorzuziehen. Das wollen sie auch jetzt in der Bundesrepublik tun. Doch hat die Bundesregierung die Gefahr der außerparlamentarischen Opposition erkannt und wird Versuchen, den Anfängen zu wehren.

Überhaupt werden es die Sowjets schwer haben, durch ihre Propaganda in der Bundesrepublik zu überzeugen. Ihr treuester Statthalter Ulbricht macht die eindrucksvollste Propaganda gegen sie. Die Sowjets haben noch immer nicht erkannt, daß die Einstellung Pankows zur deutschen Frage das stärkste Hemmnis ist, ihre Politik in der Bundesrepublik attraktiv werden zu lassen.

Hier ist der Punkt, an dem die Sowjets mit den Deutschen in aller Öffentlichkeit beginnen, Fraktur zu reden. Sie machen jetzt kein Hehl mehr daraus, was Botschafter Smirnovu, der Vorgänger Zarapkins, bei seinem Abschied nur hinter verschlossenen Türen ausgesprochen hat: Deutschland hat den Krieg angefangen und verloren, es ist keine Großmacht mehr und wird es nie mehr werden — und die deutsche Wiedervereinigung liegt in weiter Ferne, wenn Bonn nicht zur Annahme der sowjetischen Bedingungen bereit ist, das heißt, auf Moskauer Kurs geht. Die Neutralisierung Deutschlands genügt schon nicht mehr.

Die alten Ziele sind aufrecht

Entsprechend verhält sich Moskau in der Frage des Atomsperrvertrages des Gewaltverzichtes und Berlins. Der Sperrvertrag ist für sie nur die Hälfte wert, wenn Bonn ihn nicht unterzeichnet. Der Gewaltverzicht interessiert den Kreml überhaupt nicht, weil die Sowjets gar keine Angst vor Deutschland haben, obgleich sie es ständig behaupten. Nur,, daß Bonn und Pankow einen Vertrag darüber schließen, das ist für Moskau wichtig, weil dies Bonn und Pankow erstmals als Verhandlungspartner auf höchster Ebene an einen Tisch brächte.

Und West-Berlin? Dias ist nach sowjetischer Auslegung ein „selbständiges politisches Gebilde“, gelegen auf dem Gebiet der „DDR“. Der Bund hat dort nichts zu suchen, weder dessen Präsident oder das Parlament noch ein Minister noch ein leitender Beamter der Bundesregierung. Den Regierenden Bürgermeister von Berlin läßt man durch die Zone fahren, aber nicht, wenn er zugleich Bundesratspräsident ist. Diese Maßnahmen Pankows haben das volle Einverständnis Moskaus. In der Bundesrepublik glaubt man zwar hier und da, Ulbricht presche vor, um den Kreml durch vollendete Tatsachen festzulegen. Aber dies ist ein grober, von Wunschbildern hervorgezauberter Irrtum.

Ist man mit dem Zusammensetzspiel der sowjetischen Deutschlandpolitik zu Ende, dann ergibt sich ein klares, überschaubares Bild. Die Sowjets versuchen, auf etwas anderen Wegen als bisher an das gleiche Ziel zu gelangen. Sie sind aber entschlossen, die Linie ihrer Politik scharf und unnachgiebig zum Tra gen zu bringen. Gleichviel ob die Deutschen diese Leitlinien, offen oder stillschweigend, akzeptieren, Moskau wird hart und unnachgiebig darauf achten, daß sie genau eingehalten werden — ohne daß es zu einem Zustand auf Biegen und Brechen kommt. In der Zwischenzeit warten die Sowjets, daß die

Zeit in der Bundesrepublik für sie arbeitet. Dabei glauben sie, am weitaus längeren Hebel zu sitzen. Und das macht es Bonns aufgeschlossener Ostpolitik so schwer wie seiner früheren Konzeption, in Moskau fruchtbare Ansatzpunkte für die Lösung der deutschen Frage im deutschen Sinne zu finden.

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