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Ein neuer Anfang

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Der einzige Punkt, über den sich die in Genf versamrtielten Außenminister der vier Großmächte nach sechswöchigen Verhandlungen geeinigt hatten, war der Beschluß, ihre Konferenz nicht endgültig als fruchtlos abzubrechen, sondern nur zu vertagen und nach einer dreiwöchigen Atempause fortzusetzen. Ein mageres Ergebnis für jene, die gehofft hatten, daß die kritisch zugespitzten Differenzen zwischen West und Ost, vor allem in der Frage Berlin, doch soweit überbrückt werden würden, um eine Grundlage für irgendwie aussichtsreiche Gespräche auf höchster Ebene zu bilden.

Im Rückblick auf die erste Genfer Session werden jetzt, zu Beginn der zweiten, wenige die optimistische Meinung Macmillans teilen, daß sich in der Zwischenzeit die Chancen für eine Verständigung merklich verbessert hätten. Zwar hat Moskau die Weigerung des Westens, sich unter ultimativem Druck setzen zu lassen,

schließlich zur Kentnnis genommen und durch die Erklärung Gromykos vom 28. Juni- die für den Abzug der alliierten Truppen aus Berlin gestellte Frist ins Unbestimmte verlängert; immerhin ein Anzeichen dafür, daß es Moskau darum zu tun ist, den in Genf angeknüpften Gesprächsfaden nicht ohne weiteres wieder abreißen zu lassen. Aber der Grund dessen liegt offenbar darin, daß, vom sowjetischen Standpunkt aus gesehen, die erste Phase der Genfer Tagung mit einer keineswegs uninteressanten Bilanz abgeschlossen werden konnte. Bei aller Betonung ihrer einmütigen Entschlossenheit, in der Frage der westlichen Besatzungsrechte in Berlin um keinen Zoll nachzugeben, fanden sich die Vertreter der Westmächte doch, im Zusammenhang mit dem Berliner Problem, zu einer Anzahl weitreichender Konzessionen bereit, obzwar ihnen dafür bis jetzt nicht die mindeste Gegenleistung geboten wurde. Die Folgerung, 'daß sich der Westen durch weitere Verhandlungen schließlich und endlich auch in der Kernfrage, der Sicherung West-Berlins gegen den kommunistischen Zugriff, ein Nachgeben abringen lassen würde, war daher für die sowjetische Diplomatie naheliegend.

Nach der Rückkehr von seiner jüngsten Rußlandreise erklärte der frühere US-Botschafter in Moskau, Averell Harriman, aus einem langen Gespräch mit Chruschtschow unter anderem den Eindruck gewonnen zu haben, daß der sowjetische Regierungschef über Dinge des Westens nicht immer richtig informiert sei: daraus ergebe sich die Gefahr, daß es bei dem Mann, der heute die Wege der sowjetischen Politik so gut wie allein bestimmt, zu einer Kurzschlußhandlung von weltkatastrophalen Folgen kommen könnte. Dieser Hinweis Harrimans sollte nicht unbeachtet bleiben. Schon von ihrer Doktrin her sind die sowjetischen Machthaber dazu disponiert, jede Meinungsverschiedenheit in der westlichen Welt und jede interne Reibung, wie sie in der Demokratie und in einem Bündnis demokratischer Staaten unvermeidlich ist, als Symptom fortschreitenden Kräfteverfalls zu betrachten. Sollten die westlichen Außenminister, im Bestreben, eine formale Voraussetzung für die von der UdSSR gewünschte Gipfelkonferenz zu schaffen, einer sogenannten Interimslösung zustimmen, die einem förmlichen Verzicht auf die Rechtsbasis gleichkäme, auf der die bewaffnete Anwesenheit des Westens in Berlin gegründet ist, dann würde dies Moskau als einen endgültigen Beweis dafür ansehen, daß es eine unwiderruflich äußerste Grenze des westlichen Zurückweichens vor sowjetischen Forderungen überhaupt nicht gibt.

Um der Gefahr rechtzeitig zu begegnen, die aus einem solchen Trugschluß entspringen könnte, wird es sich also jetzt darum handeln, den sowjetischen Verhandlungspartner davon zu überzeugen, daß sich der Westen durch kein wie immer geartetes Risiko davon abbringen lassen wird, seine Verpflichtung zum Schutz der Freiheit West-Berlins zu erfüllen. Das bedeutet nun freilich nicht, daß die Vertreter der Westmächte in Genf zugleich mit diesem Ziel nicht auch jede Möglichkeit im Auge behalten sollten, zu partiellen Uebereinkommen zu gelangen, die der Bevölkerung der zweigeteilten ehemaligen deutschen Hauptstadt gewisse Erleichterungen gewähren würden. Zu diesem Zweck wäre eine etwas • elastischere Haltung in der Frage unmittelbarer Kontakte zwischen bundesdeutschen oder West- Berliner Behörden und jenen der kommunistischen Deutschen Demokratischen Republik sicherlich zu rechtfertigen. „Deutsche Demokratische Republik“, das ist nun freilich eine Bezeichnung„ der man im Westen sorgfältig aus dem Weg zu gehen pflegt, gerade als ob in ihrem Gebrauch irgendwie eine Anerkennung der Zweiteilung Deutschlands als eines rechtlich begründeten, permanenten Zustands, oder gar eine Gutheißung des Herrschaftssystems, dem die Bevölkerung des Gebietes östlich der quer durch Deutschland gezogenen Demarkationslinie noch immer unterliegt, zum Ausdruck käme Solche Bedenken verraten eine Aengst- lichkeit, von der man sich endlich freimachen sollte. Die DDR ist zur Zeit eine Realität, die nicht dadurch zum Verschwinden gebracht werden kann, daß man sich nicht traut, ihren Namen auszusprechen. Sie wird erst dann in die Geschichte einer vergangenen, schmerzlichen Epoche eingegangen sein, wenn die rechten Mittel und Wege gefunden sind, um die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit wiederherzustellen.

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