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Berlin — Bonns Sorgenkind

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Berlin ist für Bonn zur Zeit ein weit größeres Sorgenkind, als es naen außenhin den Anschein hat. Die Gedanken in Bonn kreisen natürlich in erster Linie um die Frage, was die NATO tun müsse, um dem Aufmarsch von 20 so w j et rusSis chen Divisionen an der bayrischen Grenze auf dem Gebiet der CSSR entgegenzutreten. Aber die Gefahr für West- Berlin wird als noch bedenklicher angesehen.

Die Unruhe in Bonn rührt nicht zuletzt daher, daß die Westmächte und die anderen NATO-Staaten in der letzten Zeit in dieser Frage ziemlich schweigsam gewesen sind. Ihr Verhalten konnte den Eindruck erwecken, daß sie auf ähre Verpflichtungen in Berlin nicht zu gern angesprochen würden. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung vor einiger Zeit versucht, die Stiere bei den Hörnern zu packen. Sie hat den Westmächten den Entwurf einer Erklärung vorgelegt, die den Status West-Berlins bestätigen sollte. Grundsätzlich haben die Westmächte zwar zu dieser Initiative nicht Nein gesagt. Aber über den Inhalt der Erklärungen wird nun schon seit Wochen verhandelt, ohne daß man wesentlich vorangekommen wäre.

Das Verhalten der Westmächte, namentlich der Vereinigten Staaten, muß auf dem Hintergrund ihrer Entspannungspolitik gesehen werden. Sie möchten in Berlin alles vermeiden, was neuen Zündstoff in die Ost-West-Beziehungen hineintragen könnte. Auf der Gegenseite erklärt die sowjetische Propaganda unausgesetzt, Berlin werde weiterhin zu einem Agitationszentrum gegen den Osten ausgebaut. In diesem Zusammenhang stößt Moskau ständig Drohungen aus, die Folgerungen aus diesem Tatbestand würden nicht aus- bleiben.

Zurückschrauben!

Im Hinblick hierauf hatten die Westmächte schon vor einem Jahr eine Warnung an die Bundesregierung gerichtet. Sie hatten für die politische Präsenz der Bundesrepublik in Berlin eine gewisse Zurückhaltung empfohlen. Was damit im einzelnen gemeint se’n sollte, haben sie wohl nicht genau ausgeführt. Aber es ließ sich ahnen, woran sie dachten. Der Bundestag hält Sitzungen in Berlin ab, der Bundespräsident hält sich regelmäßig für einige Zeit dort auf, die Parteien (so die CDU im November) veranstalten ihre Parteitage in der ehemaligen Reichs- hauptstadt. Die Westmächte haben hiezu in der Vergangenheit nichts gesagt, vielmehr diese Vorgänge stillschweigend gebilligt. Nun hoben sie aber ihren Zeigefinger. Offensichtlich — wollten sie nicht nur, daß die politischen Aktivitäten des Bundes in Berlin nicht gesteigert, sondern eher, daß diese nach und nach zurückge- schra-ubt würden.

Eben dies war der Grund, weshalb die Bundesregierung, wie man im Jargon sagt, „es wissen wollte“. Sie stellte einen Katalog der Aktivitäten auf, die bisher in West-Berlin üblich waren. Die Westmächte sollten diesen Katalog unterschreiben und Moskau wissen lassen, daß die darin beschriebenen Aktivitäten nach ihrer Auffassung rechtens seien. Mit diesem Vorhaben ist die Bundesregierung jedoch nicht zum Zuge gekommen. Wohl sagt man sich augenscheinlich bei den Westmächten, daß man Bonn nicht gut einen Abbau der Aktivitäten zumuten könne, weil dies sofort als Einleitung eines Rückzuges aus Berlin ausgedeutet werden würde. Anderseits verspüren die Westmächte offenkundig auch wenig Neigung, ausdrücklich öffentlich zu bestätigen, daß die Aktivitäten zum Status von West-Berlin gehören. Man will einfach einer vertieften Auseinandersetzung mit Moskau über diese Frage aus dem Wege gehen.

West-Berlin gehört zum Bund!

Darum haben die Franzosen vorgeschlagen, sich darauf zu einigen, daß die Aktivitäten des Bundes unverändert, wenn auch mit Maßen, fortgesetzt werden sollten, dies aber lediglich in einer internen Vereinbarung festzulegen und nicht in Moskau formell zu überreichen. Daran dürfte indes die Bundesrepublik wenig interessiert sein. Die deutsche Öffentlichkeit ist daran gewöhnt worden, West-Berlin als ein Land des Bundes anzusehen, und erwartet daher von den Westmächten den gleichen Schutz für West-Berlin wie für die Bundesrepublik. Sie würde nicht verstehen, wenn die Westmächte nicht öffentlich für die Rechte auftreten würden, die sich die Bundesrepublik als selbstverständlich in Berlin immer genommen hat und gegen die die Westmächte jahrelang nioht das mindeste eingewendet haben.

Dieses Beharren auf der Zugehörigkeit West-Berlins zum Bund ist verstärkt worden, seitdem die Sowjets den Begriff des „selbständigen politischen Gebildes“ West-Berlin erfunden halben. In der ganzen Bundesrepublik steht man seit Jahr und Tag unter dem Alpdruck der sowjet- russischen Salamitaktik und fürchtet daher, auch auf West-Berlin könnte diese Taktik angewendet- werden und ihr schließlich erliegen. Ebenso hat man die Blockade aus dem Jahre 1948 sowie das Chruschtschow-Ultimatum aus dem Jahre 1958 nicht vergessen. Deshalb ist man hoch- empfindlich, wenn man daran denkt, daß die Westmächte nicht mehr zum bisherigen Status stehen könnten.

Was wäre, wenn …

Unter dem Eindruck der Ereignisse in der CSSR greift außerdem in der Bundesrepublik immer mehr die Besorgnis um sich, die Sowjets könnten eines Tages zum Versuch antre- ten, Berlin in die „DDR“ einzuver- leiben. Man traut ihnen alles zu und fühlt sich der Westmächte nicht mehr ganz sicher. In fast allen Gesprächen der Bundesbürger wird das Problem auf die knappe Formel gebracht, zur Verteidigung der Freiheit West-Ber lins würde keine westliche Macht in den Krieg ziehen, das sei den Sowjets genau bewußt, und daher brauchten sie nur einen ihnen geeignet erscheinenden Augenblick abzuwarten, um zuzugreifen. Die Bundesregierung nimmt diese Gedankengänge sehr ernst. Aber sie hat keine andere Wahl, als darauf zu vertrauen, daß die Westmächte in einem Augenblick der Katastrophe doch auf dem Plan sein würden. Darum will sie immer wieder von den Westmächten ein möglichst starkes, verpflichtendes Wort hören — und eben dies paßt den Westmächiten gar nicht ins Konzept.

Unter diesen Umständen wird die Stimmung in der Berliner Bevölkerung immer flauer, um so mehr, als die wirtschaftliche Lage dei Stadt nicht gerade leichter wird. Daß der amerikanische Außenminister Rusk soeben vor den Vereinten Nationen erneut das Eintreten für die Sicherheit der Stadt bekräftigt hat, wird man in Berlin ebenso aufmerksam zur Kenntnis genommen haben wie in Bonn. Aber die gedrückte Stimmung ist auch dadurch nicht weg- geblasen.

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