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Zehn Stunden Wartezeit

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Rauhen Gegenwind aus Osten müssen die politischen Meteorologen in Bonn und West-Berlin zur Zeit registrieren. Nach einer stürmischen Phase der Ost- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt-Scheel kommt die sozialliberale Regierung auf diesen Gebieten zur Zeit nicht nur wenig voran. Sie sieht sich plötzlich vielmehr sogar massiven Angriffen aus Moskau, Ost-Berlin und Warschau ausgesetzt. Andere Staaten des Ostens zeigen Bonn zumindest die kalte Schulter.

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Rauhen Gegenwind aus Osten müssen die politischen Meteorologen in Bonn und West-Berlin zur Zeit registrieren. Nach einer stürmischen Phase der Ost- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt-Scheel kommt die sozialliberale Regierung auf diesen Gebieten zur Zeit nicht nur wenig voran. Sie sieht sich plötzlich vielmehr sogar massiven Angriffen aus Moskau, Ost-Berlin und Warschau ausgesetzt. Andere Staaten des Ostens zeigen Bonn zumindest die kalte Schulter.

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In den Beziehungen zur DDR sieht sich Bonn trotz eines geheimen Notenwechsels zwischen Bundeskanzler Schmidt und SED-Chef Honecker vor die Tatsache gestellt, daß die DDR zur Zeit wenig Bereitschaft zeigt, die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten heute zu verbessern. Wochenlang mußte der Beauftragte der Bundesrepublik in der DDR, Staatssekretär Günter Gaus, auf einen Termin für die Aufnähme von Verhandlungen über den Ausbau der Verkehrsverbindungen zwischen dem Bundesgebiet und West-Berlin warten. Auf'der Leipziger Frühjahrsmesse trug die DDR-Führung ihr Desinteresse an einer Verbesserung der Beziehungen zu Bonn deutlich zur Schau und vermied demonstrativ einen Besuch bei bundesrepublikanischen Schaustellern.

Als es Ende März doch endlich zu Gesprächen über die Verkehrsverbindungen kam, zeigten diese, daß es bei der Lösung der hier anstehenden Fragen nicht sehr zügig vorangehen dürfte. Bonn möchte die Autobahn zwischen Helmstedt und Berlin verbessert wissen, wünscht den Ausbau von Teilen des Berliner Autobahnrings und den Neubau einer Autobahn Hamburg—Berlin sowie Verbesserungen im Eisenbahnverkehr zwischen Hamburg und Berlin. In keiner dieser Fragen zeichnet sich eine schnelle Lösung ab.

Eine noch deutlichere Wendung in der Haltung gegenüber der Bundesrepublik zeigen die UdSSR und Polen. Bereits vor etwas mehr als Jahresfrist waren die deutsch-polnischen Verhandlungen ins Stocken geraten, da sich polnische Wiedergutmachungsforderungen und bundesdeutsche Aussiedlungswünsche nicht auf einen Nenner bringen ließen. Nachdem diese Fragen durch Monate ungelöst waren und ihnen auch nicht weiter nachgegangen wurde, trug man von polnischer Seite nun wieder diese Forderungen massiv vor und verband sie mit deutlichen Vorwürfen.

Etwas überraschend für Bonn kam der Stimmungsumschwung in Moskau. Zunächst hielt man die Attak-ken der UdSSR für Folgen der Abwesenheit Breschnjews von der politischen Kommandozentrale. Doch auch nach der Wiederaufnahme der Amtsgeschäfte durch den KP-Chef änderte sich nichts. Bonn werden weiter Verstöße gegen die Entspannungspolitik, „Provokationen“ und eine „Gewaltdiplomatie“ vorgeworfen.

Hinter diesen Vorwürfen scheint die Absicht Moskaus zu stecken, Bonn in einigen Punkten, unter anderem bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, zu Zugeständnissen gegenüber der UdSSR zu bewegen.

Bonn wird immer wieder von den Sowjets ein Bruch des Viermächte-Abkommens vorgeworfen, so etwa bei der Einrichtung eines Umweltbundesamtes oder dem Vorhaben der Errichtung eines europäischen Zentrums für Berufsbildung. Formulierungen dieses Abkommens lassen hier für beide Seiten unterschiedliche Interpretationen zu, die Berlin weiter zum Prüfstein der Entspannung machen.

In Bonn reagiert man relativ gelassen auf die begrenzten Konflikte mit der UdSSR und anderen Staaten des Ostblocks. Die innenpolitischen, vor allem wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sind zu groß, als daß Ost-und Deutschlandpolitik, im Positiven wie im Negativen, die Beachtung vergangener Jahre finden könnten. Außerdem weiß man in der Bundesrepublik zu genau, daß sich die Beziehungen zu diesen Staaten trotz der jüngsten Konflikte in mancher Hinsicht weiter verbessern. So hat sich der Osthandel kräftig ausgeweitet.

Anderseits: Zu Ostern gab es an der Grenze zur DDR für Autos aus der Bundesrepublik bis zu zehn Stunden Wartezeit.

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