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Was wollte Breschnew in Prag?

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Der Generalsekretär der KPdSU und Vorsitzende des ZK des Obersten Sowjets, Leonid Breschnew, hat in diesem Jahr drei spektakuläre Reisen unternommen. Im April besuchte er Sibirien, zu Christi Himmelfahrt kam er auf vier Tage nach Bonn, am 30. Mai reiste er in Begleitung einer starken Partei- und Regierungsdelegation nach Prag.

Die Sibirien-Reise diente in erster Linie innenpolitischen Zwecken: Sie unterstrich die Bedeutung der Erschließung dieses schwierigen Gebiets und der Fortsetzung der Arbeiten an der Baikal/Amur-Magistrale. Dazu kam noch eine psychologische Komponente: Der Bevölkerung sollte demonstriert werden, daß Parteichef Breschnew gesund und fit sei. Der Staatsbesuch in Bonn war bereits Seit einem Jahr geplant, wurde sowohl aus politischer Opportunität wie aus ge-, sundheitlichen Gründen des Gastes aber immer wieder hinausgeschoben. Schließlich kehrte Breschnew aus Helmut Schmidts Heimatstadt Hamburg denn doch triumphierend in den Kreml zurück: Er hatte den Abschluß des deutsch-sowjetischen Wirtschaftsvertrags in der Tasche, der auf eine Laufzeit von 25 Jahren angelegt ist, also bis zum Jahr 2003 reicht.

Dieses „Abkommen über die Entwicklung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit zwischen der . Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR auf dem Gebiet der Wirtschaft und Industrie“ ist ein Vorleistungsvertrag von deutscher Seite. Juristisch gesehen ein Rahmenvertrag, bei dem der Teufel im Detail sitzt. Man wird abwarten müssen, was aus der Zusammenarbeit mit diesem Superstaat wird, bei dem die Politik vor der Wirtschaft kommt, und dessen feierliche Absichtserklärung zur Entspannung und Abrüstung nicht erst seit Helsinki und Belgrad etwas Dubioses an sich hat.

Vier Wochen vor Breschnew war auch der tschechoslowakische Partei-und Staatschef Gustav Husäk in Bonn, der erste Staatsbesuch eines Staatsoberhauptes von der Moldau in der westdeutschen Hauptstadt überhaupt. Diese Tatsache ist für die Qualifizierung von Breschnews Besuch in Prag nicht unbedeutend.

Folgt man nur dem, was offiziell und in den Kommentaren der tschechischen Presse zum Breschnew-Besuch berichtet wurde, muß es sich bei den Gesprächen und Verhandlungen lediglich um die „Entfaltung der sozialistischen Gesellschaft, ideologische Zusammenarbeit der beiden Bruderparteien, Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, Koordinierung von gemeinsamen Plänen und Kooperation in Schlüsselzweigen der Industrie“ gehandelt haben. Zur internationalen Lage haben die beiden Staatschefs wie immer festgestellt, daß „die weitere Entspannung auf wachsenden Widerstand bei den Kräften des Imperialismus, der Reaktion und der Parteigänger des Wettrüstens“ stoße. Dieselben Kräfte wären auch daran interessiert, die internationale Lage in Afrika und im Nahen Osten zu komplizieren. An solche allgemeine und klischeehafte Erklärungen und Kommuniques ist man gewöhnt, schließlich sollen sie ja auch die eigentlichen Gründe des Zusammentreffens, die wirklichen Schwierigkeiten und Probleme der Verhandlungspartner verdecken.

Was Breschnew tatsächlich nach Prag geführt hat und wie es wirklich um die Fragen stand, die zum Inhalt der Beratungen zwischen Breschnew und Husäk oder zwischen den Delegierten und Fachleuten geworden sind, wird nur aus den Zusammenhängen der gegebenen Verhältnisse und dem Zeitpunkt des Besuchs erkennbar. Für den viertägigen Besuch Breschnews in Prag dürfte folgendes eine Rolle gespielt haben:

• Die Visite erfolgt zehn Jahre nach dem „Prager Frühling“, dem Breschnew -' damals gewiß auch unter dem Einfluß Ulbrichts und Giereks -am 20. August 1968 ein gewaltsames Ende bereitet hatte. Diese Intervention gegen einen Mitgliedstaat des Warschauer Pakts mit Hilfe von Truppenteilen aus der UdSSR, Polen, Ungarn, Bulgarien und der DDR mußte Tschechen und Slowaken in ihrem nationalen Stolz schwer verletzen. Sie ist auch unvergessen geblieben, sind seither doch etwa 120.000 Mann sowjetischer Streitkräfte in der CSSR stationiert. Diese Intervention war völkerrechtswidrig und stellte einen schweren Verstoß gegen Artikel 2,4 der UN-Satzung, gegen Artikel 1 des Warschauer Pakts und gegen den „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ dar, der zwischen der CSSR und der DDR am 17. März 1967 abgeschlossen worden war. Gastgeber Husäk und Gast Breschnew hatten daher ein starkes gemeinsames Interesse, in diesem dekadischen Zeitpunkt das Verhältnis zwischen ihren beiden Staaten als stabilisiert erscheinen zu lassen., aniss aa söbM

• Der Besuch in Prag erfolgte nur wenige Wochen nachdem Husäk und Breschnew in der Bundesrepublik Deutschland waren. Beide sind daran interessiert, von Bonn Wirtschaftshilfe zu erhalten. In den tschechoslowakischen Zeitungen der letzten Monate war unschwer herauszulesen, daß es um die Wirtschaft und den Außenhandel des Landes keineswegs gut steht.

• Wirtschaftsanalytiker haben festgestellt, daß die UdSSR schon in den nächsten Jahren nicht mehr in der Lage sein wird, der CSSR die Rohstoffe für ihre Energiebetriebe und sonstigen Anlagen zu liefern. Erstes Anzeichen dafür war die drastische Benzinpreiserhöhung in der ÖSSR in jüngster Zeit. Prag wird sich zukünftig vieles auf dem freien Weltmarkt - insbesondere auch im Westen - selbst besorgen müssen. Zahlreiche Produktionsbetriebe sind veraltet, brauchen neue Technologie, viele Großbetriebe benötigen dringend ein effizientes Management.

• Im Kreml und auf dem Hradschin hat man seit Helsinki und Belgrad auch Sorgen im ideologischen Bereich. Vor dem Besuch Breschnews wurden wieder eine Reihe von Dissidenten aus dem Kreis der Charta 77 verhaftet und damit die bloßen Bekenner einer freiheitlichen Gesinnung unter den Begriff „Verbrechen gegen den Staat“ des Strafgesetzbuchs subsumiert. In der Sowjetunion wurde erst kürzlich Juri Orlow zu einer mehrjährigen Freiheits- und Verbannungsstrafe verurteilt, und Breschnews Sorgen mit Sacharow und den „Eurokommunisten“ sind in letzter Zeit nur noch größer geworden.

Es fällt auf, daß meistens die Tschechen und Slowaken vorgeschickt werden, wenn es darum geht, gegen den „Eurokommunismus“ und sonstige ideologische Abweichler zu polemisieren. Diese Probleme haben in Prag eine nach außen hin zwar nicht zugegebene, aber doch recht wichtige Rolle gespielt. Für viele CSSR-Bürger war Breschnews Erscheinen ein Auftreten am Tatort, an dem die Wirksamkeit der Breschnew-Doktrin von der eingeschränkten Souveränität im sozialistischen Staatenblock demonstriert werden sollte.

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