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Alte Leiden, aber keine neuen Rezepte

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In der großartigen Propagandaschau der KPdSU, ihrem 26. Parteitag, als byzantinisches Ritual und wohleinstudiertes Spektakel ein Spiegelbild der auslaufenden Ä ra Breschnew, setzt der Generalsekretär und Staatspräsident die Glanzlichter. Seine Rede zum Auftakt bildet wie vor fünf zehn und fünfzehn Jahren den Höhepunkt des Kongresses, alle anderen Vorträge im Kongreßpalast sind, insgesamt gesehen, nichts weiter als eine Paraphrase dessen, was Leonid Breschnew gesagt hat.

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In der großartigen Propagandaschau der KPdSU, ihrem 26. Parteitag, als byzantinisches Ritual und wohleinstudiertes Spektakel ein Spiegelbild der auslaufenden Ä ra Breschnew, setzt der Generalsekretär und Staatspräsident die Glanzlichter. Seine Rede zum Auftakt bildet wie vor fünf zehn und fünfzehn Jahren den Höhepunkt des Kongresses, alle anderen Vorträge im Kongreßpalast sind, insgesamt gesehen, nichts weiter als eine Paraphrase dessen, was Leonid Breschnew gesagt hat.

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Noch immer betrachtet der Generalsekretär die Außenpolitik als sein besonderes Anliegen und als seine persönliche Domäne. Vor einem Jahrzehnt hat Breschnew auf eben diesem Forum sein Friedensprogramm entwickelt und die Politik der Entspannung in sowjetischer Lesart entworfen, um die Konfrontation des Kalten Krieges zu ersetzen.

Die Entspannungspolitik, als deren Schöpfer und Initiator Breschnew im gesamten Einflußbereich Moskaus gefeiert wird, ist nun aber unter dem Eindruck der Ereignisse in Verdacht geraten, seiner Natur nach vordringlich das zu sein, was Außenminister Gromyko noch vor wenigen Wochen als „spezifische Form des Klassenkampfes“ bezeichnet hat: ein Vehikel, westliche Technologie und Produktion ins Land zu rufen, ohne dafür das kommunistische Prinzip der Welteroberung fahren zu lassen.

Sie, die Entspannung, hat den Kreml nicht abgehalten, in Afghanistan einzumarschieren, in der Dritten Welt zu expandieren und im unmittelbaren Herrschaftsgebiet im Sinne der „Breschnew-Doktrin“ unter beschränkter Souveränität der Vasallen zu agieren.

Nach.einer Kette enttäuschender Erfahrungen fragt sich der weltpolitische Gegenspieler im Weißen Haus, ob die vielgerühmte Entspannung tatsächlich existiert; Carters Nachfolger Ronald Reagan läßt sogar Zweifel an den moralischen Voraussetzungen der Kremlführer laut werden.

Breschnews Angebot zu einem neuen Gipfeltreffen ist ernst gemeint. Mit diesem Vorschlag, der den Beweis für Friedensbereitschaft erst in ferner Zukunft verlangt, will Breschnew von der Entspannung retten, was noch zu retten ist. Dieses Angebot, gekoppelt mit Fortschritten in der Rüstungskontrolle und neuen Verhandlungen zum geplatzten SALT-II-Abkommen ist - in deutlicher Distanz zu Reagans heftiger Attacke gegen Moskau - in konziliantem Ton gehalten.

Die Kongreß-Regie sorgt für die Balance in der Ausdrucksweise: Verteidigungsminister Ustinow kann sehr wohl wieder eine kaltkriegerische Note ins Spiel bringen, wie es dem Herrn der Roten Armee ansteht, nachdem der Parteichef Entgegenkommen und Versöhnung gezeigt hat.

Washington reagiert positiv, aber reserviert. Der Versuch des Generalsekretärs, die in Verruf geratene Detente wieder salonfähig, vertrauenswürdig zu machen, wirkt überzeugend. Amerikas Zustimmung zu einer persönlichen Begegnung auf höchster Ebene ist nicht von heute auf morgen zu fällen, zumal Reagan eine gewisse Anlaufzeit zugestanden wird.

Die in den Vorschlag eingebauten Fußangeln sind unübersehbar. Breschnew weiß sehr wohl um die unterschiedliche Gewichtung, die der Entspannung von den westlichen Bündnispartnern beigemessen wird. Reagan - und mit ihm Großbritanniens Eiserne Lady Margret Thatcher - neigt dazu, östliche Friedensschalmeien zu überhören, zumindest so lange, als der Kreml nicht bereit ist, Worten Taten folgen zu lassen.

Bonn wiederum und zögernd Paris halten in je eigenen Varianten an der Ostpolitik fest, sehen darin das brauchbare Mittel, Moskau Konzessionen in

der Wirtschaft, im humanitären Bereich und in der Wahrung der Menschenrechte abzujagen. Nur Entspannung und die Rücksicht darauf könne verhindern, daß sich Moskau in ein neues Afghanistan-Abenteuer stürzt und den Freiheitswillen in Polen mit Gewalt unterdrückt.

Breschnew verspricht Warschau, Hilfe in den „Nöten“, eine Formulierung, die durchaus auch als zynische Drohung aufgefaßt werden kann. Und außerdem: Solange die beiden Großmächte miteinander reden, lassen sie die Waffen ruhen. Diese unterschiedliche Einschätzung von Detente in den westlichen Hauptstädten trägt den Keim von Zwietracht in sich, ein Merkmal, dessen sich Breschnew zu bedienen gedenkt.

Die Sowjets stehen vor dem längst bekannten Dilemma, ihre Rolle als Großmacht zu spielen und eine Gesprächsbasis mit dem Weißen Haus zu finden, diese Position aber ständig durch die ideologisch begründete, taktisch bemäntelte Strategie der Expansion in Frage zu stellen. Sie brauchen die Entspannung, um ihre Interessen als Beherrscher der östlichen Hemisphäre zu vertreten. Das heißt aber noch nicht Verzicht auf Ausweitung des Einflusses durch Waffenhilfe.

Ideologisch ist der Widerspruch durch einen propagandistischen Kunstgriff überbrückt: Friedliches Nebeneinander der beiden Welten - gut, aber die weltanschauliche Auseinandersetzung geht weiter, diese schließt den Schutz von angeblich oder wirklich unterdrückten Völkern ein. Nun steht die Restaurierung der in Mißkredit gebrachten Entspannung wieder im Vordergrund. Breschnew macht deshalb klar: beide Welten haben in Tuchfühlung zu bleiben, Raum für Verhandlungen ist gegeben.

Ministerpräsident Tichonow ermutigt die Vereinigten Staaten, stärker ins Ostgeschäft einzusteigen, „auf der Basis von Gleichheit und zum beidseitigen Vorteil“. Eine unerfreuliche Wirtschaftsbilanz macht westliche Importe notwendiger denn je zuvor. In der Kritik setzt wieder Breschnew die Leitlinie, indem er von Verschleuderung, von unerreichten Planzielen, von Engpässen spricht und soziale Probleme (Trunksucht, Wertverlust der Familie, schwindende Arbeitsmoral) aufzeigt.

Dem außenpolitischen Dilemma folgt ein ebensolches im Innern: Die Sowjetunion ist eine Großmacht durch ihre militärische Stärke, nach dem Lebensstandard gemessen ein Entwicklungsland.

Nach den jüngsten Schätzungen der Weltbank ist das sowjetische Pro-Kopf- Einkommen zurzeit etwa 40 Prozent dessen, was ein Amerikaner im Durchschnitt verdient und nur die Hälfte des Salärs eines Japaners.

Tichonow, der willfährige Gefolgsmann Breschnews (Vorgänger Kossy- gin war das nicht), präsentiert dieselbe Aussicht, die der Generalsekretär schon 1971 vorgebracht hat: der Untertan könnte besseren Lebensstandard nur durch größere Produktivität erkaufen, dadurch, daß er sich am Arbeitsplatz mehr ins Zeug legt. Das spricht nicht gerade für einen Erfolg.

Die Leiden sind die alten, die Klagen dieselben und die Rezepte sind auch nicht neu. An die Substanz geht die Kritik nicht, die vergreiste Kremlführung

ist unfähig, ihre Fehler zu erkennen. Uberzentralisierung und Mammutbürokratie sind nur die augenfälligsten Erscheinungen. Das System war ein Fehlschlag und die starre Befolgung von Dogmen trotz besserer Einsicht in der Realität wirkt sich zum Schlechten aus.

Solange sich der Sowjetkonsument mit den Abfällen der Rüstungsindustrie bescheiden muß, besteht keine Aussicht auf Besserung.

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