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Weltpolitisches Mosaik

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Der jüngst veröffentlichte Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs der UNO gibt einen Rückblick auf eine dreijährige Periode vielseitiger und nicht immer störungfrei abgelaufener Arbeit auf höchster zwischenstaatlicher Ebene. Diese Organisation ist wahrlich nicht allen Gedankengängen und Hoffnungen gerecht geworden, die ihre Schöpfer seinerzeit durch sie ver- verwirklicht sehen wollten, aber es wäre auch abwegig, anzunehmen, daß sie in allen Fällen hätte stärker sein können als die Tatsachen, die sich ihr entgegenstellten. Der Sicherheitsrat ist keine Weltregierung, noch die Generalversammlung ein Rat, in welchem die auseinandergehenden Interessen der großen und kleinen Mächte eine universale Lösung finden könnten. Tatsache ist, daß die Voraussetzungen — wie dies auch der Generalsekretär der UNO, Trygve Lie, offen zugesteht — für das Wirken einer die politische, wirtschaftliche und soziale Gestaltung der Welt b i n- d e n d e n Körperschaft derzeit noch nicht gegeben sind. Die weltanschauliche Teilung zwischen dem Osten und Westen hat ohne Zweifel zu einer Vertiefung der Gegensätze auch auf politischem Feld geführt, deren Stärke einschneidend in das politisch-soziale Gefüge aller unmittelbar und mittelbar beteiligten Staaten eingreift. Wie weit ist man doch noch von der Lösung der vordringlichsten Nachkriegsprobleme entfernt!

Der Abschluß einer den gesamtdeutschen Fragenkomplex — von der Erledigung des österreichischen Staatsvertrages abgesehen ordnenden Vereinbarung steht noch im Zwielicht machtpolitischer Erwägungen, wozu Berlin einen lokalen, wenn auch äußerst wichtigen Ausschnitt dieses erdumspannenden schicksalhaften Ringens darstellt;, ebenso entfernt ist man von der Bereinigung der Streitigkeiten im Fernen Osten — Korea wurde zu einem Begriff —. wie auch der immer wieder aufflackernde Krieg in China und Indonesien und die von einem wilden Fanatismus der eingeborenen Bevölkerung getragenen Unruhen in Burma, Malaya und Indonesien das Bild einer nicht zur Ruhe kommenden Welt abrunden. Ganz weit und in kaum mehr fühlbare Entfernung sind die Möglichkeiten auf einen vernünftigen Ausgleich der alle Völker der Siegerstaaten finanziell schwer belastenden Rüstung gerückt; hieher gehört auch die Einstellung der Arbeiten der Kommission für Atomenergie, da es unmöglich schien, in irgendeinem Punkt zu einer wirklich befriedigenden Lösung zu kommen. Jedenfalls sind — unleugbar — die Hoffnungen, die in die übernationale Organisation der United Nations als wirksames Instrument zur Herstellung eines festen und dauerhaften Weltfriedens — einer „Pax Mundi" gesetzt worden sind, nicht voll erfüllt worden.

Niemand kann achtlos an dem dunklen Hintergrund menschlicher Unzulänglichkeit vorühergehen. Wenn der Generalsekretär der UNO an die Weltöffentlichkeit appelliert, ihre manchmal harte Kritik an den Arbeiten dieser Organisation zu mildern und die zugegebenen Schwierigkeiten in der heutigen weltpolitischen Gesamtlage zu suchen, so wird diese Aufforderung aber wohl nur ein gedämpftes Echo finden. Auch dann, wenn man nicht den finanziellen Aufwand und den Erfolg einer Sache kritisch gegenübenstellt, wobei insbesondere bei der herrschenden Dollarknappheit in die Waagschale fällt, daß hur 20,5 Prozent des jährlichen Mitgliedsbeitrages in anderen Währungen als in Dollar, beziehungsweise 12,5 Prozent (von dieser Quote) in ebenso schwer aufbringbaren Schweizer Franken bezahlt werden können. ,Hiezu kommt noch eine nicht minder gewichtige Tatsache. Die beidenHauptarbeitszentren der UNO sind New York und Genf, so daß für die Ausstattung der einzelnen Delegationen, die in diesen Knotenpunkten arbeiten, zusätzliche Dollar- und Schweizer-Franken-Mittel erforderlich sind. Diese Mittel waren in der Tat nicht gering, da die abgehaltenen Konferenzen — in den letzten zwölf Monaten waren es 2000 in New York und die gleiche Anzahl in Genf — mit ihrem auf 220 Millionen Maschindruckseiten — nur für interne Aktenvermerke! — angewachsenen Aktenmaterial steigende Aufwendungen erforderten. Schon dieser Kostenaufwand legt den einzelnen Regierungen die Frage vor gerechtfertigt —, ob hinter all diesen umfangreichen Arbeiten, diesem Berg von Dokumenten und den Tonnen an Übersetzungsmaterial und all den hohen Kosten auch ein entsprechender realer Wert steht.

Wird von den meßbaren Aufwänden abgesehen und in eine genauere Überprüfung der auf den Feldern der großen Politik, Wirtschaft und des Soziallebens geleisteten Arbeit eingegangen, so kann wohl gerechterweise gesagt werden, daß in diesen Jahren trotz allen Schwierigkeiten manch bedeutender Fortschritt erreicht worden ist. Das vom Wirtschafts- und Sozialrat und seinen Unterausschüssen vollbrachte Werk wäre allein besonderer Würdigung wert. Da ist die deffizile Sammelarbeit für das hochaktuelle weltstatistische Ziffernmaterial, da sind die exakten und für wissenschaftliche Zwecke unentbehrlichen Wirtschaftsanalysen der Bericht über die wirtschaftliche Lage Europas durch die Europakommission war ein Schulbeispiel dieser Art —, da sind

, weiterhin die Leistungen der einzelnen wirtschaftlichen Regionalkomitees und die stillen, aber für das Sozialleben der Völker wichtigen und umfänglichen Arbeiten. Ein Großteil dieser letzteren Arbeiten wurde vom Völkerbund übernommen und erstreckt sich auf die Kontrolle des Rauschgifthandels, die Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels, den Schutz der Arbeitsinteressen usw. Es darf aber auch der ausgebreiteten Wohlfahrts- uhd Sozialtätigkeit (Gerechtigkeit gezollt werden, wie sie in der Speisung von vier Millionen hilfsbedürftigen Kindern, in dem zähen Kampf gegen die Tuberkulose ihren sichtbaren Ausdruck findet. Freilich wird heute der Wert der Tätigkeit dieser Organisation — sowohl bei der breiten Weltöffentlichkeit als auch im Schoße der Regierungen — weit mehr von den sichtbaren Ergebnissen auf politischem Feld bemessen und stimmungsmäßig gewertet, als die Arbeit auf der ökonomischen und sozialen Ebene. Leider ist diese Erscheinung für die heutige Weltlage symptomatisch.

Kann somit nach den frucht- und endlosen Debatten im Sicherheitsrat, die meist mit einem Veto versandeten, den United Nations überhaupt eine politische Realität zuerkannt werden? Dies ist die Frage, die heute Millionen Menschen bewegt und jene Furcht vor einer neuen Kriegsgefahr erzeugt, die wie ein Alpdruck heute auf der unglücklichen Welt lastet. Sind die United Nations wirklich ein brauchbares Instrument, die Spannung in der Welt zu mindern und einen Appell an die Waffen kinauszuzögern, so ist ihr steigendes Budget, sind die 34 Millionen Dollar, die allein im Jahre 1948 für ihre Zwecke bisher verausgabt worden sind, tatsächlich gering anzuschlagen für die Dienste, die sie der Menschheit leistet. Die Kräfte, die dem Frieden heute dienen, sind in der Tat nicht sehr zahlreich und durchschlagskräftig, so daß es schon als Gewinn zu buchen ist, wenn überhaupt ein solches über den Parteien und Interessenkonflikten stehendes Forum existiert, dessen Statut nicht der Krieg, sondern die Erhaltung des Friedens ist.

Die UNO ist in diesen Tagen steten Wetterleuchtens unbestreitbar der einzige Platz,, wo sich die großen Mächte regelmäßig, zum offenen, wenn auch manchesmal harten, Meinungsaustausch treffen und sich — wie dies im Palästinakonflikt der Fall war — auch eine von der herrschenden Mächtekonstellation abweichende Gruppierung ergeben kann. Dieser unmittelbare und jeweils auch mit albwechselnden Fronten hergestellte Kontakt ist es, der bestimmten gefährlichen Entwicklungen vorbeugt, oder diese zumindest zeitlich abbremst. Als eine andere vom Sicherheitsrat wahrgenommene wichtige Funktion kann wohl die ständige, aufmerksame Beobachtung jeher weltpolitischen Spannungsfelder, die vielleicht ernstere Schwierigkeiten auslösen könnten, gelten. So sind in den letzten drei Jahren fast sämtliche derartige potentielle Konfliktherde vor dem Sicherheitsrat aufgezeigt und vor aller Öffentlichkeit behandelt worden. In allgemeiner Erinnerung ist noch die sowjetrussisch-persische Krise um Aserbeidschan im Jahre 1946, die griechische Frage, Südkorea, Indien (Kaschmir) und schließlich die Entwicklungen um den vorderasiatischen Brückenkopf Palästina, alles Sektoren der Weltpolitik; die unter Umständen einen an sich lokalen Konflikt sehr leicht zu größerer Bedeutung hätten werden lassen können. Die Tatsache, daß ein bestimmter Streitfall vor das kritische Forum anderer Mächte gebracht und, vom lokalen Hintergrund losgelöst, verhandelt wird, bedeutet für jede im Streit verwickelte Partei einen psychologisch nicht unwesentlichen Wechsel der Szenerie und damit auch eine beruhigtere Verhandlungsatmosphäre.

Die hauptsächlichste Rechtfertigung für die Existenz des Sicherheitsrates liegt aber wohl darin, daß. es ihm in den letzten Jahren wiederholt gelungen ist, in einem, bereit offen ausgebrochenen Kampf erfolgreich zu intervenieren und dem gegebenen Feuereinstellungsbefehl Wirksamkeit zu verschaffen. Gewiß, es handelte sich in allen diesen Fällen nicht um einen unmittelbaren Konflikt der Weltmächte selbst, doch konnte jeder der schon genannten Fälle — Indonesien, Kaschmir und Palästina — in seinen Ausstrahlungen lokalisiert werden. Das Votum des Sicherheitsrates ist von der einen oder anderen Seite jedesmal nicht unwidersprochen geblieben, doch keiner, der Widerpartner hat aus dieser seiner ablehnenden Haltung die Konsequenz eines vollständigen Bruches oder hoch weit gefährlichere Folgerungen zu ziehen gewagt-, Ebehsö hemmte ein ausgesprochenes Veto die anlaufende Befriedungsaktion in- keinem- der Fälle; die Verhandlungsebehe ist zur Beilegung der Streitigkeiten nie verlassen worden. Wenn auch keiner der zitierten Fälle endgültig bereinigt werden konnte, so sind doch Fortschritte und Verfeinerungen jn der Behandlungstaktik von . der kommissiąnellen Schlichtung — Fall Indonesien — bis zur persönlich diplomatisch-geschmeidigen Intervention eines Sonderdelegierten der UNO — Palästina — unverkennbar.

Die Schwäche des ganzen Verfahrens vor dem Sicherheitsrat liegt ohne Zweifel in dem Fehlen einer genügend starken militärischen Autorität, um einem ergangenen Schiedsspruch des Rates den notwendigen Nachdruck zu geben. Der mögliche Einsatz internationaler Streitkräfte ist in jedem Einzelfall, eine heikle Angelegenheit, doch würde hier vor allem der Ausbau der internationalen Rechtsordnung diesen Streitkräften den erforderlichen moralischen Hintergrund geben.

Wenn der jüngste Bericht des Generalsekretärs der UNO zur Erhöhung der Autorität des Sicherheitsrates zunächst die Aufstellung einer internationalen Polizeitruppe, die keinen offensiven Zweck haben soll, fordert, so ist dies die Konsequenz aus gegebenen Situationen, die eine Abkürzung latenter Spannungen durch die bloße Anwesenheit solcher Truppen bei gleichzeitig laufenden Verhandlungen erwarten lassen. Ob diese Kontingente zum Kader für eine spätere wirkliche Weltexekutive werden, wird wohl noch abzuwarten sein. Wie überall, sind ja auch im Sozial- und Völkerleben die Entwicklungen heute stark in Fluß.

Die Existenz der UNO, dieser übernationalen schiedsrichterlichen Körperschaft, hat in den vergangenen drei Jahren trotz aller Enttäuschungen und Rückschläge durch ihr bloßes Dasein von einer nüchternen Beurteilung ihre Rechtfertigung erfahren. Rechnet man noch die wirtschaftlichen und sozialen Beiträge hinzu, so ist der Organisation insbesondere im Interesse der kleinen Völker eine schöpferische Weiter- eritwicklung zu wünschen. Der Österreicher wird schon aus der eigenartigen geopolitischen Lage unseres Landes heraus Arbeiten dieses internationalen Organs, die zugleich Arbeiten an einer umfassenderen und haltbaren Völkerrechtsordnung sind, mit Verständnis und dem ehrlichen Willen zur positiven Mitarbeit folgen.

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