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Wie lange noch „Vereinte“ Nationen?

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Die diesjährige Generalversammlung der Vereinten Nationen wird sich infolge eines Mammutprogramms über drei Monate erstrecken und dies allein zeigt schon die Fülle der Probleme, mit denen sieh die Weltorganisation gegenwärtig befassen muß. Dies ließe zunächst den Schluß zu, daß die UN an Bedeutung und Prestige gewonnen hätten. Würden denn ihre Mitglieder so zahlreiche Fragen an sie herantragen, wenn sie nicht erwarteten, daß wenigstens ein Großteil der vorliegenden Traktandenliste erledigt wird? Dieser Schluß ist aber leider nicht zutreffend. Niemand, der die Verhältnisse auch nur halbwegs kennt, kann auch nur im Entferntesten annehmen, daß es dieser Generalversammlung gelingen werde, auch nur einen bescheidenen Teil der offenen Probleme wirklich zu bereinigen.

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Die diesjährige Generalversammlung der Vereinten Nationen wird sich infolge eines Mammutprogramms über drei Monate erstrecken und dies allein zeigt schon die Fülle der Probleme, mit denen sieh die Weltorganisation gegenwärtig befassen muß. Dies ließe zunächst den Schluß zu, daß die UN an Bedeutung und Prestige gewonnen hätten. Würden denn ihre Mitglieder so zahlreiche Fragen an sie herantragen, wenn sie nicht erwarteten, daß wenigstens ein Großteil der vorliegenden Traktandenliste erledigt wird? Dieser Schluß ist aber leider nicht zutreffend. Niemand, der die Verhältnisse auch nur halbwegs kennt, kann auch nur im Entferntesten annehmen, daß es dieser Generalversammlung gelingen werde, auch nur einen bescheidenen Teil der offenen Probleme wirklich zu bereinigen.

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Dieser Widerspruch zeigt deutlich die Situation an, in der sich die UN heute befinden. Die Vereinten Nationen haben längst nicht mehr jene Bedeutung, die ihnen bei ihrer Gündung in der Konferenz von San Franzisko zugedacht wurde. Damals fanden sich unter dem weltweiten Schlachtengetöse des Zweiten Weltkrieges die alliierten Mächte zusammen, um eüie Organisation in die Welt zu setzen, die künftig, wenn schon nicht als eine Art von Weltregierung, so doch als ein oberstes Forum mit weitgehender Entscheidungskompetenz diese Welt lenken sollte, sobald der Zweite Weltkrieg sein Ende gefunden haben würde. Der Unterschied zu dem Vorhaben von damals und der Realität von heute gründet nicht so sehr in dem Umstand, daß aus den 51 Gründer-nationen heute über 100 geworden sind, denn die UN wurden als offene Organisation in die Welt gesetzt, der alle souveränen Staaten beitreten konnten und sollten. Das heißt, man legte den Umfang der Organisation von Haus aus weltweit an und es war schon damals klar, daß sie auch weltweit werden würde. Der Unterschied ist darin zu sehen, daß gerade die Universalität der UN ihre Wirksamkeit früher oder später in Frage stellen müßte'.

In diesem Zusammenhang ist ein Rückblick auf den Vorgänger der Vereinten Nationen, den Völkerbund, am Platz. Im Gegensatz zu den UN hatte der Völkerbund satzungsmäßig weniger Autorität, als man sie den Vereinten Nationen durch die Einrichtung des , Sicherheitsrates einräumte. Trotzdem gab es exekutierbare Beschlüsse. Es sei nur an das Handelsembargo gegen Italien anläßlich des Abessinienkrie-ges erinnert. Aber auch schon damals, bewies die Nichtbefolgung dieses Völkerbundbeschlusses durch einige Staaten die Fragwürdigkeit solcher Beschlüsse. Das durch den Austritt Deutschlands im Jahre 1933 eingeleitete Ende des Völkerbundes läßt die Frage, wie sich diese erste weltweite Organisation sonst weiterentwickelt hätte, für alle Zeiten unbeantwortet. Wohl aber darf man annehmen, daß die Intentionen der Gründer des Völkerbundes ähnliche waren wie die der Gründer der Vereinten Nationen. Man spürte schon damals, daß die Welt infolge der Zunähme der Weltbevölkerung und der technologischen Entwicklung immer kleiner werden, daß sich die Interessen immer mehr im Raum stoßen mußten und daß daher die Notwendigkeit immer größer wurde, zu, gemeinsamen Regelungen zu kommen..

Ein integrierender Bestandteil der Satzungen der UN ist die Gleichberechtigung ihrer Mitglieder in der Generalversammlung. Ihr steht, gewissermaßen als korrigierendes Element, der Sicherheitsrat gegenüber, dem nur die Großen dieser Erde als ständige Mitglieder und eine im Turnus abwechselnde, kleine Zahl anderer Mitglieder angehört und dessen Aktivität durch das Vetorecht eines der Großen weitgehend eingeschränkt ist. Es hätte allerdings keinen Sinn, gegen dieses Vetorecht Bedenken zu erheben, denn es ist klar, daß große, weltweite Aktionen nur dann realisiert werden können, wenn eben die Großen, die noch immer das Weltgeschehen bestimmen, in solchen Dingen übereinstimmen. Die Souveränität aller Staaten dieser Erde ist nun' einmal die Grundlage jeder internationalen Vereinigung, soweit die Mitglieder einer solchen Gemeinschaft nicht freiwillig Verzicht leisten, wie das bei den Europäischen Gemeinschaften der Fall ist, deren Mitglieder bestimmte Souveränitätsrechte dem gemeinsamen Ministerrat, ja sogar der gemeinsamen Kommission tibertragen haben.. Man muß diese Fakten gebührend berücksichtigen, wenn man über die Wirksamkeit oder, noch besser gesagt, über die Möglichkeit von wirksamen Maßnahmen der Vereinten Nationen spricht

Ein weiteres wichtiges Faktum darf nicht außer acht gelassen werden. Die Vereinten Nationen haben heute zahlreiche Unterorganisatio-neri, wie die - FAO, UNCTAD, ECE usw., von denen einzelne hervorragende Arbeit leisten. Für die Ernährung der Weltbevölkerung bedarf es heute einer Organisation wie der FAO. Die Leistungen dieser Organisation zur Linderung des Hungers in der Welt stellen ohne Zweifel ein Ruhmesblatt der UN dar.

Ähnliches kann auf dem Gebiet des Gesundheitswesens und in anderen Bereichen vermerkt werden.

Aber es macht sich immer mehr eine Trennungslinie zwischen Erfolg und Mißerfolg bemerkbar. Dort nämlich, wo es sich im wesentlichen um Bereiche handelt, die mit politischen Problemen nicht belastet sind, sind die Vereinten Nationen erfolgreich. Wo hingegen die Politik eine entsprechende Rolle spielt, häufen sich die Mißerfolge. Wir haben das bei dem unlängst abgeschlossenen „UNO-Kongreß gegen das Verbrechen“ gesehen, wo man nur über jene Themen zu gemeinsamen Beschlüssen gelangt ist, die die Kriminalität unter Ausschaltung politischer Überlegungen berühren, wie etwa die Abschaffung der Folter. Auf jenen Gebieten aber, in denen politische Überlegungen eine Rolle spielten, wie in Fragen der Luftpiraterie, kam es entweder zu keinen Beschlüssen oder zu solchen, die zivilisierte Staaten einfach nicht zur Kenntnis nehmen können. So wurde die Luftpiraterie keineswegs als ein auf jeden Fall strafbarer, krimineller Tatbestand qualifiziert, sondern mit dem Tatbestand des „Befreiungskampfes“ in Zusammenhang gebracht und daher verlangt, daß zunächst „die Ursachen erforscht und bei ihnen Abhilfe geschafft werden“ müsse. Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß die Luftpiratenakte etwa der PLO nicht von Haus aus als Verbrechen qualifiziert werden dürften. Die logische Folge eines solchen Standpunktes wäre aber, würde er von den zivilisierten Staaten anerkannt werden, die völlige Hilflosigkeit staatlicher Autorität gegenüber dem aus politiven Motiven verübten Terror überhaupt.

Ebenso schlimm steht es mit einem anderen Beschluß dieser Konferenz, der in seinem Wesen nichts anderes ist, als ein Angriff gegen .die Grundlagen der Verwaltung des Rechtes in der zivilisierten, demokratischen Welt. Gemeint ist jener Beschluß, der von den „kulturellen und sozialen Ungerechtigkeiten“ in den entwickelten Staaten spricht und behauptet, daß durch diese Rechtsordnungen, vor allem aber durch die „kapitalistische“, das heißt marktwirtschaftliche Ordnung, die Bürger dieser Staaten ausgebeutet würden. Hier schlägt deutlich kommunistische Ideologie durch und es bedarf keiner weiteren Versicherung, daß solche Beschlüsse, auch wenn sie, was vielleicht zu erwarten ist, von der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit ihren bekannten Mehrheitsverhältnissen bestätigt werden sollten, keinerlei praktische Wirkung haben werden. Damit aber ist die Wirksamkeit der Vereinten Nationen ernstlich in Frage gestellt. Ja, man könnte die Frage auch so formulieren: Wie lange werden die Vereinten Nationen noch „vereint“ sein?

Die umfangreiche Tagesordnung der laufenden Generalversammlung enthält noch mehr solcher brisanter Punkte. Bekanntlich wurde Südafrika von der letzten Sitzung ausgeschlossen und es ist nicht unwahrscheinlich, daß dieser Beschluß erneuert werden würde, wenn — was zur Stunde, da diese Zeilen geschrieben werden, noch unsicher ist — Südafrika an dieser Generalversammlung wieder teilnehmen wollte. Ebenso grotesk muß uns der seinerzeitige Wortentzug gegenüber Israel anmuten. Man muß sich natürlich sagen, daß die Beibehaltung einer solchen Konferenzpraxis schließlich dazu führen wird, daß künftig Staaten, die einer Mehrheitsgruppe in der Generalversammlung, aus welchen Gründen immer, nicht genehm sind, das gleiche Schicksal erleiden werden. Was aber dann mi* der Universalität der Vereinten Nationen geschehen würde, bedarf keiner näheren Ausführung. „Vereint“ heißt nicht Konsens in allen Fragen, wohl aber Bereitschaft zu gemeinsamen Diskussionen! Eine Mehrheit in der UN-Generalversammlung hat da gegenwärtig andere, für die zivilisierte Welt nicht akzeptable Vorstellungen!

Aber auch, wenn die Diskrepanz in der Auffassung der Aufgaben der UN nicht so deutlich ist wie in den angeführten Beispielen, kann die Bedeutung der Vereinten Nationen immer wieder in Frage gestellt werden, wenn ein oder mehrere Mitglieder keine Bereitschaft zeigen, sich einhellig gefaßten Beschlüssen zu beugen. Die Türkei hat im Streitfall Zypern bis heute den UN-Beschlüssen keine Folge geleistet. Dies ist ein Beispiel, bei dem auch ein Problem von keineswegs weltweiter Bedeutung die Wirksamkeit der Vereinten Nationen in Frage stellen kann. Vielleicht ist dieses Beispiel gerade deshalb so wichtig, weil es die engen Grenzen aufzeigt, innerhalb' derer die Weltorganisation noch effizient ist, obwohl sich gerade in diesem Fall die Großmächte zu gemeinsamen Beschlüssen bereit finden.

Natürlich gibt es auch Probleme, die nicht einfach als durch die Vereinten Nationen lösbar oder unlösbar bezeichnet werden dürfen, wo aber, die Unterstützung seitens der Vereinten Nationen eine wesentliche Rolle spielt. Das typische Beispiel hiefür ist der Nahostkonflikt. Einerseits liegt hier ein Beschluß der Vereinten Nationen vor, der Israel auffordert, sich auf die Grenzen von J967 zurückzuziehen. Wie immer die Entwicklung in dieser Frage auch sein mag, eines mußte allen UN-Mitgliedern bei Abfassung dieses Beschlusses klar sein, nämlich, daß Israel ganz bestimmt nicht auf den Besitz der Altstadt von Jerusalem verzichten wird, weil es das einfach nicht kann, von anderen territorialen Fragen ganz abgesehen. Anderseits ist der Einsatz der UN-Friedenstruppe zwischen den feindlichen Heeren ein großer Erfolg der UN. Wieder anders aber liegen die Konsequenzen dieses Beschlusses, wenn, man das Sinai-Abkommen betrachtet, das kein Erfolg der Vereinten Nationen, sondern allein einer der Vereinigten Staaten von .Amerika ist.

Die Situation, in der sich die Vereinten Nationen befinden, ist also eine recht schwierige; dies deshalb, weil trotz allen Versagens in vielen weltweiten Problemen nicht der Schluß gezogen werden dürfte, daß sie überflüssig geworden wären. Neben den schon angeführten positiven Beispielen muß man sich nämlich immer wieder sagen, daß selbst ein internationales Forum, auf dem nur diskutiert wird, immer noch besser ist, als gar keines. Auch wenn aus den Vereinten Nationen „unvereinte“ geworden sind — um sin auf der Hand liegendes Wortspiel zu gebrauchen —, dürfen die Möglichkeiten der Diskussion nicht unterschätzt werden, weil die Alternative dazu, wie immer man sie konstruieren wollte, doch nur eine negative wäre.

Das Verhältnis Österreichs zu den UN ist ein klares. Als immerwährend neutraler Staat kommt uns gemeinsam mit den anderen Neutralen dabei insofern eine besondere Rolle zu, als ja gerade eine völkerrechtliche Neutralität eine gute Grundlage, ja sogar eine Verpflichtung darstellt, zum Ausgleich der Meinungen beizutragen. Dies ist jedenfalls die österreichische Auffassung, die sich von jener der Schweiz unterscheidet. Die Schweiz lehnt gerade unter Berufung auf ihre Neutralität eine Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen ab. Die eidgenössische Überlegung geht dabei von dem juristischen Standpunkt aus, daß ein neutraler Staat keine Souveränitätsverzichte leisten dürfe. Nun ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Organ, das bindende Beschlüsse gegenüber den Mitgliedern der UN fassen kann und dies ja auch wiederholt getan hat. Nach einer streng formaljuristischen Auslegung ist die Schweiz mit ihrer Haltung daher im Recht, aber die lebendige Praxis der großen Weltpolitik rechtfertigt . nach österreichischer Auffassung eine solch strenge Auslegung der Neutralität gegenüber der Weltorganisation nicht mehr. Darum hat sich Österreich ja auch bei den Verhandlungen zum 'Staatsvertrag und der dabei abgegebenen Zusicherung Österreichs zum immerwährend neutralen Staat zu erklären, die Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen vorbehalten, ein Vorbehalt, der von den Verhandlungspartnern ohne weiteres akzeptiert wurde. Im Unterschied zur Schweiz betreibt Österreich eine aktive Neutralitätspolitik, das heißt, seine Mitgliedsschaft bei den UN und seine aktive Mitarbeit in allen Gremien der Weltorganisation, ja sogar eine fallweise Mitgliedschaft im Sicherheitsrat beeinträchtigen nach unserer Auffassung die immerwährende Neutralität nicht. Freilich sind größte Zurückhaltung und häufige Stimmenthaltung Voraussetzung und oftmalige Konsequenzen dieser Politik. Nicht zuletzt dieser Halung verdankt es Österreich ja auch, daß Kurt Waldheim, der bisher zweifellos aktivste Generalsekretär der ÜN, eine solche Funktion ausüben kann.

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