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Waldheims UN-Vollendete

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Die Weltpolizei am East River New Yorks ist mehr denn je in Verruf geraten. Während Luftpiraterie, Terrorismus und internationales Gangstertum florieren und an allen Ecken und Enden neue und neu aufflammende Stellvertreterkriege ganze Völker in Chaos und Elend stürzen, scheinen im monströsen Glaspalast der UN die diplomatischen Vertreter der Mitgliedsländer miteinander beim Besuch von Empfängen, Dinners und Gegendinners im friedvollen Wettstreit zu liegen. Bezeichnend und peinlich genug, daß UNO-Generalsekretär Dr. Kurt Waldheim erst kürzlich die bei den Vereinten Nationen akkreditierten Diplomaten öffentlich auffordern mußte, weniger Parties zu frequentieren und dafür zu den Sitzungen pünktlicher zu erscheinen. Doch nicht genug damit: Die wenigen Beispiele, in denen die UN die Initiative ergriffen, zeigen, daß die Länder der Dritten Welt — zumeist im Verein mit den sozialistischen und arabischen Ländern auftretend — ein neues Propagandainstrument gefunden haben.

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Die Weltpolizei am East River New Yorks ist mehr denn je in Verruf geraten. Während Luftpiraterie, Terrorismus und internationales Gangstertum florieren und an allen Ecken und Enden neue und neu aufflammende Stellvertreterkriege ganze Völker in Chaos und Elend stürzen, scheinen im monströsen Glaspalast der UN die diplomatischen Vertreter der Mitgliedsländer miteinander beim Besuch von Empfängen, Dinners und Gegendinners im friedvollen Wettstreit zu liegen. Bezeichnend und peinlich genug, daß UNO-Generalsekretär Dr. Kurt Waldheim erst kürzlich die bei den Vereinten Nationen akkreditierten Diplomaten öffentlich auffordern mußte, weniger Parties zu frequentieren und dafür zu den Sitzungen pünktlicher zu erscheinen. Doch nicht genug damit: Die wenigen Beispiele, in denen die UN die Initiative ergriffen, zeigen, daß die Länder der Dritten Welt — zumeist im Verein mit den sozialistischen und arabischen Ländern auftretend — ein neues Propagandainstrument gefunden haben.

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Auch die heurige UN-Vollversammlung, die in diesen Wochen über die Bühne geht und von der kaum spektakuläre Akzente erwartet werden, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Ruf der Völkergemeinschaft: Da kommt ausgerechnet kurz vor den deutschen Bundestagswahlen der bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher vor den UN auf die an sich äußerst begrüßenswerte Idee, eine internationale Konvention gegen Geiselnahmen und gegen den Terror zu verabschieden. Nichts dagegen zu sagen. Das israelische Kommando zur Geiselbefreiung in Entebbe und auch die völlig absurden Vorgänge rund um die Auslieferung des deutschen Terror-Kriminellen Pohle, der in Griechenland aufgegriffen wurde, unterstreichen mit aller Deutlichkeit, wie sehr auf diesen Gebieten internationale Strafparagraphen von Nöten wären.

Die Vorgangsweise der Deutschen läßt jedoch eine recht vordergründige Zielsetzung vermuten: Im letzten Rennen um die Wählergunst war der Bonner Regierungskoalition die Völkergemeinschaft der UN offenbar ein willkommener Resonanzboden. Schon jetzt ist davon die Rede, Bonn wolle in weiterer Folge die Initia^ tive im Kampf gegen den Terrorismus den EG-Staaten in ihrer Gesamtheit überlassen. Unter normalen Umständen wären die Deutschen konsequenter. Wahrscheinlich nehmen aber auch sie die UN nicht für ganz voll.

Ein weiterer Schönheitsfehler der UN in ihrer derzeitigen und wohl auch künftigen Verfassung ist der, daß selbst bei den bescheidensten Resolutionen gegen den Terrorismus nicht mit einer sicheren Mehrheit zu rechnen ist. Im Zuge der Dekolonisierung haben immer mehr Staaten der Dritten Welt Einzug ins Völkerparlament gehalten, Großmächte und Industrieländer sind fast schon zu einer „quantitee negligable“ geworden. Sollen wir also schon resignieren, das nach dem Zweiten Weltkrieg unter so großer Euphorie gefeierte Instrument der internationalen Kooperation endgültig in den Rauchfang schreiben?

Bei allen Fragezeichen in der Zusammenarbeit der Völker dürfen wir nicht übersehen: Im Vergleich zum innerstaatlichen Recht, das in mehreren Jahrhunderten heranwachsen und reifen konnte, steckt das Völkerrecht heute noch in seiner ersten, mit allen Kinderkrankheiten behafteten Entwicklungsphase. Blenden wir kurz zurück:

Ähnlich wie der Völkerbund, der ein erster Versuch zur Organisation der Staatengemeinschaft war, verdankte auch die UN ihre Existenz einem zu Ende gehenden Krieg. Nach Professor Johne L. Snell von der Tulane University in New Orleans waren die Vereinten Nationen damals ein Gebot der Stunde. In seinem Werk „Diplomatische Geschichte der Schaffung der Vereinten Nationen“ schreibt Snell über den ausgehenden Zweiten Weltkrieg: „In zunehmendem Maße mußten sich die Alliierten Gedanken machen, wohin ihre erzwungene Zusammenarbeit, ihr kriegerischer Einsatz und ihre divergierenden Interessen in der Zukunft führen würden.“ Schon in der Atlantikcharta vom August 1941 hatten Roosevelt und Churchill verkündet, noch während oder zumindest nach dem Krieg müsse ein „dauerndes System allgemeiner Sicherheit“ gebildet werden, um den Frieden zu erhalten.

Es galt damals vor allem, Rußland für die Idee der Vereinten Nationen zu gewinnen, was auf der Konferenz von Teheran im November 1943 geschah. Nach ersten Anläufen auf der Konferenz von Dumfoarton Oaks gelang schließlich im Juni 1945 in San Franzisko die Beschlußfassung der Satzungen (Charta) der Vereinten Nationen, deren Inhalt auf dem Gebiete des Gewaltverbotes sicherlich gegenüber allen ähnlichen Initiativen aus der Zwischenkriegszeit (wie dem Kriegsächtungs- oder Briand-Kellog-Pakt von 1928) einen gewaltigen Schritt vorwärts bedeutete. Nur in diesem Kontext und im Bewußtsein der Tatsache, daß die Vereinten Nationen trotz Völkerbund gewissermaßen in der Stunde Null anfangen mußten, sollte die Entwicklung der UNO beurteilt werden.

Wenn heute die UN gerne als „überflüssigster Verein auf Gottes Erdboden“ gesehen werden, sollte ebenso bedacht werden, daß schon allein die UN-Charta radikale Neuerungen auf dem Gebiete des Völkerrechts nach sich zog. Entwickelt sie doch neben der Formulierung des Seibstbestimmungsrechtes der Völker, den Grundfreiheiten und der Aufforderung zur internationalen Kooperation auch das Verbot der gewaltsamen Selbsthilfe. Damit war die Zeit des finsteren Mittelalters auch für das Völkerrecht vorbei. Erstmals zeigten sich bei den UN auch Merkmale eines weiterentwickelten Rechtslebens, wie einer legislativen und exekutiven Gewalt. Letztere zeigt sich in den verschiedenen Sanktionsmöglichkeiten, die dem Sicherheitsrat zustehen.

Nach diesem Loblied auf die UN stellt sich nun die Frage: Hat der internationale Amtsschimmel versagt, waren die Millionenbeiträge der Mitgliedsländer zum Fenster hinausgeworfene Gelder oder haben die UN doch ihren Platz?

Unter den verschiedenen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen stechen jene, die als Friedensstreitmächte an Kriegsschauplätzen zum Einsatz gelangen, im positiven Sinne heraus. Gemeint sind die Blauhelme der UN, die — abgesehen vom Koreakrieg — im Kongo eine erste Feuertaufe bestanden und jetzt schon seit vielen Jahren an Israels Grenzen und auf dem Krisenherd Zypern über Recht und Ordnung wachen. Während Kissingers Politik der kleinen Schritte im Nahen Osten immer wieder im Sumpf der gegenseitigen Haßgefühle steckenzubleiben drohte, sorgten einige hundert UNO-Solda-ten, darunter auch ein, ganzes Bataillon österreichischer Soldaten, dafür, daß sich die Hitzköpfe zumindest nicht unkontrolliert die Köpfe einschlugen. Im Nahen Osten verhinderten die UN bisher Schlimmeres, was vielleicht kein zufriedenstellendes, dafür aber ein den Einsatz rechtfertigendes Resultat ist.

Von anderen Sonderorganisatipnen der UN kann Ähnliches nicht behauptet werden. Von Anfang an entwickelten sie zumeist eine Eigendynamik, die sich in nicht geringem Umfange bewußt gegen die Wohlstandsgesellschaft und damit gegen die entwickelten und industrialisierten Staaten der Nordhalbkugel wandte. Typisches Beispiel: Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Mit ihrer Politik Israel gegenüber entwickelte sich die UNESCO immer deutlicher zur Vorreiterin jener antiisraelischen Welle, die spätestens mit dem Auftritt von PLO-Chef Arafat auch in die Vollversammlung der UN Einzug hielt.

Mit dem Entstehen der neuen afrikanischen Staaten in den sechziger Jahren und deren unverhohlener Allianz mit der kommunistischen Welt waren dann die Gleichgewichte endgültig verrückt. Nicht nur, daß sich die Emotionen der UN-Mitglieder recht erfolgreich gegen Südafrika kanalisieren ließen, auch in der Beurteilung der Menschenrechte war das Messen mit zweierlei Maß bald an der Tagesordnung: Während sich in den UN stets Mehrheiten fanden, um etwa Rechtsdiktaturen in Südamerika einen Rüffel zu verpassen, was dem Grunde nach auch zu begrüßen ist, kamen die kommunistischen Länder, deren Ansichten über das Thema Menschenrechte nicht erst dank Solschenizyn in unseren Breiten bestens bekannt sind, meist ungeschorenen Hauptes davon.

Doch nirgends stellte sich die Völkergemeinschaft so deutlich selbst in Frage wie in der Beurteilung des Nahostkonfliktes. Es ist sicher nicht unzutreffend, in diesem Zusammenhang von einem „späten Revancheakt Adolf Hitlers“ zu sprechen. Erinnern wir uns zurück an jenen Tag im November 1974, als der Chef der PLO, eines Vereines, der zumindest eine Zeitlang Bombenwerfen und Geiselnahmen fast zur politischen Maxime erhob, unter tosendem Beifall der meisten UN-Delegierten in den New Yorker Glaspalast einzog. Als Arafat vor versammelter Weltöffentlichkeit nicht mehr und nicht weniger als die Liquidierung Israels forderte und dann auch noch eine Lanze für das palästinensische Ter-roristentum brach, feierte die Bevölkerung des Libanon diese Sternstunde mit Umzügen, Festlichkeiten und einem schulfreien Tag.

Den nächsten Schritt der Selbstentlarvung setzten die UN ziemlich genau ein Jahr darauf, in der Vollversammlung 1975. Bei 32 Enthaltungen verabschiedete die Vollversammlung mit der soliden Mehrheit von 72 gegen 35 Stimmen eine Resolution, in welcher der „Zionismus“ „als eine Form des Rassismus und der Rassendiskriminierung“ verurteilt wurde. Gegen die Entschließung stimmten lediglich Israel, die USA, alle Staaten der EG und Mittel- und Nordeuropas sowie eine handvoll lateinamerikanischer und afrikanischer Staaten. Österreichs UN-Botschafter Dr. Jankowitsch bezeichnete damals die Verknüpfung von Zionismus mit Rassismus als „tragischen Irrtum“, der schwerwiegende Konsequenzen für die Weltorganisation haben werde und der den Kampf gegen die echten Formen des Rassismus und der Rassendiskriminierung beeinträchtigen werde.

Kurzfristig betrachtet, schauen die Chancen der UN eher düster aus. Soll sie ihre Funktion als politisches Vehikel der Dritten Welt verlieren, werden neue Akzente und Initiativen im Nord-Süd-Dialog erforderlich sein. Zur Zeit kann man nur hoffen, Waldheims Liebeswerben (siehe seine Äußerungen im Zusammenhang mit der Entebbe-Aktion Israels) um die afrikanischen Staaten und um die Länder Idi Amins und Gaddafis möge von Erfolg gekrönt sein. Sollte Waldheim nicht neuerlich der Sprung in das „unmöglichste Amt der Welt“ (so Waldheims erster Vorgänger Trygve -Lie) gelingen, der fünfte Generalsekretär der UN käme mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr aus der entwickelten Welt. . Bisher hat sich Österreichs Karrierediplomat Nummer 1 im 38. Stock der UN-Zentrale recht gut behaupten können. Als Vertreter eines blockfreien Landes genießt er weitgehend das Vertrauen vieler kleiner unabhängiger. Länder, gilt aber gleichzeitig auch bei den Großmächten als seriöser Gesprächspartner. 1971 ging Waldheim als Außenseiter ins Rennen um die U-Thant-Nachfolge. Daß er als Verlegenheitslösung gegen den Finnen Jakobsen und den Argentinier de Rojas siegte, ficht Waldheim, wie er nach seiner Bestellung dem „Spiegel“ erklärte, nicht an: „Die ganzen UN sind ja eine Verlegenheitslösung“.

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